Der Unfall eines Güterzugs im Gotthard-Basistunnel sorgt für längerfristige Einschränkungen im Bahnverkehr durch dieses Nadelöhr der Nord-Süd-Achse. Wer nach Italien oder ins Tessin will, sieht sich möglicherweise mit veränderten und längeren Fahrzeiten konfrontiert, auch für den Güterverkehr gibt es Probleme. Blick beantwortet die wichtigsten Fragen.
Wie komme ich mit der Bahn nach Italien?
Die Züge von Zürich nach Genua sowie von Zürich nach Venedig verkehren weiterhin nonstop. Die Reise dauert eine Stunde länger als bisher, etwas über sechs (Genua) bzw. sieben (Venedig) Stunden. Dazu gibt es eine Direktverbindung von Bologna nach Zürich. Für die restlichen Italien-Verbindungen muss man in Chiasso TI umsteigen, die diversen täglichen Mailand-Züge stoppen dort. Damit können Italien-Routen je nach Zielort auch bis zu zwei Stunden länger als üblich dauern. (UPDATE: Ab dem 24. August verkehren die grenzüberschreitenden Züge von und nach Italien grösstenteils wieder direkt. Die Reisezeit verlängert sich noch um 60 statt um bis zu 120 Minuten. Die von und nach Basel via Gotthard verkehrenden Eurocity-Verbindungen fallen zwischen Lugano und Mailand aus.)
Wer beispielsweise nach Florenz oder Bologna will, kann aber auch wie bisher in Mailand umsteigen – der Zug nach Venedig stoppt dort. Die SBB prüfen, ob sie zusätzliche internationale Nonstop-Verbindungen anbieten können.
Wichtig: Ab der Romandie und ab Bern führt die Route nach Italien durch den Lötschberg/Simplon-Tunnel. Dieser Verkehr findet völlig normal statt, also ohne Verspätungen oder Einschränkungen, in rund 3,5 Stunden. Reisende ab Basel können statt über Zürich via Bern nach Italien fahren, müssen aber in Bern umsteigen.
SBB-Sprecherin Sabrina Schellenberg rät: «Checken Sie immer ihre SBB-App oder die SBB-Website. Diese geben automatisch die besten Verbindungen für jede Route an.»
Wie komme ich ins Tessin?
Bis ein neues Sicherheitskonzept für die unbeschädigte Röhre des Basistunnels erarbeitet ist, verkehren alle SBB-Züge über die «Panoramastrecke», die durch den Gotthard-Scheiteltunnel führt. Es ist grundsätzlich mit einer verlängerten Reisezeit von einer Stunde zu rechnen. Ab der Romandie gibt es teils schnellere Verbindungen via Lötschberg und Domodossola und ab dort mit der Centovalli-Bahn nach Locarno. Auch hier lohnt sich der Blick in die App.
Verkehrt der Treno Gottardo der Südostbahn (SOB) wie bis anhin über die Gotthard-Bergstrecke?
Sämtliche Treno Gottardo verkehren nach Fahrplan. Es verkehren täglich 16 Treno-Gottardo-Züge pro Richtung durch den Gotthard-Scheiteltunnel. Gesamthaft sind pro Tag in beide Richtungen 39 Treno-Gottardo-Züge unterwegs – zu Randzeiten fahren nicht alle Züge die komplette Strecke ab.
Wie viel Kapazität bieten die SBB- und SOB-Züge?
Es gibt nicht weniger Verbindungen. Aber: Doppelstockzüge der SBB können nicht auf der Panoramastrecke fahren. Sie werden durch Giruno, ICN und Einheitswagen IV ersetzt. An Wochenenden stehen deshalb bis auf Weiteres bis zu 30 Prozent weniger Sitzplätze zur Verfügung – das dürften mehrere Tausend Sitze sein, die fehlen. Ein FV-Dosto-Doppelstöcker hat nämlich 1364 Plätze, ein Giruno aber nur 844. An Werktagen sei die Kapazität «leicht» eingeschränkt. Zusatzzüge sind nicht möglich.
