Sie kamen in weissen Schutzanzügen: Am 8. Juli 2019 blockierten Klimaaktivisten der Gruppe Collective Climate Justice den Eingang der Credit-Suisse-Filiale am Zürcher Paradeplatz. Es gab zahlreiche Verhaftungen, die Grossbank erstattete Anzeige, mehreren Demonstranten wurde eine bedingte Geldstrafe aufgebrummt – unter anderem wegen Nötigung.
Zu denen, die den Strafbefehl anfechten, gehört auch Soleil* (24) aus Lausanne. Mehr als ein Jahr später sitzt Soleil – dichtes, dunkles Haar, die Fingernägel in verschiedenen Farben lackiert – im WG- Wohnzimmer vor der Handykamera. Auf ein persönliches Gespräch wollte Soleil aufgrund der Pandemie lieber verzichten. Auch von spektakulären Aktionen sieht Soleil aktuell ab. Nicht nur wegen Corona: Soleil braucht Zeit, um für sich herauszufinden, mit welcher Form von Aktivismus die Ziele der Klimabewegung und anderen, sozialen Anliegen am besten erreicht werden können.
«Es war richtig.»
Die Blockade vom Sommer 2019 bereut Soleil nicht: «Es war richtig. Wir mussten etwas tun, um zu alarmieren. Statt uns zu bestrafen, sollte man uns zuhören.» Für einen konstruktiven Dialog sei man offen, lässt die Credit Suisse verlauten. «Aktionen, die unseren Geschäftsbetrieb stören oder die Sicherheit von Kunden und Mitarbeitenden gefährden, tolerieren wir jedoch nicht.»
Die Bank setze sich für die Pariser Klimaziele ein, man habe die eigenen Richtlinien in den letzten Jahren kontinuierlich verschärft. «Und wir beabsichtigen, in den nächsten zehn Jahren mindestens 300 Milliarden Franken an nachhaltiger Finanzierung bereitzustellen.» Den Klimaaktivisten ist das nicht genug: Sie fordern vom Schweizer Finanzplatz einen sofortigen Ausstieg aus der Finanzierung der klimaschädigenden Kohle-, Öl- und Gasförderung.
Ziviler Ungehorsam als letztes Mittel
«Organisationen wie Collective Climate Justice nutzen ganz bewusst das legitime Mittel des zivilen Ungehorsams, weil sie auf anderem Weg häufig nicht gehört werden», sagt Ingrid Indermaur. Die Rechtsanwältin ist eine von neun Verteidigerinnen, welche die Aktivisten vor dem Bezirksgericht Zürich vertreten werden – voraussichtlich im Frühjahr 2021.
Indermaur hält es für fraglich, ob es in Anbetracht der Gewaltlosigkeit der Aktion und der wissenschaftlich erwiesenen Klimakrise wirklich angemessen ist, die Justiz zu bemühen: «Hier wird mit Kanonen auf Spatzen geschossen.»
Als Aktivisten während der Herbstsession des Parlaments den Bundesplatz besetzten, wurde ihnen vielfach entgegnet, die Schweiz sei ein Rechtsstaat und eine funktionierende Demokratie. Im Umgang mit den Credit-Suisse-Demonstranten allerdings zeigt der Rechtsstaat Schlagseite: Nach den Vorfällen am Paradeplatz erhielt ein Zürcher Kantonsrat sofort Einsicht in ungeschwärzte Akten – einem betroffenen Aktivisten wurde dies verwehrt, wie die Anwältin erzählt: «Der Rechtsstaat wirkt sich nicht unbedingt zugunsten unserer Klienten aus.»
Kritik an der Polizei
Kritik übt Indermaur auch an der ungewöhnlich langen Zeit, welche die Aktivisten nach der Aktion in Polizeigewahrsam waren. Etwa 47 Stunden verbrachten sie damals hinter Gittern. Auch Soleil findet das «unverhältnismässig – wir waren keine Gefahr». Dazu muss man wissen: 48 Stunden sind das absolute Maximum einer vorläufigen Festnahme; die Behörden sind angehalten, sie auf ein Minimum zu beschränken. Indermaur: «Dies wurde von der Polizei wohl systematisch ausgereizt.» Auf Anfrage begründet die Zürcher Oberstaatsanwaltschaft die lange Dauer dagegen mit der hohen Zahl an gleichzeitig festgenommenen Personen und den damit verbundenen Befragungen.
Freispruch möglich
Wie aber sieht es mit dem anstehenden Prozess aus? Ein Urteil aus dem Kanton Genf lässt Soleil hoffen. Dort wurde soeben ein Klimaaktivist freigesprochen, der eine Fassade der Credit Suisse mit abwaschbarer Farbe verschmutzt hatte. Und Anfang Jahr befand ein Waadtländer Bezirksgericht Klimaaktivisten, die in einer CS-Filiale Tennis gespielt hatten, als nicht schuldig – sie hätten in einem rechtfertigenden Notstand gehandelt. Allerdings hob das Kantonsgericht die Entscheidung in zweiter Instanz auf; die Anwälte wollen das Urteil weiterziehen.
Man könne diese Prozesse nicht eins zu eins mit dem Fall von Soleil vergleichen, sagt Ingrid Indermaur. Dennoch: «Als Richter kann man in diesem Fall mit gutem Gewissen auch mal einen Freispruch sprechen. Schliesslich setzen sich die Aktivisten mit legitimen Mitteln für etwas ein, das in der Verfassung steht: Die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen.»
* Name der Redaktion bekannt