Ein gelungener Coup: Mit dem Protestcamp diese Woche auf dem Bundesplatz gelang es den verschiedenen Klimabewegungen – darunter die Klimajugend und Extinction Rebellion –, auf einen Schlag wieder zum Gesprächsthema Nummer eins zu werden. Nichts blieb dem Zufall überlassen. Die Kommunikation übernahmen ausgewählte Sprecherinnen, Verkehrslotsen waren vor Ort, ein Care-Team, Juristinnen. Für den Fall, dass die Polizei den Platz räumen würde, hatten die Aktivisten im Vorfeld passiven Widerstand eingeübt.
Mit der friedlichen, aber illegalen Aktion hat insbesondere die Klimajugend neue Professionalität und Entschlossenheit gezeigt – aber auch aufs Spiel gesetzt, was sie bisher in der Bevölkerung genossen hat: Sympathie für ihre Sache.
Wirklich besorgt darüber scheinen die Aktivisten aber nicht zu sein. Fast zwei Jahre lang habe der Klimastreik nun versucht, auf dem netten und anständigen Weg etwas zu erreichen, sagt Aktivistin Solé (20)*. «Aber das hat ganz offensichtlich nicht funktioniert, die Streiks haben uns nirgends hingebracht.»
Die Frustration ist gross
Ein Blick hinter die Kulissen zeigt: Nicht nur bei Solé, auch bei vielen anderen Mitgliedern des Klimastreiks war die Frustration in den letzten Monaten gross. Die Corona-Krise hatte den Klimaschützern einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht.
Der grosse «Strike for Future», der im Frühling hätte stattfinden sollen, fiel aus. Und die vielen Stunden, die für Aktionen, das Klimablatt, eine Flugstreik-Website oder die Klima-Charta geopfert worden waren, schienen nicht zu grossem Umdenken geführt zu haben. Dass sich das Parlament am Freitag nach zwei Jahren zusammenraufte, um ein CO2-Gesetz zu verabschieden, reicht den jungen Klima-Aktivisten nicht.
Von den Grünen fühlen sie sich betrogen, weil die nun nicht mehr für Netto Null 2030 einstehen. Und die Veröffentlichung ihres Klima-Aktionsplans, den die Bewegung zusammen mit Experten aus unterschiedlichen Bereichen erarbeitet hatte und der Lösungen für das Ziel einer emissionsfreien Schweiz ab 2030 bieten soll, ging wegen Corona total unter.
Krise innerhalb der Bewegung
Die Verzweiflung der Aktivisten rührt aber auch von den Widersprüchen in der etablierten Politik, vermutet Politologin Jasmine Lorenzini. Sie hat die Klimajugend erforscht und stellt fest: «Ihnen wird immer wieder gesagt, dass es in der Demokratie Zeit braucht für die grundlegenden Veränderungen, die sie fordern, dass es kein Geld gibt für grosse Investitionen. Dann hat die Pandemie so ziemlich das Gegenteil offenbart: Wenn die Behörden den Ernst der Lage erkennen, dann können sie sehr wohl handeln.»
Gleichzeitig kriselte es während der letzten Monate auch innerhalb der Bewegung. Wie soll es weitergehen? Wie positionieren wir uns politisch? Reibereien gibt es auch bei der Frage, ob die Klimastreik-Bewegung das neue CO2-Gesetz mit einem Referendum bekämpfen will oder nicht.
Noch ist unklar, ob gegen das CO2-Gesetz ein Referendum ergriffen wird. Die SVP lehnte die Vorlage im Parlament ab, ziert sich aber, den Lead bei der Unterschriftensammlung zu übernehmen. Organisationen wie der Gewerbeverband oder Auto Schweiz hatten sich ebenfalls kritisch zum CO2-Gesetz geäussert und entscheiden in den nächsten Wochen, wie sie zu einem allfälligen Referendum stehen.
