Sohn zu Reichsbürger entführt
«Ich darf seit drei Jahren nicht mehr die Mama von Noa sein»

Zunächst fehlt jede Spur von ihm – dann taucht Noa (5) aus dem Kanton Solothurn in Deutschland auf. Mutter Sofia G. entführte ihn laut Anklage im Herbst 2021 dorthin. Die beiden kamen beim bekannten Reichsbürger Maximilian Eder unter. Jetzt steht die Mutter vor Gericht.
Publiziert: 30.10.2024 um 09:00 Uhr
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Aktualisiert: 31.10.2024 um 17:43 Uhr
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Mutter Sofia G.* (43) aus dem Kanton Solothurn entführte Sohn Noa* (damals 5) im Herbst 2021 zum deutschen Reichsbürger-Guru Maximilian Eder.
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Qendresa LlugiqiReporterin News
30.10.2024, 13:17 Uhr

Urteil erfolgt in rund einer Woche

Nun wird die Verhandlung geschlossen. Das Urteil erfolgt am Freitag, den 8. November 2024 um 15 Uhr.

30.10.2024, 13:17 Uhr

«Ich bereue, dass ich mit Noa nach Deutschland bin»

Die Repliken sind durch.

Jetzt hat Sofia G. das Schlusswort. Sie lässt sich etwas Zeit. Zuerst meint sie: «Ich kann nicht.»

Zunächst erklärt Sofia G., dass sie sich im November 2021 so an die Wand gedrückt gefühlt habe, dass sie sogar simple Gesten nicht wertschätzen wusste. 

Dann meint Sofia G.: «Ich bereue, dass ich mit Noa nach Deutschland bin. Ich entschuldige mich dafür. Ich hoffe auch, dass der Vater damit abschliessen kann. Ich darf seit drei Jahren nicht mehr die Mama von Noa sein. Und das ist für mich und ihn die grösste Strafe.»

Die mutmassliche Gehilfin Kevina C. darf sich ebenfalls äussern. «Die Dynamik und die Schwere waren mir nicht klar. Am meisten tut mir Noa leid.» Weiter bedankt sie sich bei den Behörden und sagt wertschätzend: «Durch die Verhandlung sehe ich: Ihr seid Menschen.»

30.10.2024, 12:55 Uhr

Vorwürfe an Vater wurden angeschaut

Der Anwalt des Vaters erklärt in seiner Replik, dass der Vater das Wohl von Noa dessen Wohl stets an erster Stelle gesetzt habe. Es sei stets gegen den Vater geschossen worden. «Er hat alles geschluckt», sagt der Anwalt beeindruckt.

Auch die Missbrauchs-Vorwürfe an den Vater seien angeschaut worden. Hier sei jedoch eine Nichtanhandnahme-Verfügung erfolgt. Diese erfolgt unter anderem, wenn keine genügenden Hinweise auf eine Straftat bestehen. Heisst: Die Staatsanwaltschaft eröffnet keine Untersuchung.

30.10.2024, 12:25 Uhr

Replik

Jetzt dürfen alle noch replizieren. 

30.10.2024, 12:01 Uhr

Kevina C. soll aus Zivilcourage gehandelt haben

Der Verteidiger von Kevina C. gibt an, dass seine Mandantin ihrer Bekannten Sofia G. aus «Zivilcourage» die Hand gereicht habe. 

Weiter stellt der Verteidiger klar, dass bei vielen Hilfsaktionen von Kevina C. bei Mutter Sofia G. noch gar ein Tatentschluss zu den vorgeworfenen Taten vorlag. Was die Mutter danach entschied, könne seiner Mandantin nicht vorgeworfen werden.

Insgesamt spricht sich der Verteidiger dafür aus, dass seine Mandantin freizusprechen sei.

30.10.2024, 11:57 Uhr

Wer führte die Mutter nach Deutschland?

Zunächst geht der Verteidiger darauf ein, dass Kevina C. gar nicht die treibende Kraft zur Kontaktherstellung zu Maximilian Eder und zur Reise nach Deutschland war. Hier bringt er die andere mutmassliche Gehilfin Antonia B. ins Spiel. Kaum habe diese von den Bedenken der Mutter erfahren, sei diese sogleich losgezogen. «Sie entwickelte eine Eigendynamik, wurde Beraterin und Ermittelung zugleich.» Als eine Art «Opferstelle» habe diese die Mutter kennenlernen und diese unterstützen wollen. Laut dem Verteidiger von Kevina C. brachte Antonia B. selbst Maximilian Eder ins Spiel.

30.10.2024, 11:35 Uhr

Verhandlung geht weiter.

Die Verhandlung wird fortgesetzt. Das Wort hat der Verteidiger der mutmasslichen Gehilfhin Kevina C. 

Gemäss ihm hat die Staatsanwaltschaft seine Mandantin und ihre Rolle während der Verhandlung am Dienstag «völlig überzeichnet dargestellt». Er spricht von einem «Indiziengeflecht» und einer rein spekulativen Darstellung der Rolle und dem Handeln von Kevina C.

30.10.2024, 11:16 Uhr

Kleine Unterbrechung

Es folgen 15 Minuten Pause...

30.10.2024, 11:16 Uhr

Verteidiger fordert Freispruch für Antonia B.

Für den Verteidiger steht klar: Seine Mandantin hat nichts Unrechtes getan. Antonia B. habe nichts von den mutmasslichen Plänen von Sofia G. gewusst.

Weiter bringt der Verteidiger vor, dass die Ermittlungsbehörden seine Mandantin zu keinem Zeitpunkt fair behandelt hätten. 

