Der weltgrösste Betreiber von Skigebieten hat sich die Alpen vorgenommen. 2022 und 2023 erwarb Vail Resorts die Anlagen in Andermatt-Sedrun GR und Crans-Montana VS. Aber auch Laax GR und Verbier VS sollen die Amerikaner auf dem Einkaufszettel haben. Was passiert da gerade im Schweizer Bergtourismus? Bruno Huggler (57), Tourismusdirektor von Crans-Montana und Präsident der Schweizer Tourismusmanager, muss es wissen. Bei einer Gondelfahrt von Crans-Montana auf den Cry d'Er, wo 2027 die Männerabfahrt der Ski-WM starten wird, sprach er mit SonntagsBlick über die Kauflust ausländischer Milliarden-Konzerne.
Herr Huggler, ausländische Milliarden-Konzerne investieren in Schweizer Skigebiete. Droht dem Tourismus in den Bergen der Ausverkauf?
Bruno Huggler: Es wurde viel ausländisches Kapital investiert. Zum Glück! Unsere Skigebiete müssen an vielen Standorten dringend erneuert werden. Ein Ausverkauf ist das aber nicht.
Wirklich? Vail Resorts soll nach Andermatt und Crans-Montana auch Laax und Verbier im Visier haben.
Darüber weiss ich nichts. Die beiden Skigebiete waren bereits zuvor in ausländischen Händen. Und für Crans-Montana war der Wechsel vom tschechischen Vorbesitzer Radovan Vitek zu Vail Resorts ein absoluter Glücksfall.
Sie waren froh, Vitek loszuwerden?
Das Verhältnis mit dem Vorbesitzer war nicht immer einfach …
Sie untertreiben. Der tschechische Milliardär und Immobilienkönig hat sich mit den Einheimischen verkracht. Einmal stellte er im Streit mit der Gemeinde an Ostern alle Bergbahnen ab.
Wir müssen uns an die eigene Nase fassen: Crans-Montana hätte vor dem Verkauf an Radovan Vitek die Möglichkeit gehabt, die Infrastruktur in den eigenen Händen zu behalten. Aber der Gemeinde fehlte die Bereitschaft, zu investieren. Ein Entscheid, der in den letzten Jahren wegen der erwähnten Schwierigkeiten immer wieder bereut wurde.
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Jetzt kommt ein neuer Konzern, der mit dem Tourismus in den Schweizer Bergen Kasse machen will.
Mit Vail Resorts ist die Ausgangslage eine andere. Strategien und Ziele werden gemeinsam entwickelt. Für die Gäste spielt es letztlich keine Rolle, woher das Kapital kommt, wenn das Angebot stimmt. Wir wissen, dass die neuen Besitzer Crans-Montana nicht amerikanisieren wollen. Sie suchen bei uns Schweizer Eigenheiten, um von ihnen zu profitieren. Das werden sie nicht leichtfertig aufgeben.
Was erhoffen Sie sich von der amerikanischen Offensive?
Vail Resorts verfügt nicht nur über das Kapital, um in das Angebot zu investieren, sondern auch über die nötige Expertise. Das Unternehmen betreibt 42 Skigebiete, die alle durch den Epic-Pass verbunden sind: ein Ticket, das in allen Destinationen gültig ist. Das Geschäftsmodell von Vail Resorts ist für uns spannend, weil wir Zugang zu einem Markt mit 2,3 Millionen Epic-Card-Inhabern erhalten, die nun auch bei uns auf die Piste können.
Andererseits dürften Schweizer Touristen den Epic-Pass nur kaufen, wenn mehr Schweizer Destinationen hinzukommen. Werden die Amerikaner weitere Skigebiete übernehmen?
Attraktiv für das europäische Publikum wird der Epic-Pass tatsächlich erst, wenn mehr als zwei Skigebiete in geografischer Nähe angeschlossen sind. Vail Resorts wird deshalb im Alpenraum weiter wachsen.
