Auf einen Blick
Vier Wochen Luxusferien auf Mauritius oder einen kleinen Neuwagen: So viel könnte sich ein Versicherungsvermittler leisten, wenn er Ruth und Emil Baldinger heute ihre Krankenkassen-Zusatzversicherungen verkaufen würde. Die 83- und 84-jährigen Rentner, die ihre richtigen Namen nicht publik machen wollen, zahlen der Helsana für Extraleistungen wie einen halbprivaten Spitalaufenthalt seit Jahrzehnten zusammen etwas mehr als 1000 Franken pro Monat. «Der Vermittler würde nun an so einem Abschluss über 16'000 Franken verdienen – das ist der helle Wahnsinn!», sagt Emil Baldinger.
Baldinger regt sich auf über die neue Branchenvereinbarung der Krankenversicherer, die der Bundesrat auf Anfang September für allgemeinverbindlich erklärte: Sie sieht vor, dass eine Versicherungsagentin neu maximal das 16fache der monatlichen Versicherungsprämie als Provision erhält.
Bis September 2023 hatte die Obergrenze noch bei zwölf Monatsprämien gelegen. Dann wurde sie für ein Jahr kurzzeitig komplett abgeschafft, nur um jetzt wieder eingeführt zu werden – einfach höher angesetzt.
Machten Versicherungsvermittler Druck?
Warum? Die Krankenkassen-Branchenverbände Santésuisse und Curafutura sagen auf Anfrage, der Grund sei, dass die Angestellten der Krankenkassen nun auch eine Provision erhalten, wenn sie eine Police abschliessen. Die bekamen zuvor nur die externen Agenten.
Das ist ein Beitrag aus dem «Beobachter». Das Magazin berichtet ohne Scheuklappen – und hilft Ihnen, Zeit, Geld und Nerven zu sparen.
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Daher seien neu auch die Fixkosten in die Provision einzurechnen, damit eine Gleichbehandlung von angestellten und unabhängig arbeitenden Agenten bestehe. Mit den Fixkosten dürften etwa Sozialabgaben gemeint sein.
Gab es also vonseiten der externen Versicherungsvermittler Druck, damit ihre Entschädigung durch den Fixkostenabzug nicht kleiner wird? Santésuisse schreibt dazu: «Die jetzige Branchenvereinbarung ist das Ergebnis von sorgfältig geführten Gesprächen unter den Krankenversicherern, in die verschiedene Perspektiven eingeflossen sind.»
Es scheint wie ein Naturgesetz: Im Herbst fallen die Blätter und die Krankenkassenprämien steigen. Mit dem Prämienticker unternimmt der «Beobachter» etwas dagegen: Er recherchiert und publiziert Missstände im Gesundheitswesen, benennt die Verantwortlichen und fordert Lösungen von den Entscheidern.
Es scheint wie ein Naturgesetz: Im Herbst fallen die Blätter und die Krankenkassenprämien steigen. Mit dem Prämienticker unternimmt der «Beobachter» etwas dagegen: Er recherchiert und publiziert Missstände im Gesundheitswesen, benennt die Verantwortlichen und fordert Lösungen von den Entscheidern.
Die verbindliche Obergrenze schaffe für alle Marktteilnehmer die gleichen Bedingungen und verhindere Auswüchse.
Kosten für Vermittler offenbar unklar
Mehrere Branchenkenner sind sich einig: Die neue Regel taugt nicht, um Exzesse bei den Provisionen einzudämmen. Einer sagt: «Dass Zusatzversicherte zuerst während 16 Monaten den Vermittler bezahlen sollen, ehe sie sich an den anfallenden Gesundheitskosten beteiligen, ist hirnrissig.»
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Die für die Zusatzversicherungen zuständige Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (Finma) schreibt: «Es ist für uns nicht ersichtlich, dass die nun festgelegten 16 Monatsprämien zu einer Reduktion der heute üblichen Provisionierung führen werden.»
«Uns liegen keine Zahlen vor»
Wie viel die Versicherer bisher pro Jahr für Provisionen gezahlt haben, ist laut Santésuisse unklar. «Dazu liegen uns keine Zahlen vor.» Es lässt sich auch nicht beziffern, wie hoch die Mehrkosten sein werden, die die neue Branchenvereinbarung verursacht.
Gemäss Schätzungen haben 80 Prozent der Bevölkerung eine Zusatzversicherung. Die Zahl der Personen, die neu eine Spitalzusatzversicherung abschliessen, ist in den letzten 20 Jahren von 13 Prozent der Bevölkerung im Jahr 2004 auf heute mehr als 20 Prozent gestiegen.
Wer kontrolliert Verstösse?
Noch etwas stört einen der Branchenkenner: die unklaren Abläufe, wenn ein Vermittler gegen das Verbot der Kaltakquise verstösst. Dieses sieht vor, dass Versicherungen und Vermittler mit bis zu 100'000 Franken bestraft werden können, wenn sie Personen kontaktieren, zu denen seit mindestens drei Jahren keine Kundenbeziehung mehr besteht.
Der Kenner bezweifelt, dass die Strafandrohung wirksam wird. «Die angedrohte Sanktion nützt nichts, wenn es keine institutionalisierte Stelle gibt, die Verfehlungen systematisch erfasst und überprüft, so dass sie in Strafverfahren münden.»
Das fehle im Moment völlig. Das Bundesamt für Gesundheit oder die Finma müssten nun Strukturen mit genügend Personal aufbauen.
«Systematische Verstösse» im Visier
Die Finma schreibt, sie sei dabei, genau das zu tun. Sie schaffe eine Aufsichtseinheit, die die diversen Akteure am Vermittlermarkt beaufsichtigt. «Sie schreitet auch bei Missbräuchen und Gesetzesverstössen ein.»
Die künftige Aufsichtseinheit werde die in Einzelfällen notwendigen Massnahmen einleiten – gegebenenfalls auch Strafanzeige erstatten. «Besonders im Fokus stehen jedoch systematische Verstösse.»
Wie viele Ressourcen die Finma für diese Aufgabe bereitstellt, gibt sie nicht bekannt. Auch wie oft sie 2023 Sanktionen gegen Krankenkassenvermittler verhängt hat, will sie derzeit nicht bekanntgeben.