Mehrere Jahre lang arbeitete Sasha Filipenko (37) beim unabhängigen russischen TV-Sender Doschd. Dieser musste kurz nach Wladimir Putins (69) Angriff auf die Ukraine den Betrieb einstellen. Doch verstummt Filipenko nicht. Der Belarusse, der nach Kriegsausbruch in den Westen flüchtete, übt weiterhin harte Kritik an Russland.
«Es gibt ja absolut nichts Rationales, womit man Putins Vorgehen erklären könnte», sagt der Journalist und Schriftsteller gegenüber der «NZZ». «Im Endeffekt besteht sein Ziel darin, wieder eine Art Sowjetunion zu etablieren, mit der Ukraine, mit Belarus, Kasachstan, vielleicht irgendwann auch mit dem Baltikum.»
«Energie wichtiger als die Freiheit der Ukrainer»
Mit der westlichen Reaktion auf den Angriffskrieg ist Filipenko überhaupt nicht zufrieden. «Im Grunde macht der Westen genau das, womit Putin gerechnet hat, ausser dass Putin vielleicht überrascht ist über das Ausmass der Sanktionen.» Zusätzlich habe der russische Staatspräsident nicht mit dem erbitterten Widerstand gerechnet.
Trotz des Kampfwillens der Ukrainer und den unerwartet harten Sanktionen ist Filipenko enttäuscht. Denn es seien «seit Kriegsbeginn zig Milliarden Euro nach Russland geflossen für den Kauf von Öl und Gas. Das heisst, Putin kann sich darauf verlassen, dass Energie für europäische Wohnungen immer wichtiger sein wird als die Freiheit der Ukrainer und Russen.»
Keinen positiven Ausblick
Auch im eigenen Land hat sich Putin einen entscheidenden Vorteil verschafft. Kritiker müssen sich nämlich vor extrem harten Strafen fürchten. «Es hat genügt, um die Menschen so weit einzuschüchtern, dass sie sich nicht mehr auf die Strassen trauen», erklärt Filipenko.
Für den weiteren Verlauf von Russlands Krieg stellt der Journalist keine positive Prognose. «Er [Putin] wird so weit gehen, wie ihm Europa zu gehen erlaubt. Und mein Eindruck ist jetzt nicht, dass Europa ein wahnsinniges Problem damit hätte, wenn sich Putin die Länder holt, die zuvor zur Sowjetunion gehört haben.»
«Mehr als auswandern kann ich nicht»
Wegen seiner kritischen Meinung war Sasha Filipenko den Regierungen von Russland und Belarus schon vor dem Ukraine-Krieg ein Dorn im Auge. «2020 wurde in Belarus ein Strafverfahren gegen mich eingeleitet, und es drohte bei der Einreise mit relativ grosser Wahrscheinlichkeit die Verhaftung», erklärt er. «Seither fahre ich nicht mehr nach Belarus.»
Filipenko kann somit nicht mehr in sein eigenes Heimatland reisen. Und auch im Exil im Westen lebt er nicht in Sicherheit. Er sagt: «Mehr als auswandern kann ich nicht, alles andere steht ausserhalb meines Einflusses.» (obf)
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