Gopfried Stutz
Horrende Tarifunterschiede für eine Hüftoperation

Die Tarife für Spitalzusatzversicherungen sind laut Preisüberwacher «flächendeckend überhöht».
Publiziert: 23.10.2021 um 15:19 Uhr
Die Tarife für Spitalzusatzversicherungen sind nicht nur intransparent, sondern auch überhöht.
Foto: Keystone
Claude Chatelain-5.jpg
Claude ChatelainKolumnist und Wirtschafts-Publizist

Nehmen wir das Beispiel einer Hüftoperation. Das ist ein routinemässiger Eingriff, der dafür sorgt, dass alte Leute nicht mehr am Stock gehen müssen. Unter anderen auch ich.

Bei halbprivat versicherten Patientinnen und Patienten verlangte das Kantonsspital St. Gallen für einen solchen Eingriff 12'645 Franken. Das Kantonsspital Zug begnügte sich dagegen mit 6039 Franken. Das ist weniger als die Hälfte.

Die Zahlen hat das Branchenportal Medinside vor einem Jahr veröffentlicht. Sie betreffen das Jahr 2020 und gelten nur für eine Gruppe mittelgrosser Krankenversicherer. Um welche es sich handelt, ist nicht bekannt. Die Tarife für Spitalkostenzusatzversicherungen werden grundsätzlich einzeln verhandelt. Sie sind daher ein streng gehütetes Geheimnis. Kein Wunder bei diesen Unterschieden.

Aufgepasst: Operation, Spitalaufenthalt, Operateur, Anästhesie, Implantat – all diese Leistungen werden durch die obligatorische Grundversicherung bezahlt. Die oben genannten Beträge von mehreren Tausend Franken kommen noch obendrauf. Sie kommen dem Spital und den Ärztinnen und Ärzten zugute.

Also nochmals: Nur weil ein Patient neben der obligatorischen Grundversicherung noch eine Zusatzversicherung abgeschlossen hat, erhält ein Spital für einen Hüftpatienten 6000 bis 12'000 zusätzliche Franken. In manchen Fällen geschieht dies ohne eine wirkliche Mehrleistung.

Die Mehrleistung im Fall eines halbprivatversicherten Patienten liegt im Zweitbettzimmer und in der freien Arztwahl. Doch gerade bei Hüftoperationen können auch Allgemeinversicherte ihren Arzt meistens frei wählen. Zudem gibts in den Spitälern immer weniger Zimmer mit vier und mehr Betten.

Am Dienstag hat nun der Preisüberwacher eine Analyse präsentiert, die bestätigt, was er schon früher sagte und in diesen Spalten wiederholt thematisiert wurde: Nämlich dass die Krankenzusatzversicherungstarife in der Schweiz «flächendeckend überhöht sind». Das zeigt sich allein an den horrenden Preisunterschieden. Gemäss dem Preisüberwacher verrechnen die teuersten Spitäler zum Teil neunmal höhere Tarife als die günstigsten.

Dies ist nur möglich, weil der Wettbewerb nicht funktioniert. Denn wenn Krankenversicherer mit ihren Produkten die freie Spital- und Arztwahl in der ganzen Schweiz propagieren, so sind sie in den Tarifverhandlungen den Spitälern ausgeliefert. Der Preisüberwacher nennt das einen faktischen Kontrahierungszwang.

Mein zweites künstliches Hüftgelenk erhielt ich übrigens vor neun Wochen. Ich verbrachte die vier Nächte in einem Viererzimmer. Die letzte Nacht, vom Sonntag auf den Montag, war ich allein. Das hatte durchaus seinen Reiz. Ich hätte aber nicht vier Nächte in einem Einerzimmer verbringen wollen. Ich hätte mich gelangweilt, womöglich sogar einsam gefühlt.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?