Herr Thom, Unternehmen wie Nike oder JP Morgan haben bereits Filialen im Metaverse. Gibt es bald digitale Swica- oder Helsana-Schalter?
Marcel Thom: Wenn sich das Metaverse weiterentwickelt, dann wird es auch eine Swica- oder Helsana-Filiale geben. Es stellen sich interessante Fragen für Krankenversicherer. Wie geht man beispielsweise mit der Verschreibung von Medikamenten oder mit Rückerstattungen um? Ihre Rolle als Gesundheitspartner müssen diese Unternehmen natürlich auch im Metaverse einnehmen. Bis dahin muss im Metaverse aber noch viel passieren, momentan sind es ja nur erste Sprünge.
Welche Vorteile sehen Krankenversicherer oder Unternehmen der Gesundheitsbranche im Metaverse?
Was man jetzt schon machen kann, sind psychiatrische Behandlungen wie die sogenannten Aversionstherapien. Das Metaverse eröffnet aber auch andere Kanäle, mit Ärzten zu interagieren. Sie können zum Beispiel nach Operationen durch ihre Virtual-Reality-Brille beurteilen, wie der Heilungsprozess der Patienten fortschreitet. Dieses Prinzip nutzt auch das Zürcher Spital Balgrist: Experten aus aller Welt können via VR-Brille bei Operationen assistieren. Auch Trainings-Szenarien sind im Metaverse gut nachstellbar. Für die braucht es dann keine Körperteile von Verstorbenen mehr, etwa bei der Behandlung komplexer Brüche. Ein weiterer sehr wichtiger Bereich sind digitale Zwillinge. Der eigene Avatar wird mit persönlichen Gesundheitsdaten gefüttert, um die Auswirkungen von Medikamenten zu simulieren.
Arzt und Patient können dann also an zwei unterschiedlichen Orten sein. Gerade bei medizinischen Behandlungen ist das persönliche Vertrauen aber sehr wichtig. Schreckt zu viel Technologie nicht auch ab?
Das ist so, die Leute wollen den Kontakt zu ihrem Arzt. Es gibt aber Ausnahmen. Einerseits hat uns die Covid-Pandemie gezeigt, dass die Leute gerade bei kleinen Beschwerden bereit sind, sich digital untersuchen zu lassen. Die zweite Ausnahme sind schwerwiegende Fälle. Nach Operationen oder Chemotherapien ist das Immunsystem sehr geschwächt. Jeder Besuch im Spital wird hochriskant. Da kann es von Vorteil sein, die Nachbesprechung digital durchzuführen. In diesen Fällen kennt man den Arzt bereits persönlich. Sitzt der Experte, der ihr Leben retten kann, im Ausland, sind die Leute aber auch froh, wenn ein «Fremder» digital helfen kann.
Virtual-Reality-Brillen sind immer noch recht unhandliche Geräte. Welche Schritte in Richtung Benutzerfreundlichkeit müssen noch gemacht werden?
Damit die Metaverse-Erfahrung wirklich überzeugend ist, müssen die Brillen weiterentwickelt werden. Die aktuellen VR-Brillen sind zu schwer, um sie den ganzen Tag lang zu tragen. Die Technologie wird sich aber schnell entwickeln.
Auch der Datenschutz ist ein wichtiges Thema im Gesundheitsbereich. Steigt mit zunehmender Digitalisierung nicht der Kontrollverlust?
Wenn man mehr und mehr Daten sammelt, ist natürlich ein Risiko da. Es gibt Möglichkeiten Daten besser zu schützen, das wird oft jedoch nicht getan. Cyberangriffe kann man auch nur verlangsamen, aber nicht gänzlich verhindern. Es wird im Bereich der Digitalisierung jedoch auch immer etwas überdramatisiert. Patientendaten beim Arzt auf Papier können auch verloren gehen, oder in die falschen Hände geraten. Man darf die Technologie nicht verteufeln.
Metaverse ist ein sehr breiter Begriff, der für Plattformen von verschiedenen Unternehmen steht. Soll die Schweizer Gesundheitsbranche eigene Lösungen entwickeln, oder besser mit den grossen Playern zusammenarbeiten?
Es wird verschiedene miteinander verbundene Plattformen geben. Eine Schweizer Lösung, die an den Landesgrenzen aufhört, hat keinen Sinn. Vielmehr wird es Schweizer Webseiten geben, auf die man aus der ganzen Welt zugreifen kann.
Wie schneidet die Schweizer Gesundheitsbranche im Vergleich mit dem Ausland ab, wenn es um die Digitalisierung geht?
Die Schweiz ist da sicherlich nicht führend und auch im Vergleich mit ihren deutschsprachigen Nachbarländern nicht allzu dominant. Dabei könnte die Schweiz mit ihrer kleinen Bevölkerungszahl und grossem Wohlstand eigentlich federführend sein. Es gibt zwar gute Start-ups, aber es wird hierzulande nicht im gleichen Masse Geld in die Digitalisierung gepumpt wie beispielsweise in Amerika, Indien, China oder England. Die Faxgeräte in den Schweizer Spitälern, die in der Corona-Zeit wieder zum Einsatz gekommen sind, waren kein guter Ausweis.
Wünschen Sie sich mehr Anreize von staatlicher Seite, um der Rückständigkeit der Schweiz im Bereich der Digitalisierung abzuhelfen?
Ich denke nicht, dass der Staat allein vorgehen sollte, aber vor allem für die Forschung sollte die Eidgenossenschaft Anreize geben. Der Staat muss Innovationen und neue Systeme finanziell fördern, klare Regeln setzen und Schnittstellen schaffen.
Gerade grosse Unternehmen tun sich häufig schwer mit Veränderungen und Digitalisierung. Sind Schweizer Unternehmen der Gesundheitsbranche überhaupt bereit, Zeit und Geld in neue Technologien zu investieren?
Das Geld ist auf jeden Fall vorhanden. Die Gesundheitskosten in der Schweiz steigen immer weiter, eine Motivation für Veränderung ist also gegeben. Viele Pharmaunternehmen sind zudem international tätig und müssen mit der ausländischen Konkurrenz mithalten. Aber ist der Druck so gross, dass die Schweizer Gesundheitsbranche sich unmittelbar verändern muss? Wir ruhen uns noch auf unserem Wohlstand und unserem bislang sehr guten medizinischen System aus. Neue Technologien werden aufgrund der bestehenden hervorragenden Infrastruktur leider nur als zusätzliches Medium gesehen.
Momentan sind Metaverse und Co. nur ein zusätzlicher Kanal. In wie vielen Jahren werden sie Standard sein?
Telemedizin ist schon in der Corona-Krise durch die Decke gegangen. Das war aber ein Spezialfall. Bis das Metaverse der Standard für medizinische Untersuchungen wird, wird noch etwas Zeit vergehen, da die Technologie momentan einfach noch nicht weit genug ist. Für einzelne, einfache Krankheitsbilder wird es schneller soweit sein, aber Operationen werden wohl vorerst weiterhin physisch durchgeführt (lacht).
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