Das Gotthard-Fiasko hat für die ganze Logistik schwere Folgen: Viele Güter müssen nun statt auf der Schiene auf der Strasse transportiert werden – trotz Güterzügen, die über Alternativrouten fahren. Unsere Retter in der Not: die LKW-Fahrer. Wie die Transport-Helden diese Monsteraufgabe meistern, zeigt uns LKW-Fahrer Daniel Hüsler (50). Blick hat ihn einen Tag lang begleitet.
In aller Herrgottsfrühe geht es los. Hüsler klettert in Rothrist AG in seinen blitzblanken LKW, die Schuhe werden standesgemäss ausgezogen: «Um diese Uhrzeit sind die Strassen noch leer, das ist praktisch. Und ich bin sowieso ein Frühaufsteher.»
Er schnallt sich an und checkt nochmals die geplante Route: «Wir fahren zuerst ins Tessin und laden dort die Paletten mit Verpackungen ab. Danach fahren wir ohne Ladung nach Italien und holen 19 Tonnen Wein ab, die wir nach Rothrist bringen.» Der LKW rollt vom Hof und Hüsler fügt an: «Hoffen wir, dass wir es ohne lange Wartezeiten durch die Röhre schaffen.»
«Bei uns ist kurz Hektik ausgebrochen»
Seit vergangenen Donnerstag steht der Zugverkehr vor dem Gotthard-Basistunnel nun schon still. Zwei Dutzend Waggons eines Güterzuges entgleisten, als dieser mit 100 Kilometer pro Stunde durch den Gotthard-Basistunnel bretterte – vermutlich wegen eines defekten Wagenrades. Der angerichtete Schaden: immens! Insgesamt müssen acht Kilometer Gleise und 20'000 Betonschwellen ersetzt werden, ab Mittwoch soll nun immerhin wieder ein Grossteil der Güterzüge den Tunnel passieren können.
Seit dem Unfall herrscht bei der Schöni Transport AG Hochbetrieb. Die Firma macht etwa 40 Prozent ihres Umsatzes mit Italien-Transporten. Viele Frachten legen den Weg über die Alpen per Bahn zurück – eigentlich. Nun musste aufgrund der Gotthard-Panne jedoch umdisponiert werden.
Riesiger Zusatzaufwand
Die grösste Herausforderung bei der Notfall-Planung: Nebst dem, dass zusätzliche Frachten von und nach Italien per Lastwagen auf der Strasse absolviert werden mussten, gab es auch das Problem mit der Gewichtslimite. Sobald eine LKW oder dessen Auflieger eine Teilstrecke per Bahn absolviert, darf der LKW von Gesetzeswegen insgesamt 44 statt nur 40 Tonnen wiegen. Die Differenz von vier Tonnen pro Fracht musste also auf zusätzliche Fahrzeuge umverteilt werden – ein grosser organisatorischer Aufwand, um so mehr, weil die Zolldokumente jeweils für die schwerere Ladung ausgestellt sind und nicht einfach so abgeändert werden können.
«Am ersten Morgen nach dem Unglück war kurz Hektik, als unser Kombizug aus Italien nicht in Aarau ankam. Die Kunden erwarteten ihre Güter», erzählt Patron Daniel Schöni. Sofort hätte man umdisponiert und die Waren so schnell wie möglich via Strasse zugestellt: «Die Fahrer standen letzte Woche aufgrund des Ferienverkehrs viel im Stau, was für jeden Fahrer pro Weg rund zwei bis drei Stunden zusätzliche Reisezeit bedeutete. Das zerrt an den Nerven!» Auch der Schöni-Chef selbst fährt noch regelmässig Touren und berichtet: «Ich kam vor zwei Wochen mit dem LKW von Salerno heim und benötigte von Chiasso bis Rothrist statt dreieinhalb fast sieben Stunden.»
«So etwas habe ich ja noch nie gesehen!»
Unterdessen hat Daniel Hüsler mit seinem über 16 Meter langen LKW staufrei die sogenannte Dosierstelle in Erstfeld UR erreicht. «Jeder Lastwagen muss die Autobahn verlassen und zum Schwerverkehrszentrum fahren. Hier werden die Fahrzeuge dann bei grossem Verkehrsaufkommen dosiert und dann tröpfchenweise zurück auf die Autobahn in Richtung Gotthard entlassen», erklärt er und hält ein Schild mit der Aufschrift «S» hoch. Dieses signalisiere dem Personal der Dosierstelle, dass er einen Transport innerhalb der Schweiz ausführe und dadurch werde er privilegiert behandelt.
Doch an dem Tag, als Blick den Chauffeur begleitet, braucht er die bevorzugte Behandlung nicht. «So etwas habe ich ja noch nie gesehen!», ruft der Familienvater, der seit Kindesbeinen vom Fahren mit solch grossen Gefährten träumt. «Normalerweise stehen die Lastwagen hier Schlange.»
Glück im Unglück?
Trotz des geschlossenen Gotthard-Basistunnels scheint es nicht wie im Bienenhaus zu und herzugehen. «Vermutlich wegen der Ferragosto, der grossen Sommerferienpause von Italien. Das bedeutet, dass viele Firmen Betriebsferien haben», so Hüsler. Das bestätigt auch sein Chef, Daniel Schöni: «Wäre das Unglück im Mai oder Juni passiert, sähe das alles noch einmal ganz anders aus und wir hätten echt ein Problem.»
Staufrei erreicht der Teilzeit-Chauffeur, der hauptsächlich als Elektrotechniker bei den SBB arbeitet, sein Ziel im Tessin, lädt die Ware ab und passiert schliesslich ohne Verzögerungen die Grenze nach Italien. Dort wartet der Wein bereits im Kühlanhänger. «Jetzt kurz umsatteln und dann wieder zurück nach Rothrist», so der Familienvater weiter. «Wenn wir wieder so gut durchkommen, sind wir bereits um 16 Uhr zurück!»
Unverständnis der Autofahrer
Tatsächlich steht dann jedoch eine kleine Blechlawine vor dem Süd-Portal – doch nach weniger als 30 Minuten Wartezeit, kann der LKW-Chauffeur den Tunnel passieren. «So rund wie heute läuft das leider nicht immer», meint er.
«Der Verkehr hat in den letzten Jahren extrem zugenommen, das Verständnis der Leute für den zusätzlichen Lastwagenverkehr jedoch leider nicht wirklich.» Doch der LKW-Freak findet dennoch: «Ich lebe hier meinen Bubentraum!»