Die Zürcherin Céline H.* (23) lebte bis vor zwei Jahren ein glückliches und gesundes Leben. Wie viele junge Frauen in ihrem Alter zog sie mit ihrem Freund zusammen und hatte einen guten Job. Seit einer Corona-Infektion im Dezember 2021 ist alles anders: Die junge Frau ist bettlägerig und auf Vollzeitpflege angewiesen, kann weder lange sprechen noch selbständig essen.
«Nach der Covid-Infektion hat sich Céline nicht mehr richtig erholt», sagen ihre Eltern zu Blick. «Sie war zunehmend erschöpft, konnte sich im Job nicht mehr konzentrieren und war licht- und lärmempfindlich.» Diese Symptome seien auch Wochen und Monate später nicht mehr verschwunden, hätten sich verschlimmert. Die Vermutung: Céline leidet am Post-Covid Syndrom, umgangssprachlich auch als Long Covid bekannt.
«Sie hat alles verloren»
Die Familie war bei zahlreichen Ärzten und probierte verschiedene Therapien. Dabei setzten die Ärzte hauptsächlich auf körperliche Aktivierung. Nichts half. Im Gegenteil. «Jedes Mal, wenn sich Céline körperlich anstrengte, ging es ihr mehrere Tage hundeelend», berichten sie weiter. Céline, die sich zweimal gegen Corona hatte impfen lassen, erlitt durch die Behandlungen sogenannte Crashs. Will heissen: Ihr Zustand verschlechtert sich für einen Moment oder über mehrere Wochen derart, dass sie kaum noch sprechen und ihre Hände nicht mehr bewegen kann.
Erst rund ein Jahr nach der Erkrankung wurde dann die Diagnose gestellt: «ME/CFS Long Covid – also ein chronisches Erschöpfungssyndrom nach einer Corona-Infektion.» Aufgrund ihres Zustands musste Céline wieder zu ihren Eltern ziehen, ihr Freund trennte sich von ihr. «Céline hat alles verloren», sagt der Vater. Besuche bei Freunden, Treffen mit der Familie oder einfach nach draussen gehen ist für die 23-Jährige zur Unmöglichkeit geworden – nach so einer Erfahrung würde sie wieder einen Crash erleiden. Céline bekommt derzeit fünfmal am Tag Pflege von der Spitex. Ihr grösster Wunsch: «Ich will endlich wieder einmal alleine meine Haare waschen können.»
Blutwäsche könnte Linderung schaffen
Célines Eltern investieren viel Geld und Zeit in Fürsorge und Behandlung, die auf eine Linderung abzielen sollen. «Die Krankentaggeldversicherung ist im Dezember 2023 ausgelaufen und die IV-Rentenprüfung zieht und zieht sich.» Lediglich eine Hilflosenentschädigung bekommt sie derzeit.
Die Familie hat jetzt die Hoffnung, dass eine ärztlich empfohlene Blutwäsche Célines Symptome lindern kann. Bei der H.E.L.P.-Apherese werden aus Blut oder Blutplasma gezielt Blutbestandteile oder krankheitsverursachende Stoffe entfernt. Das gereinigte Blut beziehungsweise Blutplasma fliesst im Anschluss wieder in den Körper zurück. Es gibt noch keine wissenschaftlichen Studien zur langfristigen Wirkung dieser Methode bei Long Covid. Das liegt daran, dass es bisher keine unabhängigen Berichte neben denen der Anbieter gibt. In der Schweiz forschten zwei Mediziner der Universität Zürich über längere Zeit zu dem Thema. Wie der «Tages-Anzeiger» im Oktober 2023 berichtet, wollten sie die der H.E.L.P-Aphrese in einer placebokontrollierten Studie überprüfen. Mit rund 140 Long-Covid-Patienten sollte ihre Wirksamkeit im Vergleich zu einer Scheinbehandlung zum ersten Mal überhaupt überprüft werden. Das Vorhaben scheiterte an der fehlenden Finanzierung.
Krankenkasse übernimmt Kosten nicht
Die Patientenorganisation Long Covid Schweiz hält auf ihrer Website fest, dass die Erfahrungen der Patienten unterschiedlich sind: Manche berichten von einer Besserung, während andere keine Veränderung spüren. Die Hoffnungen der Patienten sind laut der Organisation jedoch nicht unbegründet, da der Wirkmechanismus der Aphrese als plausibel betrachtet wird.
Die Kosten für diese Behandlung bezahlt die Krankenkasse nicht. Deshalb hat die Familie einen Spendenaufruf auf Gofundme.com eingerichtet. «Unser Ziel ist es, so viele Mittel zu sammeln, damit wir die Behandlungskosten und eventuelle begleitende Ausgaben wie Transportkosten decken können.» Diese belaufen sich insgesamt auf rund 30'000 Franken.
«Das Leiden ist unsichtbar»
Die Schweizer Covid-Taskforce schätzte im Februar 2022, dass bis zu 20 Prozent der an Covid-19 erkrankten Personen länger andauernde gesundheitliche Beschwerden haben werden. Maja Strasser (50), Fachärztin für Neurologie mit Praxis in Solothurn, sagte Blick damals: «Wenn Long Covid stark und chronisch ist, geht die Krankheit über in eine ME/CFS.» Die Symptome sind vielfältig: «Viele schwer Betroffene haben eine extreme Reizüberempfindlichkeit. Zentral ist eine Kombination aus krankhafter Erschöpfung, Belastungsintoleranz und, bei Überbelastung, einem Crash.» Die Lebensqualität der Patienten sei stark beeinträchtigt, die Akzeptanz im Umfeld für die unsichtbare Krankheit oft kaum oder nicht vorhanden.
Auch Célines Eltern sprechen von fehlender Sichtbarkeit. «Die meisten Menschen können sich nicht vorstellen, wie so eine Krankheit aussieht. Man sieht die Patienten und ihr Leiden nicht.» Dies führe dazu, dass sich Vergessenheit einstelle. Doch die Eltern sehen auch die Politik in der Pflicht: «Betroffene Erkrankte müssen damit leben, dass die Forschung noch keine Antworten zur Heilung kennt und, als wäre das nicht schwer genug, müssen sie sich mit existenzsichernden Massnahmen herumschlagen.» Wichtig sei vor allem, dass in Gesellschaft und Politik ein Bewusstsein für diese Krankheit entsteht. «Nur auf diesem Weg kann es gelingen, dass Erkrankte schneller und einfacher Unterstützung erhalten.»
Trotz der Schwere ihrer Krankheit sind die Eltern beeindruckt, wie Céline ihr Leben bestreitet. «Sie gibt nicht auf und glaubt fest daran, dass sie irgendwann wieder ein normales Leben führen kann.»
*Name bekannt
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