Max Voegtli (31) weiss gar nicht, wo er anfangen soll. Bei den Klimaseniorinnen? Bei den Störaktionen, die nun wieder verstärkt stattfinden sollen? Bei dem Brief, den er an den Bundesrat geschrieben hat?
Der Klimaaktivist ist bestens gelaunt. Nach den Wahlen im Herbst musste sich Voegtli vorwerfen lassen, mit den Klimaklebern der grünen Bewegung geschadet zu haben. Durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte fühlt er sich nun gestärkt.
«Bald werden wir eine Reihe von politischen Protesten durchführen, um auf die Dringlichkeit der Situation und die Notwendigkeit zum Handeln aufmerksam zu machen», schreibt Voegtli mit seinen Mitstreiterinnen und Mitstreitern von «Drop Fossil Subsidies» an den Bundesrat. Dabei handelt es sich um eine Abspaltung der Gruppe «Renovate Switzerland», die sich auf Sanierung und klimafreundliches Bauen von Häusern konzentrierte. «Drop Fossil Subsidies», zu Deutsch «Streicht Subventionen für fossile Brennstoffe», nimmt Bundesbern in den Blick.
«Die Proteste werden so lange fortgesetzt, bis ein sozial gerechter Plan für die Abschaffung der fossilen Subventionen vorliegt», steht in dem Brief an den Bundesrat, der Blick vorliegt. Das Urteil von Strassburg zeige: «Es ist Ihre rechtliche sowie moralische Verpflichtung, die Lebensgrundlagen Ihrer Bevölkerung zu schützen. Die Schweiz ist ein kleines Land, und dennoch sind wir für einen überproportional grossen Anteil an Emissionen verantwortlich, haben also einen überproportional grossen Handlungsspielraum.»
Subventionen streichen
Konkret fordern die Aktivistinnen und Aktivisten, die Subventionen für fossile Energieträger zu streichen. Es geht um Steuervergünstigungen für Airlines, etwa durch die Befreiung von der Mineralölsteuer und Mehrwertsteuer für internationale Flüge. Auch kritisiert die Gruppe Steuervergünstigungen für Autofahrende und Gratis-Emissionszertifikate für Konzerne. «Diese Subventionen bedrohen direkt und messbar die Lebensgrundlagen für Menschen in der Schweiz und auf der ganzen Welt.»
Welche Aktionen «Drop Fossil Subsidies» für kommende Woche plant, will Voegtli nicht verraten. Nur so viel: «Wir brauchen zivilen Ungehorsam, um auf die Klimakatastrophe aufmerksam zu machen.» Er setze auf «bewährte Methoden» wie Strassenblockaden oder das Stören von Kulturanlässen.
Es dürfte nicht beim Urteil von Strassburg bleiben. Es gibt Konzerne, die sich auf Klagen gefasst machen oder bereits damit konfrontiert sind. Aktuell steht Shell in einer Berufungsverhandlung vor Gericht. Der Ölkonzern wehrt sich gegen ein Urteil, wonach er sich stärker für die Emissionsminderung engagieren müsse. Eine laufende Klage gegen den Schweizer Zementkonzern Holcim erhält durch das Strassburg-Urteil zusätzliches Gewicht.
Der ehemalige Vontobel-Chef Zeno Staub (55) ist kein Fan des Strassburger Urteils. Dennoch fordert er von der Politik mehr Mut mit Blick auf die CO₂-Abgabe. Staub schlägt vor, mit einer CO₂-Lenkungsabgabe die 13. AHV zu finanzieren. Damit könnten «zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden», ist Staub überzeugt. «Wir setzen Anreize, weniger CO₂ auszustossen, und die CO₂-Lenkungsabgabe kann zur Finanzierung der 13. AHV beitragen. Dies ist nachhaltige Klimapolitik. Im Unterschied zum Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, welches das Risiko in sich trägt, zum Bärendienst an der Klimapolitik und an der Schweizer Demokratie zu werden, ist es auch ordnungspolitisch sauber.»
Staub, der Präsident der Mitte-nahen Arbeitsgemeinschaft Wirtschaft und Gesellschaft des Kantons Zürich ist, hat mit seinen Parteifreunden ein Positionspapier erarbeitet. Allerdings reicht die CO₂-Lenkungsabgabe nicht aus, um die 13. AHV-Rente zu finanzieren. Höhere Lohnabzüge oder eine höhere Mehrwertsteuer seien unvermeidbar.
Um seine AHV macht sich Klimaaktivist Max Voegtli aktuell keine Gedanken: Er hat sich ganz der Klimafrage verschrieben und lebt von seinen Ersparnissen.