Mit Hut und stark verdunkelter Sonnenbrille öffnet Daniela Caviglia (55) in ihrem Daheim im Kanton Basel-Landschaft die Türe. Sie guckt nur kurz raus, dann hält sie sich schmerzerfüllt die Hände vor das Gesicht: «Die Sonnenreflexionen in den Autoscheiben sind so grell, das tut trotz Sonnenbrille unfassbar weh! Manchmal sehe ich danach minutenlang gar nichts mehr – deswegen meide ich das Tageslicht.» Sie führt in ihre Stube: Die blickdichten Vorhänge sind zugezogen, alles ist dunkel.
Sie beginnt mit leiser Stimme zu erzählen: «Ich stand mitten im Leben, war unter anderem Chefredaktorin von zwei Fachzeitschriften und selbstständig mit einem Kommunikationsunternehmen. Aber ich bin seit dem Frühjahr 2022 zweimal schwer an Corona erkrankt.» Die Symptome der Erkrankung seien auch Wochen und Monate später einfach nicht mehr verschwunden, hätten sich gar verschlimmert.
Diagnose erst nach einem Jahr
«Etwa mit Sport habe ich versucht, mich wieder auf den richtigen Weg zu bringen und mich fit zu machen. Aber jedes Mal, wenn ich auch nur eine Viertelstunde auf dem Crosstrainer war, ging es mir zwei Tage lang hundeelend und ich hatte wieder Corona-Symptome», berichtet sie weiter. Je mehr sie gekämpft habe, desto mehr habe ihr Körper rebelliert und Ruhe eingefordert.
«Meine Ärztin hat mich nicht wirklich ernst genommen, auch die ersten beiden Neurologen konnten nichts feststellen. Ein Kardiologe hat mein Herz untersucht, das war auch gesund», so die Baselbieterin. «Erst ein Jahr nach der Erkrankung wurde dann die Diagnose gestellt: ME/CFS – also ein chronisches Erschöpfungssyndrom nach einer Corona-Infektion.»
17 Millionen Menschen weltweit betroffen
Mit ihrer Diagnose ist sie nicht alleine: Die Schweizer Covid-Taskforce schätzte im Februar 2022, dass bis zu 20 Prozent der an Covid-19 erkrankten Personen länger andauernde gesundheitliche Beschwerden haben werden. In der Schweiz werden laut dem Verein Long Covid Schweiz jedoch keine statistischen Daten zu Long Covid erhoben.
Maja Strasser (50), Fachärztin für Neurologie mit Praxis in Solothurn, erklärt: «Wenn Long Covid stark und chronisch ist, geht die Krankheit über in eine ME/CFS.» Die Symptome sind vielfältig: «Viele schwer Betroffene haben eine extreme Reizüberempfindlichkeit. Zentral ist eine Kombination aus krankhafter Erschöpfung, Belastungsintoleranz und, bei Überbelastung, einem Crash (Post-Exertional Malaise).» Die Lebensqualität der Patienten sei stark beeinträchtigt, die Akzeptanz im Umfeld für die unsichtbare Krankheit oft kaum oder nicht vorhanden.
Die Krankheit ist laut der Expertin noch wenig erforscht: «ME/CFS ist ein Stiefkind der Medizin. Es wird behandelt wie eine sehr seltene Krankheit – und das, obwohl sie überhaupt nicht selten ist.» Die Krankheit trete seit der Pandemie nun sogar noch häufiger auf, als vorher. «Bei einem voll ausgeprägten ME/CFS sind die Heilungschancen leider sehr schlecht. Man behandelt vor allem symptomatisch», so die Medizinerin weiter.
«Nur an sehr bewölkten Tagen verlasse ich das Haus»
Auch Daniela Caviglia berichtet von einer starken Einschränkung: «Ich kann mich nur noch schwer konzentrieren und es gibt Tage, an denen ich kaum noch sprechen kann.» Sie sei dauerhaft erschöpft: «Ich liege bis zu 22 Stunden pro Tag im Bett.» Licht vertrage sie nicht: «Nur an sehr bewölkten Tagen verlasse ich das Haus – und auch dann nur mit Sonnenbrille und Hut.»
Laute Geräusche halte sie nicht aus: «Auch auf Gerüche bin ich extrem sensibel. Mein Lebenspartner hat kürzlich im Bett neben mir Gummibärchen gegessen und vom Duft musste ich brechen.» Besuche bei Freunden, Treffen mit der Familie oder einfach mit den Hunden eine Runde Gassi gehen ist für die 55-Jährige zur Unmöglichkeit geworden – nach so einer Erfahrung erleide sie ansonsten jeweils einen sogenannten «Crash». Das bedeute, dass sich ihr Zustand für einen Moment oder sogar dauerhaft verschlechtere.
Hunde geben ihr Kraft
«Ich kann auch nicht mehr arbeiten, das geht einfach nicht mehr.» Bislang kriege sie noch keine finanzielle Hilfe, beispielsweise von der IV – ob sie die jemals kriegt, daran zweifelt sie.
Ein wenig Lebensfreude geben ihr ihre beiden Vierbeiner sowie ihre Liebsten. Aufgrund der schlechten Heilungschancen hat sich Caviglia jedoch bei einer Sterbehilfeorganisation angemeldet: «So kann ich dem Leiden irgendwann selbst ein Ende setzen.»
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