Idyllisch fliesst die Moesa durch die Baustelle, lädt fast schon zum Baden ein. Dass dieser Bergbach vor einigen Tagen eine ganze Autobahn wegspülte? Undenkbar! Doch genau so ist es. «Acht Meter unter uns floss sie durch», sagt Astra-Projektleiter Diego Bettoni (48) zu Blick, während er auf dem Geröllfeld steht.
Knapp zwei Wochen ist es her. Starke Unwetter liessen den Pegel der Moesa bedrohlich ansteigen, ein heftiger Murgang verschlimmerte die Situation. Die Massen an Wasser und Geröll verschütteten ein ganzes Dorf – und schwemmten auch Teile der A13 weg, als wäre es eine Spielzeugstrasse. Dass hier bald wieder Autos durchfahren, schien unwahrscheinlich.
11 bis 12 Stunden Arbeit pro Tag
Doch das Astra machte klar: Die Autobahn soll innert weniger Wochen wieder befahrbar sein – wenn auch nur teilweise. Jetzt ist es so weit! Seit Freitagmorgen können Fahrzeuge wieder über die San-Bernardino-Autobahn brettern. Zu verdanken haben wir das den Büezerinnen und Büezern vor Ort, die Blick einen Tag vor der Eröffnung besuchte.
Strenge Tage liegen hinter ihnen. «Wir sind seit Montag vergangener Woche auf der Baustelle. Wir arbeiten seither im Schnitt 11 bis 12 Stunden pro Tag – pausenlos», sagt Baggerführer Massimo Fallini (50). Auch am Samstag und Sonntag haben sie einige Stunden gearbeitet. Viele kommen aus der Region und sind stolz, hier zu arbeiten. «Es war meine Entscheidung, so lange und viel zu arbeiten.»
Dynamische Situation
Langweilig wird es jedenfalls nicht: «Jeden Tag haben wir hier eine neue Schwierigkeit, jeden Tag müssen wir eine neue Lösung finden», so Samuele Porto Bonacci (35). «Aber für mich ist das eine Passion. Den Stress spürt man erst, wenn man am Abend zu Hause sitzt.»
Ähnlich sieht es Federico Fognini (47): «Die Situation ist im Vergleich zu normalen Baustellen sehr dynamisch, die Bedingungen ändern sich ständig und die Szenarien für sicheres Arbeiten sind immer wieder neu. Wir haben die Sicherheit der Menschen immer an die erste Stelle gesetzt.»
Teamgeist und ein klares Ziel
Trotz der langen, harten Tage ist vor Ort kaum Erschöpfung spürbar. Es ist der Teamgeist, der auffällt. Das Ziel vor Augen ist klar und für alle gleich: möglichst schnell den Schaden beheben, den das Unwetter auslöste. Das spürt auch Baggerführer Fallini: «Ich arbeite gerne hier auf der Baustelle. Wenn ich vergleiche, wie es am Montag vergangener Woche aussah und wie es jetzt aussieht, muss ich sagen: Wir haben tolle Arbeit geleistet!»
Doch noch gibt es kein Ruhen: Für die Eröffnung muss noch einiges geschehen. «Klein, oder?», witzelt Projektleiter Bettoni und zeigt auf einen Felsen der Grösse eines Einfamilienhauses. Er ist beim Murgang ins Tal hinuntergestürzt. Nun steht darauf ein Mann und lässt eine Stange Sprengstoff vorsichtig in ein Loch gleiten. Eine Frau verbindet die Kabel mit einer orangen Kiste. «20 Kilo braucht es für diesen Stein», erklärt Bettoni. Die Sprengung müsse noch heute Abend geschehen. «Wenn hier Autos fahren, wird es viel zu gefährlich. Herumfliegende Gesteinsbrocken könnten Autos treffen.»
