Auf einen Blick
- Trotz Verbot gehen Werbeanrufe weiter, Finma leitet Untersuchungen ein
- Vermittler verdienen Tausende Franken für Zusatzversicherungen
- Über 160 Verstösse gegen Kaltakquise-Verbot seit 1. September gemeldet
Werbeanrufe sind ein Ärgernis, dem kaum jemand entkommt. Vor allem, wenn die Krankenkassen versuchen, Schweizerinnen und Schweizer von einem Wechsel zu überzeugen, klingeln überall im Land die Telefone.
Seit 1. September 2024 sollte allerdings Schluss sein mit dem Telefonterror. Eigentlich. Mit diesem Datum hat der Bundesrat die sogenannte Kaltakquise verboten, das sind ungefragte Anrufe bei potenziellen Kunden. Bei Verstössen drohen Bussen bis zu 100'000 Franken.
Doch längst nicht alle Vermittler lassen sich davon abschrecken. Das zeigen Zahlen der Finanzmarktaufsicht (Finma): Seit Inkrafttreten des Kaltakquise-Verbots wurden mehr als 160 Verstösse gemeldet, wie die Aufsichtsbehörde auf Anfrage mitteilt. Zudem identifizierten die Kontrolleure 350 Akteure, die ohne Bewilligung Beratungen anboten und Versicherungen vermittelten.
Es drohen happige Bussen
Gegen Einzeltäter, aber auch gegen Vermittlerfirmen und Krankenkassen hat die Finma mittlerweile Untersuchungen eingeleitet. Nebst hohen Bussen drohen Strafanzeigen und der Entzug der Bewilligung – sofern überhaupt eine vorhanden war. Wie viele Vermittler bisher angezeigt wurden, gibt die Behörde mit Verweis auf laufende Untersuchungen nicht bekannt.
Dass die Telefonate trotz Verbot nicht eingestellt wurden, hat vor allem zwei Gründe. Zum einen ist das Geschäft äusserst lukrativ. Für den Abschluss einer Zusatzversicherung kassieren Vermittler von den Krankenkassen bis zu 16 Monatsprämien. Verkaufen sie beispielsweise eine halbprivate Spitalversicherung, verdienen sie damit Tausende Franken. Der Konsumentenschutz warnt deshalb schon lange, dass die hohen Provisionen einen Anreiz schaffen, den Betroffenen unnötige Produkte aufzuschwatzen.
Zum andern lassen sich Belästigungen am Telefon kaum nachweisen. Und wenn doch, muss belegt werden, wer die Hauptverantwortung für die missbräuchliche Vermittlertätigkeit trägt, etwa anhand der Geldflüsse. «Die Strukturen von missbräuchlichen Vermittlerkonstrukten sind oft komplex und mehrstufig aufgebaut», heisst es bei der Finma. Oft seien im Ausland operierende Callcenter involviert. Sie telefonieren mit Computer-Unterstützung alle möglichen Zahlenkombinationen durch, bis jemand den Anruf entgegennimmt. So erreichen Callcenter auch Menschen, die in keinem Telefonverzeichnis zu finden sind.
Unnötige Versicherungen aufgeschwatzt
Giuseppe Laisa (55) vermittelt selbst Versicherungen. Er ist froh, dass die Aufsichtsbehörde nach dem Kaltakquise-Verbot endlich aufräumt: «In der Vergangenheit ist einfach zu viel passiert.» Er habe Personen beraten, die für drei, vier Zusatzversicherungen gleichzeitig bezahlten. Die hatten ihnen Vermittler angedreht, die nichts als die eigene Provision interessiert habe. Solche Akteure, hofft Laisa, würden nun aussortiert.
Sorgen macht sich der selbständige Vermittler nur wegen der zusätzlichen Bürokratie. Der administrative Aufwand für die vielen Nachweise, die erbracht werden müssten, sei noch einmal stark gestiegen. Für manche Ein-Mann-Betriebe sei das existenzbedrohend. Laisa fordert deshalb, dass vor allem für die grossen Player strengere Regeln gelten sollten.
Suche nach Schlupflöchern
Die Krankenversicherer sind derweil ständig auf der Suche nach neuen Wegen, um mit potenziellen Neukunden in Kontakt zu kommen. So veranstalten Versicherer in den sozialen Medien Wettbewerbe und knüpfen die Teilnahme an die Bedingung, einem Werbeanruf zuzustimmen. Oder das Verbot von Werbeanrufen wird über Sponsoringdeals umgangen. So gelangte kürzlich etwa die Krankenversicherung Visana über einen Sponsorenvertrag mit Swiss Badminton an die Kontaktdaten der Verbandsmitglieder – zum Ärger einzelner Betroffener.
Die Finanzmarktaufsicht gibt an, über Hinweise zu verfügen, dass versucht werde, das Verbot von Werbeanrufen «über andere Kommunikationskanäle» zu umgehen. Auf welche Fälle und Kanäle sie sich dabei bezieht, will die Aufsichtsbehörde nicht präzisieren. Visana verteidigt ihren Sponsoringdeal mit dem Verband Swiss Badminton als rechtens. Auf Anfrage teilt die Versicherung mit, nicht Gegenstand von Finma-Untersuchungen zu sein.