Auch in der Schweiz?
Das kann sein. Europa ist für den Skitourismus der weltweit grösste Markt. Die Übernahmen in Andermatt und Crans-Montana sind kein Zufall, sondern gehören zur Strategie der Amerikaner, im europäischen Markt Fuss zu fassen. Ich bin überzeugt, dass sie noch weit grössere Pläne verfolgen. Sei es in der Schweiz, in Österreich, Frankreich oder Italien.
In der Schweiz sind Klagen zu hören, es sei schwierig, Skigebiete überhaupt noch rentabel zu betreiben. Was macht die Destinationen für Investoren aus dem Ausland plötzlich so attraktiv?
Vail Resorts hat das Geschäftsmodell umgedreht: Statt überall einen eigenen Saisonpass anzubieten, haben die Amerikaner den Markt vergrössert und bieten den Kunden mit dem Epic-Pass eine ganz neue Dimension. Dass viele Schweizer Bergbahnen heute nicht rentabel sind, hat mit den kleinräumigen Strukturen zu tun. Fusionsprozesse wurden vielerorts zu spät an die Hand genommen. Und: Heute sind jene Gebiete rentabel, deren Geschäft über den Winter hinausgeht. Der Klimawandel zwingt den Bergtourismus, das Sommerangebot auszubauen.
Hat die Branche den Wandel verschlafen?
Nein, an vielen Orten wurde investiert. Aber wir hätten schon früher überlegen müssen, wie wir das Sommergeschäft noch konsequenter aktivieren können. Die Vielfalt ist in den Bergen die Zukunft. In Crans-Montana fielen 2023 dank breitem Angebot mit Golf, Mountainbike oder Wandern bereits 47 Prozent der Logiernächte in die Sommersaison. Jetzt wollen wir das Geschäft im Herbst ausdehnen.
In europäischen Städten wird heftig über Overtourism debattiert. In Barcelona bespritzen Einheimische die störenden Touristen wie lästige Insekten mit Wasser. Ein Warnzeichen auch für die Schweiz?
Overtourism ist bei uns nur sehr punktuell und zeitlich begrenzt ein Problem.
Wir haben also Platz für noch mehr Tourismus?
Früher haben Gäste aus dem Ausland mehr Geld in die Schweiz gebracht, als die Schweizer im Ausland ausgegeben haben. Das hat sich umgekehrt: Seit einigen Jahren ist unsere Tourismusbilanz negativ. Wir brauchen zusätzliche Gäste. Die Frage ist, welche Touristen wir zu welcher Zeit an welchem Ort wollen. Die Ströme zu lenken, ist ein riesiges Thema für die Branche. Weniger bekannte, aber nicht weniger attraktive Orte müssen besser in Wert gesetzt werden.
Wer die Schweiz bereist, will die Hotspots besuchen. Fahren wir nach Paris, wollen wir auch den Eiffelturm sehen.
Stimmt. Reisen Gäste aber zum zweiten Mal in die Schweiz, nehmen sie sich hoffentlich mehr Zeit und schauen genauer hin. Hier müssen wir mit Angebot und Werbung ansetzen. Es ist weder ökonomisch noch sozial nachhaltig, wenn wir einfach die bereits bestehenden Spitzen in Luzern, auf dem Jungfraujoch oder in Lauterbrunnen weiter in die Höhe treiben.
Zermatt VS prüft derzeit eine Lenkungsabgabe von 12 Franken für Tagesgäste. Wer sich lediglich das Matterhorn anschaut, aber nicht in Zermatt übernachtet, müsste die Eintrittsgebühr zahlen. Sind solche Massnahmen sinnvoll?
Da der Massentourismus punktuell stattfindet, muss er auch punktuell geregelt werden. Die betroffenen Gemeinden sollen vor Ort geeignete Entscheide treffen. Was es in der Debatte um Overtourism nicht braucht, sind gut gemeinte, aber letztlich unbrauchbare Reglemente auf nationaler Ebene.