Er ist traurig, aber vor allem wütend – und wie. «Mein Vater könnte noch leben. Jetzt neben mir sitzen, hätte er nur eine andere Krankenkasse gehabt», sagt Armin Riebli (52) aus Hergiswil NW zu Blick. Denn die Zürcher SLKK, die ehemalige Schweizerische Lehrerkrankenkasse, ging lieber vor Gericht, als die Krebstherapie für Karl Riebli-Föhn (†82) zu bezahlen.
Alles begann im September 2018. Damals litt der Senior an verschiedenen Schmerzen am Körper und liess sich am Kantonsspital Obwalden untersuchen. Dort entdecken die Ärzte einen Tumor. Krebs. Konkret: Non-Hodgkin-Lymphom.
Sofort beginnt eine Chemotherapie – und zunächst sieht es gut aus. Karl Riebli-Föhn scheint geheilt. Doch der Krebs kommt zurück. Während einer Computertomograpfie wird im Mai 2020 erneut ein Tumor gefunden. Eine zweite Chemotherapie beginnt. Doch die Heilungschancen sind gering. Die Ärzte raten dringend zu einer speziellen Krebsimmuntherapie. Nur die CAR-T-Zell-Therapie – Novartis vertreibt sie unter der Marke Kymriah – könne noch helfen. Die Erfolgschancen zwischen 50 und 60 Prozent machen Hoffnung.
Therapie gehört zur Grundversicherung
Der Innerschweizer wird an das Berner Inselspital überwiesen, das führend in der CAR-T-Zell-Therapie ist. Auch dort sind die Mediziner überzeugt, dass die Therapie notwendig ist – und dass es schnell gehen muss. Ansonsten würden Karl Riebli-Föhn nur noch wenige Monate bleiben. Trotzdem wird er nicht behandelt. Das Gesuch der Ärzte vom 27. Mai 2020 an die Krankenkasse wird abgelehnt.
Für Familie Riebli beginnt eine Odyssee. Die Krankenkasse will die Kosten partout nicht übernehmen, obwohl sie es müsste. Seit dem 1. Januar 2020 gehört die CAR-T-Zell-Therapie zur Grundleistung und steht daher auch im Anhang 1 der Krankenpflege-Leistungsverordnung (KLV).
Die Therapie ist allerdings teuer. Kostenpunkt: bis zu 370'000 Franken. «Und genau das Geld wollte sich die SLKK sparen. Mein Vater war ihnen das einfach nicht wert», klagt Armin Riebli an.
Ärzte der SLKK sind keine Onkologen
Die Krankenkasse begründet die Ablehnung damit, dass die WZW-Kriterien nicht erfüllt seien. Demnach muss eine Behandlung wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich sein. Und dies sei in diesem Fall nicht gegeben. «So ein Quatsch», sagt Riebli. «Die Therapie zählt zur Grundleistung. Das heisst, dass die Krankenkasse zahlen muss – ohne Wenn und Aber.»
Und trotzdem weigert sich die SLKK und beruft sich auf ihre Vertrauensärzte. Doch das sind keine Krebsspezialisten. «Einer ist Gynäkologe, der andere Facharzt für Innere Medizin», sagt Riebli und schüttelt dabei den Kopf.
Er stirbt einen Tag vor dem Urteil des Bundesgerichts
Der Chefarzt des Inselspitals wehrt sich gegen den Entscheid der Krankenkasse und erklärt, wie dringend sein Patient behandelt werden müsste, um eine Chance zu haben, weiterzuleben. Nichts geschieht. «In der Zwischenzeit hat der Krebs meinen Vater zerfressen. Er wurde von Tag zu Tag schwächer.» Während Karl Riebli-Föhn die Zeit davonrennt, kommt es schliesslich im Februar 2021 zum Prozess vor dem Verwaltungsgericht des Kantons Obwalden. Mit einem superprovisorischen Urteil: Die SLKK muss die Kosten übernehmen.
Doch noch immer bekommt der Innerschweizer nicht die lebensrettende Therapie. Die Krankenkasse zieht den Entscheid weiter vor das Bundesgericht. Und verliert wieder. Endlich könnte die CAR-T-Zell-Therapie beginnen – neun Monate später als geplant. Zu spät. Viel zu spät. Die vergeudete Zeit kostet den Senior nämlich das Leben. Karl Riebli-Föhn stirbt am 13. April 2021. Einen Tag vor dem Urteil des Bundesgerichts.
«Für Gerichtskosten war aber Geld da»
Die Angst um den Vater, der Kampf vor Gericht: All das hat Armin Riebli viel Kraft gekostet. Zurück bleibt nur eines: Wut. «Wie kann es sein, dass eine Krankenkasse so was machen darf? Die SLKK hat meinen Vater nur wegen des Geldes sterben lassen. Für Gerichtskosten war aber Geld da. Das ist pietätlos und rücksichtslos. Nicht mal eine Entschuldigung gab es nach all dem», klagt er an.
Besonders: Riebli-Föhn ist kein Einzelfall. Die Zürcher Krankenkasse lehnte bei einem weiteren Patienten (59), die CAR-Zell-Therapie ab und zog stattdessen vor Gericht. Er konnte das Geld für die Behandlung aufbringen und überlebte den Krebs, wie «Kassensturz» berichtet.
