Es geht vorwärts: Die Schweiz macht den nächsten Schritt für eine Holocaust-Gedenkstätte in Bern. Bis heute erinnert kein offizielles Mahnmal an die Millionen Opfer des Nationalsozialismus.
Nun treibt der Bund dieses Grossprojekt voran, das er mit 2,5 Millionen Franken finanziert. Gemeinsam mit der Stadt Bern sowie Vertreterinnen und Vertretern der Zivilgesellschaft hat er dafür einen sogenannten Lenkungsausschuss eingesetzt.
Mitte März traf sich das prominent besetzte Gremium zur ersten Sitzung, wie das Aussendepartement EDA gegenüber Blick bestätigt. Sprecherin Léa Zürcher: «Ziel ist es, in den kommenden Monaten die Eckpunkte des Projekts zu definieren und gegen Ende Jahr einen Wettbewerb auszuschreiben», bei dem Vorschläge für den Erinnerungsort eingereicht werden können.
Nur private Shoa-Denkmäler in der Schweiz
Zwar gibt es in der Schweiz einige Dutzend kleinere Shoa-Denkmäler, die an die Opfer der Judenvernichtung erinnern. Sie wurden aber primär auf private Initiative hin erstellt. Ein eidgenössisches Mahnmal fehlt bislang.
Im Lenkungsausschuss sitzen je zwei Vertreter des Bundes, der Stadt Bern und der Zivilgesellschaft. Mit dabei: Botschafter Simon Geissbühler (51), Chef der Abteilung Frieden und Menschenrechte im EDA, Carine Bachmann (57), Direktorin des Bundesamts für Kultur, Berns Stadtpräsident Alec von Graffenried (61), SP-Gemeinderätin Marieke Kruit (56) sowie Ralph Lewin (70), Präsident des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds (SIG) und Gregor Spuhler (61), Leiter des Archivs für Zeitgeschichte der ETH Zürich.
«Gräueltaten drohen in Vergessenheit zu geraten»
Für die Errichtung des Mahnmals haben der Bund und die Stadt Bern eine Zusammenarbeitserklärung unterschrieben, gemäss der das Memorial ein Zeichen gegen Völkermord, Antisemitismus und Rassismus und für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit setzen will. Das EDA schreibt: «Der Erinnerungsort soll zudem den Austausch und die Debatte fördern und über die Landesgrenzen hinaus eine Wirkung entfalten.»
Stadtpräsident von Graffenried (Grüne Freie Liste) sagt zu Blick: «Es ist höchste Zeit, dass die Schweiz ein Mahnmal setzt gegen all die schrecklichen Vorkommnisse zwischen 1933 und 1945.»
Umso mehr, weil es praktisch keine Zeitzeuginnen und Zeitzeugen mehr gebe. «Die Gräueltaten der Nazis drohen in Vergessenheit zu geraten.» Laut von Graffenried wolle man damit zudem ein Zeichen «gegen die Bedrohung durch den wieder entflammten Faschismus» setzen, wie er heute nicht zuletzt in Putins Russland zu beobachten sei.
Von Beginn an unterstützte auch der SIG das Projekt in der Bundesstadt: «Die Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes sind tief im kollektiven Bewusstsein der jüdischen Menschen auch hier in der Schweiz verankert», schreibt er. Die nächsten Generationen sollten mit dem Memorial «zum kritischen Nachdenken über Vorurteile und Ausgrenzung befähigt werden».
Die Schweiz ist nicht unschuldig
Das geplante Mahnmal dürfte mit einem Bildungsangebot kombiniert werden, etwa für Schulklassen. Dabei soll auch die Mitverantwortung der Schweiz für das grösste Verbrechen der Menschheitsgeschichte nicht ausgeklammert werden.
Im Konzept der Initiantinnen und Initianten heisst es dazu: «Zur Erinnerung an diejenigen Frauen, Männer und Kinder, denen die Schweizer Behörden während des Zweiten Weltkriegs die Rettung verweigerten.»
Dass die Eidgenossenschaft nicht unschuldig ist, belegt auch das 2019 veröffentlichte Recherche-Werk «Die Schweizer KZ-Häftlinge, vergessene Opfer des Dritten Reichs.» Darin schreiben die Autoren Balz Spörri, René Staubli und Blick-Journalist Benno Tuchschmid: «Die Schweiz hätte Dutzende Leben retten können, wenn sie sich mutiger und mit mehr Nachdruck eingesetzt hätte.»