Auf einen Blick
- Mädchengang in Oensingen SO verprügelt 16-Jährige, Video schockiert
- Frauengewalt ist selten und fasziniert daher besonders, wenn sie vorkommt
- Anteil weiblicher Straftäter liegt im Durchschnitt bei rund 20 Prozent
Die Aufnahmen schockieren: Eine Gruppe junger Mädchen im Teenageralter reissen in Oensingen SO ein anderes Mädchen (16) zu Boden, treten es mehrmals. Hinzu kommen Faustschläge und wüste Beschimpfungen: «Kleine Bitch», «du kleine Fo**e». Andere Bilder, die im Netz kursieren, sollen das Opfer halbnackt zeigen.
Gegen die mutmasslichen Täterinnen, sechs Teenagerinnen unterschiedlicher Nationalitäten im Alter zwischen 14 und 16 Jahren, wurde bereits eine Strafuntersuchung eröffnet.
Es ist nicht das erste Mal, dass eine Mädchengang in der Schweiz für Schlagzeilen sorgt. Im November 2023 berichtet die «Aargauer Zeitung» über ein Video, das zeigt, wie eine Gruppe Jugendlicher – mehrheitlich Mädchen – ein weibliches Opfer bedrängt, schlägt und ihm an den Haaren reisst. Selbst als das Opfer schon am Boden liegt, scheinen die Angreiferinnen nicht genug zu haben – und schlagen ihr immer wieder ins Gesicht. Auch hier kursiert später ein Video im Internet.
Solche Videos sorgen für Aufsehen, sie werden geteilt und kommentiert. Wenn junge Frauen dreinschlagen, verbreiten sich die Bilder im Netz besonders schnell.
Frauengewalt ist exotisch
Dass dem so ist, bestätigt Monika Egli-Alge (66), forensische Psychologin und Expertin für Jugendgewalt. «Kriminalstatistik und Genderforschung zeigen klar, dass Gewaltdelikte bei Frauen viel seltener sind als bei Männern. Frauengewalt ist exotisch, darum fasziniert sie so, wenn sie vorkommt», sagt Egli-Alge zu Blick.
Verstärkt wird dieser Umstand dadurch, dass Gewalttaten wie jene von Oensingen Mädchen weniger zugetraut werden. Egli-Alge sagt: «Generell gilt die Auffassung, dass Mädchen so etwas nicht machen. Umso interessanter ist es dann, wenn es trotzdem vorkommt.» Der Vorfall von Oensingen zeige aber auch, dass Mädchen genauso in der Lage seien, körperliche Gewalt auszuüben wie Jungs oder Männer.
Die Brutalität des Angriffs der Mädchengang von Oensingen überrascht die Expertin für Jugendgewalt deshalb nicht. Wenn eine Gruppe ein einzelnes Opfer angreife, seien die Mechanismen bei Jungs und Mädchen dieselben. «In der Gruppe sinkt die Hemmschwelle, man schaukelt sich gegenseitig hoch», sagt die forensische Psychologin und führt aus: «Man nennt dies Verantwortungsdiffusion. Weil man sieht, wie andere Gruppenmitglieder ebenfalls Gewalt ausüben, kann man die eigene Gewalt sozusagen rechtfertigen.»
Besonders fatal: Je brutaler die Angriffe, umso stärker wirkt dieser Effekt. «Einzeln wären die mutmasslichen Täterinnen vielleicht gar nicht in der Lage, ein solches Delikt zu begehen, zu treten und zu schlagen. Die Gruppe macht dann aber den traurigen Unterschied», so Egli-Alge.
In solchen Momenten gehe jegliche Vernunft verloren. «Das sieht man auch daran, dass im Fall von Oensingen die Beschuldigten ihr eigenes Beweisvideo gefilmt haben», sagt Egli-Alge weiter.
Hinzu kommt: Ein Video bringt Berühmtheit. Lothar Janssen, Leiter des Schweizer Instituts für Gewaltfragen, sagte anlässlich eines ähnlichen Falls 2023 zu Blick: «Für viele Jugendliche ist es ein Automatismus, das eigene Leben in Fotos und Videos zu dokumentieren. Nur logisch, dass Gewalttaten ebenfalls festgehalten werden.» Ein solches Video sei wie ein Beutestück. Ein Beweis, der herumgereicht werde, so Janssen. «Je krasser ein solches Gewaltvideo, desto mehr Fame bringt es dem Täter oder der Täterin.»
Aufarbeitung wichtig
Derweil stellt sich die Frage, ob die Gewaltdelikte durch junge Frauen zunehmen. Monika Egli-Alge sieht dies nicht. Der Anteil weiblicher Straftäter liege im Durchschnitt immer bei rund 20 Prozent. «Bei den Jugendlichen gibt es über die Jahre immer mal mehr, mal weniger Gewalt. Aufsehenerregende Fälle wie der von Oensingen können das Bild verzerren», sagt sie.
Für die Expertin für Jugendgewalt ist die Frage nach dem Umgang mit jugendlichen Straftätern viel zentraler als die nach der Häufigkeit. «Es ist wichtig, solche Vorfälle mit den Mitteln des Jugendstrafrechts sorgfältig und detailliert aufzuarbeiten. Dazu gehört auch die Analyse, welche Gruppendynamik zu dem Gewaltausbruch geführt hat», betont Egli-Alge. So seien die Chancen am besten, einen Rückfall der mutmasslichen Täterinnen zu verhindern.
Blick liegt das Videomaterial aus Oensingen vor. Die Redaktion hat sich jedoch entschieden, es nicht zu zeigen.