Bereits aktiv geworden ist dafür die Gegenseite. So machen sich die CEO4Climate dafür stark, das Gesetz zu unterstützen: In einem offenen Brief an den Wirtschaftsdachverband Economiesuisse und den Gewerbeverband rufen die Firmenchefs von rund 450 Unternehmen die Verbände dazu auf, von einem Referendum abzusehen. Hinter CEO4Climate stehen nebst Firmen wie Implenia oder Siemens auch die Chefs Hunderter Schweizer KMU.
Noch ist unklar, ob gegen das CO2-Gesetz ein Referendum ergriffen wird. Die SVP lehnte die Vorlage im Parlament ab, ziert sich aber, den Lead bei der Unterschriftensammlung zu übernehmen. Organisationen wie der Gewerbeverband oder Auto Schweiz hatten sich ebenfalls kritisch zum CO2-Gesetz geäussert und entscheiden in den nächsten Wochen, wie sie zu einem allfälligen Referendum stehen.
Bereits aktiv geworden ist dafür die Gegenseite. So machen sich die CEO4Climate dafür stark, das Gesetz zu unterstützen: In einem offenen Brief an den Wirtschaftsdachverband Economiesuisse und den Gewerbeverband rufen die Firmenchefs von rund 450 Unternehmen die Verbände dazu auf, von einem Referendum abzusehen. Hinter CEO4Climate stehen nebst Firmen wie Implenia oder Siemens auch die Chefs Hunderter Schweizer KMU.
Noch im Sommer war die Stimmung so schlecht, dass sich einige Klimastreik-Aktivisten fragten, ob ihre Bewegung die kommenden Monate überleben werde. «Entweder schaffen wir es, demnächst wieder etwas Grosses auf die Beine zu stellen, oder es wird eng», sagte damals einer der führenden Köpfe im Gespräch mit SonntagsBlick.
Kritik am Kapitalismus – ja zu Menschenrechten
Und dann kam die Bundesplatzbesetzung. Während manche Parlamentarier die Nerven verloren, sagten die Jungen selbstbewusst: «Wir sind nicht die Klimajugend – wir sind der Klimastreik!»
Zunehmend beziehen die Aktivisten klare Positionen: Sie kritisieren den Kapitalismus, stehen vermehrt für Menschenrechte ein, verbünden sich mit der feministischen Bewegung und «Black Lives Matter»-Demonstranten.
«Vor einem Jahr war es uns noch ein Bedürfnis, den Leuten nicht zu nahe zu treten, nicht zu radikale Forderungen zu stellen», sagt Solé. «Das hat sich geändert. Viele Leute innerhalb des Klimastreiks haben sich politisiert. Und wir haben gemerkt, dass wir es nicht allen recht machen können.»
Strikte Gewaltlosigkeit
Und doch: Vor allem im Vergleich zu früheren Jugendbewegungen erweist sich die klimabewegte Jugend als ungewöhnlich anständig: An ihrer Gewaltlosigkeit hält sie strikt fest, distanziert sich von Beamtenbeleidigungen, verursacht keine Sachschäden, räumt ihren Müll zusammen.
Im Klimacamp verteilten die jungen Aktivistinnen Blumen, versprachen, den finanziellen Schaden der Marktfahrer auszugleichen, den sie mit ihrer Platzbesetzung verursacht hatten, und blieben selbst dann ruhig, wenn sie von Politikern beschimpft wurden. Auf dem Bundesplatz galt Maskenpflicht, ein selbst gemaltes Schild wies darauf hin, «bitte keinen Alkohol und keine Drogen» zu konsumieren.
Die Aktion hat der Klimabewegung neben Kritik auch neuen Schwung verliehen. Sogar Volksinitiativen sind nicht ausgeschlossen. Und im Frühling 2021 soll der «Strike for Future» nachgeholt werden. Dafür suchen die Klimabewegten unter anderem Unterstützung von Gewerkschaften und Care-Arbeiterinnen.
Am Freitag nahmen zumindest schon wieder knapp 2000 Personen und mehrere Organisationen an der nationalen Klimademo in Bern teil.
* Name geändert