Es ist fast ein historischer Moment: 2022 werden die durchschnittlichen Krankenkassen-Prämien sinken – zum ersten Mal seit 2008 geht der Prämienherbst nicht mit einem oft erheblichen Anstieg der Rechnungen für das folgende Jahr einher.
Der Prämien-Rückgang bleibt jedoch symbolisch, er beträgt nur 0,2 Prozent. Von Fall zu Fall aber kann die Differenz erheblich höher ausfallen.
Nur: Wann lohnt sich ein Wechsel? Blick wollte es genau wissen und legte Simon Zurich, Vizepräsident der Vereinigung der Patientenstellen, vier Policen von Mitgliedern der Redaktion vor. Zurichs Diagnose in fünf Punkten:
1. Die Franchise
Alle vier Blick-Journalisten haben eine Franchise von 2500 Franken gewählt. Das heisst: Sie zahlen alle Rechnungen bis zu einem Betrag von 2500 Franken selbst. Erst wenn diese Summe überschritten ist, kommt die Kasse dafür auf. Dafür sind die Prämien tiefer.
2500 Franken sind viel – und nicht repräsentativ für die Bevölkerung: 15 Prozent der Versicherten haben eine Franchise von 300 Franken, so Zurich. Ihr Anteil ist jedoch in den letzten 30 Jahren stark zurückgegangen.
Warum entscheiden sich Menschen für eine hohe Selbstbeteiligung? Sie sind wahrscheinlich bei guter Gesundheit und/oder wollen Kosten sparen. Diese Versicherten leben an Orten (Lausanne und Zürich), wo die Prämien besonders hoch sind.
Für Menschen mit gesundheitlichen Problemen sind hohe Franchisen nicht sinnvoll. Wer sie trotzdem wählt, sollte das eingesparte Geld zur Seite zu legen: So lassen sich unangenehme Überraschungen vermeiden, zum Beispiel im Falle einer unerwarteten Operation.
2. Kinder
Drei von vier Journalisten haben Kinder. Dies ist ein wichtiger Aspekt in diesem Jahr: Zwar sinken auch die Kinder-Prämien durchschnittlich um 0,3 Prozent. Aber: In der Hälfte der Kantone steigen sie! Auch in den Policen der drei Blick-Journalisten ist die Senkung nicht spürbar, so Zurich.
Für Familien, so der Experte, lohne es sich wirklich, jedes Jahr genau zu vergleichen. Und tatsächlich: In allen drei Fällen würde ein Wechsel zu erheblichen Einsparungen im Jahr 2022 führen. In einem Fall beträgt das Sparpotenzial gar mehr als 1000 Franken im Jahr!
3. Einschränkung der Wahlfreiheit
Die vier untersuchten Policen sehen neben der hohen Franchise eine Einschränkung der Arztwahl vor – etwa durch das Hausarztmodell. Das reduziert die Einspar-Potenziale: Die Prämien sind bereits ziemlich tief.
Im Allgemeinen empfehlen die Patientenstellen die Hausarzt- oder HMO-Modelle. Dadurch sinkt nicht nur die Prämie. Man wird auch durch Fachpersonen betreut, die man kennt und die die eigene Krankengeschichte kennen.
Es gibt noch andere Möglichkeiten, die Prämien zu senken. Beispielsweise gibt es Modelle, bei denen man alle Rechnungen zunächst selbst zahlt und die Kosten erst im Anschluss von der Kasse erstattet werden. Eine der untersuchten Policen hat so ein Modell bei der Assura. Zurich gibt zu bedenken, dass solche Modell nur schwer zu verkraften sind, wenn plötzlich mehrere tausen Franken für Medikamente oder Spitalaufenthalte anfallen.
Sparpotenzial gibt es auch mit Angeboten wie Betterdoc – wo man die Arztwahl einem externen Anbieter überlässt. Doch Zurich warnt: Es gebe Vorbehalte in Bezug auf den Datenschutz und die Qualität der medizinischen Versorgung.
4. Zusatzversicherungen
Ein Grossteil der untersuchten Policen der Blick-Journalisten hatte – manchmal sogar mehrere – Zusatzversicherungen. «Einer Ihrer Kollegen zahlt zum Beispiel 50 Franken im Monat, damit er und seine Frau sowohl das Spital frei wählen können und dann auch noch entscheiden können, on sie im Fall eines Aufenthalts auf der privaten oder halbprivat Abteilung behandelt werden wollen», so Zurich. Das sei unnötig: «Die freie Spitalwahl ist in der Grundversicherung schon garantiert, das zweite nützt wenig, weil der Versicherte hohe Selbstbehalte und Selbstbeteiligungen zahlen muss – egal was passiert.»
Diese Zusatzversicherung sei eine Falle für 600 Franken pro Jahr. «Ich will da nicht urteilen, aber das macht mich schon stutzig», so Zurich an die Adresse der Versicherungsmakler.
5. Modell-Dschungel
Insgesamt, so Zurich, sei er erstaunt über die zunehmende Komplexität der Modelle, die selbst für Fachleute eine Herausforderung sei. «Es wird immer schwieriger, die Bedeutung des Versicherungsjargons zu verstehen», stellt er fest.
Mitunter würden «kleine Tricks» in die Allgemeinen Geschäftsbedingungen eingebaut. «In einem neuen Modell, das in mehreren deutschsprachigen Kantonen sehr billig ist, gibt es eine Klausel, die einen aus der Versicherung ausschliesst, wenn man während des Jahres in ein Pflegeheim kommt. Das ist eine ziemlich hässliche Risikoselektion», so Zurich.