BAG hat Aufsichtsverfahren gegen die Krankenkasse eröffnet
Was sagt die SLKK zu dem Fall? Mehrmals bittet Blick die SLKK um eine Stellungnahme. Armin Riebli hat die SLKK dafür von der Schweigepflicht entbunden. Sie könnte also Auskunft geben und sich zu dem Fall äussern – doch die Versicherung tut nichts davon. Einzige Rückmeldung: kein Kommentar!
Auch dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) macht Riebli Vorwürfe. Das Amt habe früh von dem Vorgehen der Krankenkasse gewusst, aber nichts unternommen. BAG-Sprecher Grégoire Gogniat weist den Vorwurf zurück. «Als das BAG vom Fall erfahren hat, hat es bei der Krankenversicherung umgehend interveniert», sagt er zu Blick.
Man habe sofort ein aufsichtsrechtliches Verfahren eingeleitet. Die Untersuchung sei aber noch nicht abgeschlossen. Gleichzeitig verurteilt das BAG das Vorgehen. Gogniat zu Blick: «Es darf nicht sein, dass es in solchen Fällen zu Ungleichbehandlungen kommt, je nachdem, bei welcher Krankenversicherung ein Patient versichert ist.»
«Krankenkasse soll für den Tod meines Vaters bezahlen»
Das sieht auch Riebli so. Und appelliert deswegen auch an alle Versicherten in der Schweiz: «Grundversicherung ist nicht gleich Grundversicherung. Gerade kleine Krankenkassen versuchen, Geld zu sparen – auf Kosten der Patienten. Die SLKK hat meinen Vater sterben lassen. Für mich ist das vorsätzliche Tötung.»
Das habe der tragische Fall seines Vaters auf bittere Weise gezeigt. Riebli zu Blick: «Er dachte, dass er versichert sei und musste todkrank um sein Recht kämpfen. Wie kann es überhaupt sein, dass die Krankenkasse vor Gericht ziehen konnte? Es ist ein Skandal.»
Riebli prüft gerade, ob er die SLKK vor Gericht ziehen kann. «Ich will, dass die Krankenkasse für den Tod meines Vaters bezahlt. Schmerzensgeld. Und dass so etwas nie wieder passiert.»
Die CAR-T-Zell-Therapie ist eine Krebsbehandlung, die bei bestimmten Blut- und Lymphdrüsen-Krebsbehandlungen – also bei bestimmten Leukämien und Lymphomen – eingesetzt wird.
Dabei handelt es sich um eine Form der Immuntherapie. Heisst: Das körpereigene Abwehrsystem soll sich gegen die Tumorzellen richten. CAR steht für die Abkürzung «chimärer Antigenrezeptor». Der Antigenrezeptor wird aus unterschiedlichen Bestandteilen zusammengesetzt, die eigentlich nicht zusammengehören. Das bezeichnet man als Chimäre.
Konkret funktioniert das so: Eine Ärztin entnimmt einem Krebspatienten Blut. Daraus werden weisse Blutzellen gefiltert. Die anderen Blutbestandteile erhält der Patient zurück. In einem speziellen Labor werden den weissen Blutzellen künstlich hergestellte Erbinformationen hinzugefügt. Dadurch können diese Krebszellen erkennen und vernichten. Die umprogrammierten Zellen werden mit einer Infusion dem Patienten verabreicht. Im Körper docken sie an die Krebszellen an und zerstören diese schliesslich.
Nach der Behandlung kann es zu starken Nebenwirkungen kommen: von Nerven- oder Herzkreislaufschäden bis hin zu Entzündungsreaktionen wie dem Zytokin-Freisetzungssyndrom, das durch den massiven Zerfall von Krebszellen auftreten kann.
Die Immuntherapie mit CAR-T-Zellen ist seit Oktober 2018 in der Schweiz zugelassen. Sie ist allerdings mit Kosten von bis zu 370'000 Franken sehr teuer. Die Therapie darf in der Schweiz nur an spezialisierten Krebszentren durchgeführt werden, etwa am Inselspital Bern und in der Hirslanden-Klinik.
Tobias Ochsenbein
Die CAR-T-Zell-Therapie ist eine Krebsbehandlung, die bei bestimmten Blut- und Lymphdrüsen-Krebsbehandlungen – also bei bestimmten Leukämien und Lymphomen – eingesetzt wird.
Dabei handelt es sich um eine Form der Immuntherapie. Heisst: Das körpereigene Abwehrsystem soll sich gegen die Tumorzellen richten. CAR steht für die Abkürzung «chimärer Antigenrezeptor». Der Antigenrezeptor wird aus unterschiedlichen Bestandteilen zusammengesetzt, die eigentlich nicht zusammengehören. Das bezeichnet man als Chimäre.
Konkret funktioniert das so: Eine Ärztin entnimmt einem Krebspatienten Blut. Daraus werden weisse Blutzellen gefiltert. Die anderen Blutbestandteile erhält der Patient zurück. In einem speziellen Labor werden den weissen Blutzellen künstlich hergestellte Erbinformationen hinzugefügt. Dadurch können diese Krebszellen erkennen und vernichten. Die umprogrammierten Zellen werden mit einer Infusion dem Patienten verabreicht. Im Körper docken sie an die Krebszellen an und zerstören diese schliesslich.
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