«Es ist eine tolle Gruppe»
50 Meter Luftlinie entfernt arbeitet Manuel Capelli (54). Der Maurer befestigt gerade mit aller Kraft den Sichtschutz am Rande der Autobahn. Gut gespannt müsse er sein, damit er beim Fahrtwind der vorbeifahrenden Autos nicht zerreisse. Auch er kommt aus der Region und ist gerne hier: «Die Arbeit ist normal. Doch es ist eine tolle Gruppe, die gut zusammenarbeitet.» Druck, dass hier schnell wieder geöffnet werden soll, spürt er keinen. «Wir arbeiten hier extra langsam, so haben wir länger Ruhe im Tal», spasst Capelli und lacht. «Natürlich wollen wir alle, dass der Verkehr hier möglichst bald wieder fliesst. Das spornt schon an.»
Wenn um fünf Uhr morgens die ersten Autos hier entlangfahren, ist für die Bauarbeiter noch lange nicht Schluss. Schon jetzt fallen die grössten Arbeiten abseits der Autobahn an. Ob im Fluss, unter der Brücke oder beim riesigen Gesteinshaufen im Gebiet des Murgangs: Bagger schaufeln an allen Ecken Geröll in Lastwagen, die es wegtransportieren. «Wir sorgen so dafür, dass die Autobahn und die Häuser hier in der Gegend gesichert werden, sollte erneut ein Unwetter kommen.» Capelli ist sichtlich stolz auf seine Arbeit.
Bescheidene Büezer
Dieser Stolz schwingt auf der ganzen Baustelle mit. Beispielhaft dafür: die Suche nach Büezern für die Blick-Front. Die Männer – und ab und an eine Frau – waren sichtlich stolz darauf, ein Teil dieses Teams zu sein. Jeder stoppte kurz seine Arbeit, um auf das Bild zu kommen. Doch alle blieben sie bescheiden: Als Blick sie als die «Helden» der Baustelle bezeichnet, weckte sich Widerspruch. «Ich sehe mich nicht als Helden. Ich mache einfach meine Arbeit, wie ich sie immer auf anderen Baustellen getan habe», sagt Baggerfahrer Fallini bescheiden. Der einzige Unterschied: «Da wir sehen, was für eine Zerstörung das Unwetter angerichtet hat, versuchen wir, noch schneller Gas zu geben, um alles fertigzustellen.»
Auch Astra-Mann Bettoni sieht sich nicht als Held. «Ich wurde sozusagen in eine bereits gestartete organisatorische Maschinerie hineinkatapultiert. Ich habe aber mitgearbeitet und zu dem gemeinsamen Ziel beigetragen. So wie es jede andere Person hier tut.» Bettoni «dirigiert» die Baustelle, seine Arbeit ist technischer sowie administrativer Natur. Der 48-Jährige arbeite gerne auf Baustellen, bei denen etwas aufgebaut werden könne. «Aber ich bevorzuge es natürlich, wenn die Ursache für ein solches Projekt positiver Natur ist und nicht wie in diesem Fall eine Tragödie.» Dennoch war er auch in diesem speziellen Fall sofort zur Stelle: «Letzten Samstag kam ich aus den Ferien zurück, am Sonntag war ich auf der Baustelle.»
Mit zehn Baggern vor Ort
Diese Spontanität zeigt sich in den Gesprächen immer wieder, so auch bei Bauleiter Francesco Canclini (40): «Das Astra hat uns am Sonntagabend angerufen – am Montagmorgen standen wir mit zehn Baggern vor Ort.» Die Baustelle sei eine Herausforderung für das ganze Team: «Wir arbeiten hier jeden Tag bis zu 12 Stunden. Ohne einen Tag Pause.» Nur so, und mit einer guten Zusammenarbeit aller beteiligten Unternehmen, sei dieses Tempo möglich gewesen. Das Ziel sei zwar von Anfang an gewesen, die Strasse so schnell wie möglich wieder öffnen zu können. «Aber selbst wir hätten nicht gedacht, dass wir es so schnell schaffen», gibt Canclini zu. «Wir wussten, wie wichtig dieser Autobahnabschnitt ist – also haben wir das Maximum gegeben.»
Wie alle, mit denen Blick sprach, sieht sich auch Canclini nicht als Held. Der Bauleiter ist sich allerdings der Leistung bewusst, die sein Team in den letzten Tagen vollbrachte. «Fast 200 Meter Autobahn wiederaufzubauen ist eigentlich eine Arbeit, die man in Monaten macht – und nicht in einigen Tagen. Es war nicht einfach, aber wir haben es geschafft!»