So führt er etwa die Hausdurchsuchung bei Antonia B. auf. Die Ermittlungsbehörden sollen hier ihre Kompetenzen überschritten haben. So gab es wohl nur einen Durchsuchungsbefehl für die Wohnung von Antonia B. Doch die Beamten sollen auch die Wohnung der Eltern von Antonia B. durchsucht haben, welche sich im oberen Stockwerk des Wohnhauses befinde. Der Verteidiger ist sich sicher: Die stressige Hausdurchsuchung ist der Auslöser für den Tod des Vaters von Antonia B., zehn Tage nach der Hausdurchsuchung.

Der Verteidiger fordert: Antonia B. sei von allen Vorwürfen freizusprechen. Auch stehe ihr eine angemessene Genugtuung für das Verfahren und die erstandene U-Haft zu.

30.10.2024, 10:38 Uhr

Negative Erfahrungen mit den Behörden

Jetzt hat der Verteidiger der mutmasslichen Gehilfin Antonia B. das Wort. Er spricht von einem normalen Kontakt zwischen Frauen, beziehungsweise zwischen Müttern. 

Antonia B. und Sofia G. lernten sich im September 2021 über die dritte Beschuldigte Kevina C. kennen. Sie tauschten sich wohl über ihre negativen Erfahrungen mit den Behörden aus. 

Es stimme, dass Antonia B. Mutter Sofia G. die Adresse von Maximilian Eder gegeben haben. Dabei soll Antonia B. nicht gewusst haben, was Sofia G. damit vorhatte, so der Anwalt. 

Vom Staatsdiener zum Staatsfeind Deutschlands: Lange machte Maximilian Eder erfolgreich Karriere in der Bundeswehr, wurde gar Panzergrenadier-Oberst und sollte Deutschland und seine Mitmenschen beschützen. Doch irgendwann kam der Bruch – und Eder soll versucht haben, als Putschist Deutschland ins Chaos zu stürzen. Eder gilt als führendes Mitglied der mutmasslich terroristischen Vereinigung Patriotische Union, die im Jahr 2021 gegründet wurde und anscheinend vorhatte, mit Waffengewalt einen Putsch anzuzetteln. Eder soll versucht haben, dafür Waffen zu besorgen. 

Doch die Gruppe flog auf, es folgten Razzien und Verhaftungen. Auch bei Eder klickten die Handschellen, Anfang Dezember 2022 wurde er nach einem EU-Haftbefehl in Perugia (Italien) geschnappt und nach Deutschland überführt. Seit April stehen Eder und seine mutmasslichen Mitverschwörer in einem Monster-Prozess vor Gericht.

Entführte und gefolterte Kinder

Doch auch sonst ist Eder eine äusserst umstrittene Figur und es gibt Verbindungen in die Schweiz! Der Mann mit langen, weissen Haaren und stahlblauen Augen samt Brille hat sich einen Namen als Reichsbürger-Guru gemacht. Reichsbürger lehnen den deutschen Staat ab, stehen oft in Verbindung mit Rechtsextremismus oder Antisemitismus. Oder sie vertreten wie Eder krude Verschwörungstheorien – insbesondere im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch an Kindern. So berichtete der «Tages-Anzeiger» darüber, wie Eder bei einem Auftritt im deutschen Baden-Baden im Mai 2022 behauptete, in der Schweiz würden Kinder über ein Tunnelsystem entführt und dann gefoltert.

In dieser Rede sprach Eder davon, dass er «zwei Familien» aus der Schweiz beschützen müsse. Mit einem dieser Fälle muss sich jetzt am Dienstag und Mittwoch das Richteramt Dorneck-Thierstein SO beschäftigen.

Massive Kindeswohl-Gefährdung

Ein Blick in die Anklageschrift zeigt: Rund ein Jahr vor Eders Verhaftung entführte die Schweizerin Sofia G.* (heute 43) ihren Sohn Noa* (damals 5) während den Herbstferien – und zog ausgerechnet für rund einen Monat beim Reichsbürger-Guru ein. Gemeinsam wohnten sie in einem Haus im bayerischen Eppenschlag, nahe der Grenze zu Tschechien, wo Eder seit seiner Pensionierung lebte.

Wie es Noa bei Eder in dieser Zeit erging, lässt die Anklageschrift offen. Festgehalten ist jedoch: «Die hygienischen Verhältnisse waren besorgniserregend.» Weiter heisst es, dass die Situation am Aufenthaltsort dem Kindeswohl massiv widersprach. So durfte Noa weder in den Kindergarten gehen, noch die erforderliche Logopädie-Therapie besuchen.

Auch zwei Gehilfinnen angeklagt

Laut Anklageschrift ging Mutter Sofia G. davon aus, dass ihr Sohn sexuell missbraucht wurde. Ausgerechnet Eder sollte ihr dabei behilflich sein, diesen Verdacht zu verifizieren. Hierzu heisst es in der Anklageschrift, dieser Umstand «war dem Kindeswohl in extremer Weise abträglich».

Vor Gericht muss sich Sofia G. nun erstinstanzlich insbesondere wegen Entführung und Entziehen von Minderjährigen verantworten. Konkret wirft ihr die Staatsanwaltschaft vor, ihr Kind gegen den Willen des Vaters – der das Sorgerecht hatte – nach Deutschland entführt zu haben. Noa konnte am 16. November 2021 befreit und seinem Vater zurückgebracht werden.

Im Zusammenhang mit der mutmasslichen Entführung klagt die Staatsanwaltschaft zudem zwei weitere Frauen wegen Gehilfenschaft an. Sie sollen Sofia G. mit Eder bekannt gemacht haben. Blick ist beim Prozess vor Ort und berichtet live.

* Namen geändert 


 

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