Lehrer fordern mehr Meinung im Unterricht – «zum Erhalt der Demokratie»
Wie politisch soll unsere Schule sein?

Der Lehrerverband verlangt Massnahmen zur Stärkung der Demokratie. Und warnt vor zunehmenden Versuchen, die politische Bildung in Verruf zu bringen.
Publiziert: 30.03.2025 um 00:01 Uhr
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Aktualisiert: 30.03.2025 um 18:15 Uhr
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Der Dachverband der Schweizer Lehrpersonen will die politische Bildung stärken.
Foto: Keystone

Darum gehts

  • Schüler sollen lernen, sich eine eigene Meinung zu bilden – auch Lehrpersonen sollen ihre Ansichten einbringen
  • Der Lehrerverband warnt vor einer Diskreditierung der politischen Bildung
  • Der Kanton Aargau nimmt eine Vorreiterrolle ein
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Fabian EberhardStv. Chefredaktor SonntagsBlick

Eine strenge Ermahnung spricht der Dachverband der Schweizer Lehrerinnen und Lehrer (LCH) in seinem neusten Positionspapier aus: «Demokratie hat keine Ewigkeitsgarantie», warnen die Pädagoginnen und Pädagogen. Viele Jugendliche hätten ihr Vertrauen in die Politik verloren, autoritäre Denkweisen fänden vermehrt Zuspruch unter ihnen. Daher bestehe «dringender Handlungsbedarf». Mit Nachdruck fordert der Lehrerverband, dass die politische Bildung in der Schule gestärkt wird – «zum Erhalt der Demokratie».

In dem 18-seitigen Papier, verfasst im Jahr 2024, schlagen die Lehrpersonen eine Reihe von Massnahmen vor. Die politische Bildung müsse in den Lehrplänen besser verankert und klarer definiert werden – vom Kindergarten bis zu den Gymnasien und Berufsfachschulen.

Lehrpersonen sollen ihre Meinung einbringen

Unter politischer Bildung verstehen die Autoren mehr als nur Staatskunde. In Zeiten von Krieg und Krisen sollten Schülerinnen und Schüler ermutigt werden, sich kritisch mit politischen Themen auseinanderzusetzen. Zwar müsse die Schule laut LCH parteipolitisch und religiös neutral bleiben, sie sei aber nicht wertneutral: «Lehrpersonen sollen demokratische und humanistische Werte vermitteln.»

Dabei dürften sie auch ihre eigene Meinung einbringen, findet der Verband, allerdings stets als persönliche Ansicht deklariert – und ohne dafür zu werben. Wichtig sei, dass auch alternative Positionen aufgezeigt werden, damit sich die Schülerinnen und Schüler selbst eine Meinung bilden können.

Beat A. Schwendimann, Projektleiter des Positionspapiers und Leiter Pädagogik beim LCH, sagt zu Blick: «Obwohl die Bedeutung der politischen Bildung breit anerkannt ist, bleibt ihre Umsetzung in der Praxis ungenügend.»

Die Schweiz sehe sich mit einer Gefährdung der demokratischen Kultur konfrontiert, durch Herausforderungen wie Populismus, Fake News, Verschwörungstheorien und eine tiefe Wahlbeteiligung bei jungen Wählerinnen und Wählern. Tatsächlich zeigen Studien, dass das Vertrauen von jungen Menschen in demokratische Institutionen abnimmt, während autoritäre Denkmuster an Einfluss gewinnen.

Verbot von Polit-Debatten

Wie politisch soll unsere Schule sein? Grundsätzlich befürworten alle grösseren Parteien politische Bildung im Unterricht – und so schreibt es auch der Lehrplan 21 vor. Dennoch fallen vor allem bürgerlich-konservative Kreise mit kritischen Voten gegen eine angebliche «Indoktrinierung» an Schweizer Schulen auf.

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FDP-Präsident Thierry Burkart warnte in einem Interview mit dem «Tages-Anzeiger»: «Heute werden in den Schulen teilweise fragwürdige Ideologien und woke Weltanschauungen verbreitet.» Im Kanton Waadt erliess Bildungsdirektor Fréderic Borloz (FDP) gar ein Verbot von Polit-Debatten an Schulen vor Wahlen.

Laut Lehrerverband nehmen Versuche zu, politische Bildung als parteiisch zu diskreditieren. «Gerade bei gesellschaftlich kontroversen Themen wie Klimawandel, Migration oder Menschenrechten geraten Lehrpersonen unter Druck», sagt LCH-Chefpädagoge Schwendimann – «sei es durch politische Akteure, Eltern oder bestimmte Interessengruppen.»

LCH-Präsidentin Dagmar Rösler befürchtet, dass manche Schulen gar nicht mehr wagen, heikle Themen anzusprechen, weil ihnen dann Indoktrination vorgeworfen werden könnte. Kinder seien interessiert und wissensdurstig, so die oberste Lehrerin. «Man muss der Schule aber auch das Vertrauen schenken, dass sie diese Themen wertfrei und neutral mit den Kindern anschaut.»

Der Aargau als Vorreiter

Rückendeckung erhalten die Lehrpersonen von den Schulleiterinnen und Schulleitern. Thomas Minder, Präsident des Schulleiterverbands (VSLCH): «Gerade in der jetzigen Zeit ist es wichtig, dass Schülerinnen und Schüler Fakten kennen, damit sie sich selber eine Meinung bilden können.» Auch Minder warnt vor Versuchen, die politische Bildung schlechtzureden. «Nicht wenige Lehrpersonen lassen sich dadurch verunsichern.»

Recherche-Hinweise

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Eine Vorreiterrolle nimmt der Kanton Aargau ein. Während die politische Bildung an den meisten Orten in bestehende Lektionen wie zum Beispiel Geschichte integriert wird, hat der Aargau daraus ein eigenes Schulfach gemacht. Seit 2022 ist in der dritten Oberstufe eine Wochenstunde für politische Bildung reserviert. Die Rückmeldungen seien bisher positiv.

Ob bald weitere Kantone folgen? Geht es nach dem Lehrerverband, soll die Schule in Zeiten von Donald Trump, AfD und Elon Musk verstärkt zu einem Ort der Aufklärung werden. Oder ausgedrückt in Worten aus dem Positionspapier: «Die Zukunft der Demokratie entscheidet sich auch in den Schulen.»

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