Laut SOB-Sprecher Conradin Knabenhans gibt es bei Fahrten durch den Gotthard-Scheiteltunnel pro Zug wie üblich 359 Sitzplätze. Mehr geht nicht: «Die Perronkanten an gewissen Halteorten des Treno Gottardo in der Leventina sind nur 150 Meter lang, dasselbe gilt für Göschenen bei Gleis 1 – deshalb sind längere Züge nicht möglich.»
Auf den Abschnitten Basel/Zürich-Arth-Goldau-Erstfeld sind regelmässig Züge in Doppeltraktion mit 718 Sitzplätzen oder Zusatzzüge im Einsatz. «Um etwa Ausflugsreisenden im Urner Reusstal am Wochenende mehr Sitzplatzkapazitäten anzubieten», wie Knabenhans erklärt. Diese Kapazitäten stehen weiterhin zur Verfügung.
Kann ich das Velo mitnehmen?
Bei der SOB gab es bislang noch nie eine Veloplatz-Reservationspflicht. Ein Velobillett reichte. Die SBB halten es bislang so, dass es keine Reservationspflicht gibt für die Fahrt durch die Bergstrecke. SOB-Sprecher Knabenhans: «Wenn es zu viele Velos hat, kann ein Passagier schon mal abgewiesen werden.» Das kam bislang bei der SOB extrem selten vor. Bei der SBB könnte dies infolge der geringeren Kapazitäten aber zum Problem werden.
Sollte die Gotthard-Bergstrecke nicht geschlossen werden?
Die Gotthard-Bergstrecke wird von der SBB-Infrastruktur betrieben. Die SOB war in den letzten Jahren aber alleine dort unterwegs, saisonal hin und wieder ergänzt von Fahrten des Gotthard Panorama Express. Es gab Diskussionen über eine Schliessung, weil die SBB für den Streckenunterhalt bis zu 50 Millionen Franken pro Jahr ausgeben müssen. Aktuell sind die Bundesbahnen aber froh um diese Alternative.
Was bedeutet die Schliessung für die Bahnpreise?
SBB: Preisermässigungen sind nicht vorgesehen. Aber: Wer ein Billett für die Reise via Gotthard-Basistunnel vor dem 11. August 2023 gekauft hat und nun eine um 60 oder mehr Minuten längere Reisezeit hat, kann eine Verspätungsentschädigung einfordern. Wer die Reise nicht mehr antreten will, erhält den Billett-Betrag vollumfänglich erstattet. Immerhin: Die SBB wird aber voraussichtlich ab dem 24. August wieder Spartickets auf den Verbindungen von und ins Tessin anbieten.
SOB: Bis vor Kurzem konnte man mit dem Angebot Treno Gottardo Hit für 20 Franken bis nach Locarno fahren. Bereits gebuchte Tickets bleiben gültig. Sprecher Knabenhans hält aber fest: «Aufgrund der aktuellen Situation und den verminderten Sitzplatzkapazitäten auf der gesamten Gotthard-Achse werden wir darauf verzichten, die für Anfang September geplante nächste Verkaufskampagne des Treno Gottardo Hits zu starten.» Kurzfristige Sparbillette sind ebenfalls nicht erhältlich. Die vergünstigten SOB-Kombi-Angebote von Bahnfahrten und touristischen Leistungen (z.B. Besuch im Sasso San Gottardo) sind weiterhin erhältlich.
Reiseveranstalter: Mike Jakob von Bahnreisespezialist Railtour erklärt Blick: «Wir informieren betroffene Kunden laufend und helfen bei allfälligen Umbuchungen. Bislang hat kein Kunde seine Reise ins Tessin oder nach Italien abgesagt.» Trotz der längeren Reisezeiten sei die Planbarkeit der Reisen weiterhin gut.
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Wie geht es im Güterverkehr weiter?
Ab nächster Woche kann der Güterverkehr reduziert wieder rollen – drei Güterzüge pro Stunde sollen durch die unbeschädigte Oströhre können.
Die Logistiker sind trotzdem besorgt. Es fehlen Ausweichrouten, der Strassentransport muss einen Teil des Güterverkehrs absorbieren. Brigitte Tännler, Fachspezialistin Logistik bei der Railcare AG in Härkingen SO, fügt an: «Für Gefahrengut gibt es gar keine Lösung.» Der Strassentunnel darf nicht mit Gefahrengut befahren werden.