Erstklässlerin Fiona (6) und Drittklässlerin Leonie (8) mussten sich vor den Weihnachtsferien von ihren Schulgspänli verabschieden. Mutter Laura Knappe aus Bubikon ZH nimmt die Kinder per Januar aus der Schule und behält sie zu Hause auf ihrem Biobauernhof. Grund: Die 29-Jährige ist Massnahmengegnerin und mit Tests und anderen Schutzmassnahmen an der Schule ihrer Kinder nicht einverstanden. «Als die Maskenpflicht ab der ersten Klasse beschlossen wurde, hat man für mich eine rote Linie überschritten», sagt sie beim Treffen mit Blick. «Das stimmt für mich nicht. Und es stimmt auch für die Kinder nicht.»
So wie Knappe sehen das viele Eltern in der ganzen Schweiz: Manche unterrichten den Nachwuchs lieber zu Hause oder im Verbund mit anderen Eltern und Lehrern, die den Sinn von Corona-Schutzmassnahmen nicht erkennen.
Eltern wechseln sich als Lehrer ab
Auf der Skeptiker-Plattform Telegram vernetzten sie sich, geben sich gegenseitig Tipps zum Homeschooling, dem Unterricht am heimischen Küchentisch. Mehrere Tausend Eltern aus der ganzen Schweiz haben sich alleine in den letzten Wochen so zusammengetan. «Über 2350 Mitglieder finden es falsch, die Schulpflicht für medizinische Massnahmen zu missbrauchen», heisst es in der Beschreibung einer der Gruppen.
Die Eltern schreiben: «Ich möchte meine Tochter nicht mehr unter diesen Bedingungen in die Schule schicken. Wer in der Nähe möchte sich gerne zusammenschliessen und die Kinder abwechselnd unterrichten?» Andere sind schon weiter, haben sich bereits Unterrichtsräume gemietet. Es werden Fussball-Treffen für «Homeschooling-Kinder» angeboten und «Mädchen gesucht», um die Gruppen besser zu durchmischen. Auch Lehrer, die sich im Skeptiker-Milieu bewegen, bieten auf den Plattformen ihre Dienste an. Für Bildungsexperten ist dieser ideologisch aufgeladene Unterricht problematisch (siehe Box).
Kritiker-Eltern beschäftigen Behörden
Bei vielen kantonalen Schulbehörden sind diese Eltern ebenfalls ein Thema. Im Kanton Luzern komme es regelmässig vor, dass Eltern wegen der Maskenpflicht «drohen», ihre Kinder von der Schule abzumelden, falls die Maskenpflicht weiter gelte, heisst es vom Bildungs- und Kulturdepartement auf Anfrage von Blick. Im letzten Schuljahr habe man ein Homeschooling-Plus von 17 Prozent verzeichnet.
Ähnlich tönt es aus dem Kanton Aargau: «Zurzeit erhalten wir zahlreiche Anfragen von Eltern, die erwägen, ihr Kind ab der 1. Primarklasse privat zu unterrichten.» Die Zahl der Homeschooling-Kinder stieg im Kanton von 287 im Schuljahr 2018/2019 auf fast 400 im letzten Jahr. Einen Trend hin zu Homeschooling gab es im Kanton aber schon vor der Pandemie.
Deutlich ist die Entwicklung auch im Kanton Zürich: Befanden sich kurz vor Corona-Ausbruch 248 Kinder in Privatunterricht, waren es am 1. Dezember 2021 mehr als doppelt so viele (554). Der Effekt ist nicht in jedem Kanton zu sehen. Das dürfte auch daran liegen, dass die Hürden, die Kinder aus der Schule zu nehmen, in den unterschiedlichen Kantonen unterschiedlich hoch liegen.
Was halten die Kinder vom Heimunterricht?
Im Kanton Zürich liegen die Hürden für Privatunterricht bis zu einem Jahr sehr tief. Eltern wie Laura Knappe kommt das entgegen. Trotzdem: Der Lehrplan muss auch im Heimunterricht eingehalten werden. Dafür hat sich die gelernte Gärtnerin professionelle Hilfe geholt: «Den Basis-Schulstoff wird eine Heilpädagogin unterrichten. Und daneben bin ich auch noch da.» Bleibt die Frage: Ist für die Kinder die Trennung von den Schulfreunden und die Isolation zu Hause wirklich ein kleinerer Eingriff als Maske und Covid-Tests? Laura Knappe: «Wir haben hier einen Ponyhof, wo viele Kinder sind. Und sie dürfen ja weiterhin mit den Schulkollegen abmachen.»
