Klima-Experte Knutti über den rekordwarmen Oktober
«Wir stehen uns selbst im Weg»

Es ist der wärmste Oktober der Messgeschichte gewesen. Das beunruhigt. ETH-Klimaexperte Reto Knutti erklärt, warum das zur neuen Norm wird – und was wir noch dagegen unternehmen können.
Publiziert: 30.10.2022 um 22:00 Uhr
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Aktualisiert: 23.11.2022 um 09:39 Uhr
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Dieser Oktober war der wärmste, der in der Schweiz je gemessen wurden.
Foto: MeteoSwiss
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Chiara SchlenzAusland-Redaktorin

Der bisher wärmste Oktober seit Schweizer Messbeginn im Jahr 1864 neigt sich dem Ende zu. Am Freitag erreichten die Temperaturen lokal bis über 25 Grad, so zum Beispiel in Mervelier JU. In leicht erhöhten Lagen war die Nacht laut Wetterdienst zudem rekordmässig mild.

Reto Knutti (49), Klimaphysiker an der ETH Zürich, ist wenig überrascht vom aussergewöhnlich warmen Altweibersommer, wie er zu Blick sagt. «Der Klimawandel schreitet unausweichlich voran, und Hitzewellen oder warme Phasen werden in allen Jahreszeiten häufiger», lautet seine düstere Prognose.

Vier robuste – aber schlechte – Trends für die Schweiz

Für die Schweiz gebe es, so Knutti, vier «robuste Trends», die man bereits seit längerer Zeit beobachten und berechnen könne:

  • intensivere und längere Hitzewellen
  • die Zunahme von Trockenheit im Sommer
  • stärkere Regenfälle, die zu Hochwasser führen könnten
  • weniger Schneefall, was das Schmelzen der Gletscher noch weiter begünstigt

In Zermatt VS wurden gar zuletzt die Skirennen abgesagt – weil es zu warm ist. Kommt der Schnee irgendwann in die Schweiz zurück? «Ein einzelner kalter Winter mit viel Schnee ist immer möglich, aber er wird immer mehr zur Ausnahme», so Knutti. «Die Schneefallgrenze ist schon um 400 Meter angestiegen und wird wohl um weitere 400 Meter ansteigen. Die natürliche Schneebedeckung wird unter 2000 Meter über Meer wahrscheinlich um 50 Prozent abnehmen, über 3000 Meter um 30 Prozent.»

Auch wenn die Schweiz in absehbarer Zukunft nicht zu einer Wüste werden wird: «Die extrem trockenen Sommer wie 2018 und 2022 haben uns gezeigt, dass heute schon massive Schäden entstehen können. Kein Wasser für die Landwirtschaft, Gefahren für Fische, die Gefahr von Waldbränden, Auswirkungen auf die Schifffahrt, Probleme mit Kühlkapazitäten für Kernkraftwerke», so Knutti. «Wir werden Wege finden müssen, um mit diesen Risiken umgehen zu können.»

Entwicklungsländer leiden am stärksten

Auch international wächst die Sorge im Zusammenhang mit dem Klimawandel. Besonders in Schwellen- und Entwicklungsländern ist die Situation prekär. Darum hat der designierte Präsident der UN-Klimakonferenz COP27, Ägyptens Aussenminister Samih Schukri (70), mehr Finanzhilfen für ärmere Länder verlangt. Die bisherigen Hilfen seien «ohne wirklichen Einfluss» im Kampf gegen die Erderwärmung, sagte er der Deutschen Presse-Agentur in Kairo. «Ich will die Verpflichtungen nicht kleinreden. Aber 100 Milliarden US-Dollar im globalen Massstab, im Massstab der Fähigkeiten der Industrieländer, deren Budgets teilweise Billionen Dollar erreichen – das ist winzig.»

Der Schweizer Experte Knutti warnt, dass geopolitische Spannungen aufgrund des Klimawandels vorprogrammiert sind. Aber warum? «Die Auswirkungen des Klimawandels sind in den Schwellen- und Entwicklungsländern besonders ausgeprägt, weil sie oft von der Landwirtschaft leben. Gleichzeitig haben diese weder Geld noch Technologie, um sich wirksam dagegen zu wehren. Sie haben das Problem nicht verursacht, aber leiden am meisten darunter.»

«Wir stehen uns selbst im Weg»

Der Klimawandel und seine negativen Auswirkungen umspannen den Globus. Jüngst warnte der schwedische Resilienzforscher Johan Rockström (56) in «The Guardian», dass die Welt «sehr, sehr kurz vor unumkehrbarem Klimawandel» stehe und «die Zeit wirklich sehr, sehr schnell» ablaufe. Studien der Vereinten Nationen bestätigen diese These. Auch Knutti warnt: «Es ist schon lange fünf vor zwölf, oder fünf nach zwölf, wenn man das Ziel von 1,5 °C erreichen möchte.»

Doch: «Diese Rhetorik bringt uns wenig.» Am Ende bringe uns jede vermiedene Tonne CO2, jedes Zehntelgrad weiter. «Also überlegen wir doch, was wir heute tun können, um auf diesen Weg zu gehen.» Bis zur Mitte des 21. Jahrhunderts könnte man hier etwa die Hälfte der Klimaveränderungen vermeiden, prognostiziert Knutti. «Dafür muss die Welt aber bis 2030 die CO2-Emissionen halbieren und bis 2050 auf Netto Null bringen.»

Zuletzt kritisierte die Uno, dass es weltweit keine «ernstzunehmenden Versuche» dahingehend gebe. «Wir stehen uns mit zu vielen Partikularinteressen selbst im Weg», bestätigt auch Knutti. Dabei sei es nicht nur offensichtlich, was zu tun sei, so der Klimaexperte, sondern auch, dass es sich lohnt: «Wirtschaftlich für die Schweiz, für unseren Planeten und die nächste Generation.»

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