Blick war im Metaverse – so verrückt ist unsere Zukunft
Die grösste Revolution seit dem Internet

Videokonferenzen sollen vom Metaverse abgelöst werden. Der Facebook-Konzern plant die grösste Revolution seit der Erfindung des Internets. Arbeiten, lernen, Familie treffen – ein Grossteil unseres Lebens könnte sich im virtuellen Raum abspielen. Blick ist eingetaucht.
Publiziert: 30.05.2022 um 00:28 Uhr
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Blick-Wirtschaftsredaktor Nicola Imfeld taucht ins Metaverse ein.
Foto: Philippe Rossier
Christian Dorer und Nicola Imfeld

Und plötzlich streckt mir Tiffany ihre offene Hand entgegen. «Gib mir ein ‹High five›», sagt sie und lächelt. Zögerlich hebe ich meine Hand und schlage ein. Ich sehe mit meinen eigenen Augen, wie sich unsere Hände berühren. Ich höre auch den Schlag. Nur spüren tue ich nichts.

Tiffany ist eine Mitarbeiterin vom Facebook-Konzern Meta. Sie befindet sich in London. Ich in Davos. Trotzdem sind wir zusammen in einem Sitzungszimmer. Sie ist in der Gestalt einer blonden Kunstfigur, die sich bewegt und redet wie die echte Tiffany. Möglich macht das eine klobige Brille auf meinem Kopf, die mich in eine andere Wirklichkeit führt.

Ich blicke aus dem Fenster. Um uns türmen sich Wolkenkratzer. Weit unten sehe ich Fussgänger, Autos und eine Metro. «Lust auf Strand?», fragt Tiffany und beugt sich über ihr Tablet. Mir wird für einen kurzen Augenblick schwarz vor Augen. Dann höre ich das Meer. «Nicht schlecht, oder?», sagt Tiffany.

«Das Metaverse ist die nächste grosse Sache»

Meta hat vergangene Woche am World Economic Forum (WEF) in Davos das Metaverse vorgestellt. Der US-Konzern will mit Virtual Reality (VR) nichts Geringeres als die Arbeitswelt und später unser ganzes Leben revolutionieren. «Das Metaverse ist die nächste grosse Sache», sagt Meta-Produktleiter Chris Cox (39) gegenüber Blick. «Das wird so disruptiv sein wie das Internet. Bisher waren wir auf einem Bildschirm, künftig sind wir im dreidimensionalen Raum.»

Mit Beginn der Pandemie wurden aus physischen Sitzungen auf einen Schlag Videokonferenzen. Innert Wochen krempelten Unternehmen weltweit ihre bisherigen Arbeitsabläufe um. Die Lockdowns sind mittlerweile vorüber, das Homeoffice ist vielerorts geblieben.

Ein Treffen im Metaverse sei viel authentischer als ein Videocall, bei dem Stimmung und Emotionen verloren gehen, sagt Cox. «Mit Covid gab es eine riesige Zunahme von Videocalls.» Das Bedürfnis werde bleiben. «Gleichzeitig sind alle etwas müde von diesen Meetings. Hier bietet das Metaverse viel mehr.»

Hybrides Modell, damit jeder dabei ist

Im Sitzungszimmer am Strand geht plötzlich der Fernseher an. Stephanie, eine Meta-Mitarbeiterin aus Paris, schaltet sich zu. Sie erscheint auf dem Bildschirm nicht als Kunstfigur, sondern in echt. «Bonjour», sagt sie und winkt. «Stephanie ist in einer Videokonferenz, sie sieht uns auf ihrem Bildschirm als Avatare», erklärt Tiffany. Stephanie hat keine klobige Brille auf. Dennoch ist es ihr möglich, an der Sitzung im Metaverse teilzunehmen.

Meta hat sich zu diesem hybriden Modell entschieden, um von Anfang an alle Mitarbeitenden eines Unternehmens ans Metaverse anzuschliessen. Ende Jahr will der US-Gigant auf erste Grosskonzerne zugehen. Interessenten gibt es genug. «Im Moment arbeiten wir aber noch an unseren Workrooms», sagt Cox.

Ärzte, Pilotinnen und Architekten sollen im Metaverse arbeiten

Tatsächlich funktioniert noch nicht alles einwandfrei im Metaverse. Wenn man die eigene Hand zu schnell bewegt, kommt das Auge nicht nach. Eine Panne, die es auszumerzen gilt. Tiffany will darauf nicht gross eingehen. Sie hat die Sitzung mittlerweile in eine Bergwelt verlegt und zeigt vor, wie man im Metaverse Notizen machen kann. «Tippe auf deiner Tastatur, die vor dir in Davos liegt», sagt sie. Tatsächlich erscheinen auf meinem Tablet im Metaverse Buchstaben. «Das kann man alles ins richtige Leben transferieren», verspricht sie.

Dieses «richtige Leben» könnte sich in den kommenden Jahren verändern, wenn es nach Meta geht. Ärzte sollen künftig im Metaverse heikle Operationen üben, Pilotinnen im ausgeklügelten Flugsimulator trainieren, Architekten und Autodesignerinnen ihre ungebauten Häuser und Fahrzeuge begutachten. «Wenn die Familie über die ganze Welt verteilt ist, lässt sich im Metaverse ein Treffen am Wohnzimmertisch organisieren», sagt Cox.

«Wir wollen die Realität nicht ersetzen»

Die Frage des Datenschutzes hat für Meta hohe Priorität, sagt Cox. Eine Sitzung im Metaverse könne weder aufgenommen noch gespeichert werden. Gleichzeitig räumt er ein, dass ein virtuelles Treffen nicht gleich authentisch sei wie die Realität. «Wir wollen diese auch nicht ersetzen», versichert er. Vielmehr werde das Metaverse das Pendeln für viele überflüssig machen. Es sei gut für Umwelt, Produktivität und Mental Health.

Die unbequeme, grosse Brille, die frisch gestylte Frisuren platt drückt, soll langfristig einer ganz normalen Brille und einem kleinen Steuergerät weichen, das man sich in die Hosentasche steckt. «Wir stehen ganz am Anfang – wie damals, als das Internet erfunden worden ist», sagt Cox.

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