Es sind übrigens nicht nur Corona-Skeptiker, die ihre Kinder aus den Schulen nehmen. Auch manche Eltern, denen die Schutzmassnahmen nicht weit genug gehen, unterrichten ihre Kinder lieber am Küchentisch. «Kurz vor Weihnachten gab es in unserer Schule sogar noch eine Chorprobe», schimpft etwa eine Mutter aus dem Kanton Schaffhausen gegenüber Blick. Kurz darauf liess sie ihren Nachwuchs krankschreiben.
Balz Müller (64) ist Lehrer und pädagogischer Leiter von Learning Culture, einem Lerninstitut in Zürich. Von Unterricht am Küchentisch ist Müller nicht unbedingt Fan, schon gar nicht, wenn er aus ideologischen Gründen erfolgt: «Für spezielle Fälle kann eine Homeschooling-Gruppe Sinn machen. Aber der Beweggrund sollte pädagogisch begründet sein. Beispiel: Mein Kind braucht jetzt eine intensive individuelle Förderung, um eine weiterführende Schule zu schaffen.»
Die Hürden für Homeschooling sind in manchen Kantonen sehr tief: «Es gibt keine Bedingung, dass die unterrichtende Person eine professionelle Ausbildung als Lehrperson besitzen muss. Das Mami oder der Papi können also auch einfach Mathematik oder Französisch unterrichten, wenn sie sich als dafür geeignet erachten, aber gar keine berufliche Qualifikationen haben. Das basiert auf Selbsteinschätzung.»
Müller ist nicht grundsätzlich gegen Einzelunterricht oder Unterricht in Kleingruppen. «Eine kleine Gruppe, um zu lernen, kann für eine begrenzte Zeit für ein Kind eine Chance sein. Es kann intensiver auf die Bedürfnisse und Schwächen des Kindes eingegangen werden. Die Effizienz wird erhöht.» Aber er relativiert auch: «Ich sage extra ‹für eine begrenzte Zeit›. Denn das soziale Lernen im Klassenverband ist sehr wichtig für die Teamfähigkeit und die persönliche Entwicklung.»
Hinzu kommt: Die wenigsten Kinder würden es gut finden, den ganzen Tag mit den Eltern zusammen zu sein, so Müller. «Ich denke, für die etwas älteren Kinder ist es nicht gerade berauschend, von den eigenen Eltern unterrichtet zu werden. Die Abgrenzung fehlt. Und die Abgrenzung ist Teil des Erwachsenwerdens. Dazu ist der intensive soziale Austausch mit einer Gruppe Gleichaltriger essenziell für die Ablösung von den Eltern und die Definition der eigenen Identität.»
Balz Müller (64) ist Lehrer und pädagogischer Leiter von Learning Culture, einem Lerninstitut in Zürich. Von Unterricht am Küchentisch ist Müller nicht unbedingt Fan, schon gar nicht, wenn er aus ideologischen Gründen erfolgt: «Für spezielle Fälle kann eine Homeschooling-Gruppe Sinn machen. Aber der Beweggrund sollte pädagogisch begründet sein. Beispiel: Mein Kind braucht jetzt eine intensive individuelle Förderung, um eine weiterführende Schule zu schaffen.»
Die Hürden für Homeschooling sind in manchen Kantonen sehr tief: «Es gibt keine Bedingung, dass die unterrichtende Person eine professionelle Ausbildung als Lehrperson besitzen muss. Das Mami oder der Papi können also auch einfach Mathematik oder Französisch unterrichten, wenn sie sich als dafür geeignet erachten, aber gar keine berufliche Qualifikationen haben. Das basiert auf Selbsteinschätzung.»
Müller ist nicht grundsätzlich gegen Einzelunterricht oder Unterricht in Kleingruppen. «Eine kleine Gruppe, um zu lernen, kann für eine begrenzte Zeit für ein Kind eine Chance sein. Es kann intensiver auf die Bedürfnisse und Schwächen des Kindes eingegangen werden. Die Effizienz wird erhöht.» Aber er relativiert auch: «Ich sage extra ‹für eine begrenzte Zeit›. Denn das soziale Lernen im Klassenverband ist sehr wichtig für die Teamfähigkeit und die persönliche Entwicklung.»
Hinzu kommt: Die wenigsten Kinder würden es gut finden, den ganzen Tag mit den Eltern zusammen zu sein, so Müller. «Ich denke, für die etwas älteren Kinder ist es nicht gerade berauschend, von den eigenen Eltern unterrichtet zu werden. Die Abgrenzung fehlt. Und die Abgrenzung ist Teil des Erwachsenwerdens. Dazu ist der intensive soziale Austausch mit einer Gruppe Gleichaltriger essenziell für die Ablösung von den Eltern und die Definition der eigenen Identität.»
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