«Es fühlte sich an, als würde mein ganzes System abstürzen», sagt Otmar Hilliges (44) zum «Tages-Anzeiger». Der Informatikprofessor an der ETH hat kaum noch die Kraft, das Bett zu verlassen. Selbst das Sonnenlicht ist eine Belastung. Sein Schlafzimmer ist abgedunkelt. Trotzdem trägt er noch zusätzlich eine Schlafmaske. «Es ist der absolute Albtraum.»
Vor einem Jahr war der 44-Jährige noch fit, lief Halbmarathon. Jetzt hat er gerade noch die Kraft, um sich für eine Viertelstunde zu unterhalten. Er liegt nur noch im Bett. Auch um zu essen, steht er nicht mehr auf. Der Grund für sein Martyrium: Corona. Hilliges leidet an Long Covid.
Plötzlich heftige Kopfschmerzen und Schweissausbrüche
Dabei sah es zunächst nach einer harmlosen Corona-Infektion aus. Ein bisschen Fieber und Kopfschmerzen. Unwohlsein eben. Nichts Besonderes. Und dann geht es Otmar Hilliges auch schon wieder besser. Das war im Oktober 2022. Nur etwas hat sich verändert. Der ETH-Professor ist plötzlich öfter erschöpft.
Dann kommt ein Tinnitus hinzu. Und im Januar 2023 erwischt es ihn erneut. Corona! Erneut klingen die Symptome rasch ab. Die Müdigkeit bleibt. Am 24. März 2023 jedoch passiert etwas mit ihm. Er bekommt am Abend besonders starke Kopfschmerzen, kalter Schweiss bildet sich auf seinem Körper. «Wie wenn mir Batteriesäure aus dem Hirn über die Wirbelsäule laufen würde», habe er sich gefühlt, sagt er zum «Tagesanzeiger».
Auch der Sohn leidet an Long Covid
Dann stellt sich raus: Er hatte einen sogenannten Crash. Der Körper schaltet in den Notfallmodus. Typisch für Long Covid. In den folgenden Tagen hat Hilliges mehrere davon. Kurz darauf stellen die Ärzte die Diagnose: chronisches Erschöpfungssyndrom (CFS/ME). Die Krankheit ist so gut wie unerforscht. Die genauen Ursachen sind unklar.
Betroffene leiden unter verschiedenen Symptomen wie Schmerzen, Schwäche, Konzentrationsschwierigkeiten und extremer Müdigkeit. Die Krankheit tritt oft nach einem Virusinfekt wie beispielsweise dem Pfeifferschen Drüsenfieber oder Covid-19 auf.
Nicht nur Otmar Hilliges, sondern auch sein Sohn Kai (11) hat Long Covid. Auch bei ihm wurde CFS/ME diagnostiziert. Er geht nicht mehr zur Schule, bekommt Unterricht zu Hause. Amy Hilliges kümmert sich um die beiden. Die Ehefrau und Mutter hat dafür bei ihrer Arbeit das Pensum reduziert.
Hoffnung für Long-Covid-Patienten
Genaue Zahlen, wie viele Long-Covid-Fälle es in der Schweiz gibt, existieren nicht. Schätzungen gehen von rund 300'000 Patienten aus. Bisher ist es nur wenig über die Krankheit bekannt, insbesondere über die Therapie. Der ETH-Professor gibt die Hoffnung aber nicht auf, dass die Medizin ein Heilmittel findet. «Ich bin eben Wissenschaftler und weiss, wozu die Wissenschaft fähig ist.»
Und tatsächlich tut sich was. Mitte Januar wurde bekannt, dass es einem Zürcher Forschungsteam gelungen ist, in den Blut-Proteinen von Long-Covid-Betroffenen ein Muster zu identifizieren. Dies könnte laut den Wissenschaftlern künftig dazu dienen, Long Covid besser zu diagnostizieren und allenfalls auch gezielter zu behandeln. (jmh)