Ist das noch normal? Expertin Manuela Brunner ist beunruhigt
Tote, Vermisste, Millionenschäden – die Schweiz erlebt einen Katastrophen-Sommer

Extreme Wetterereignisse wie die Hochwasser und Murgänge der vergangenen Tage und Wochen wird es in Zukunft wohl häufiger geben. Massgeblich verantwortlich dafür: der Klimawandel. Eine Expertin erklärt, welche Mechanismen dabei wirken.
Publiziert: 02.07.2024 um 00:02 Uhr
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Aktualisiert: 03.07.2024 um 13:57 Uhr
Die Schweiz erlebt ein Katastrophen-Sommer. Hört man Experten zu, wird klar: Diese Unwetter kamen mit Ansage.
Foto: keystone-sda.ch
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Martin MeulReporter News

Es war ein schwarzer Juni für die Schweiz. An den letzten beiden Wochenenden verloren in den Alpen mindestens sechs Menschen ihr Leben bei Erdrutschen und Murgängen. Im bünderischen Misox starben vor gut anderthalb Wochen zwei Personen im Ort Sorte bei Lostallo, ihre Häuser wurden von gewaltigen Schlamm- und Schuttmassen davongerissen. Ein Mann wird noch immer vermisst. Nur etwas mehr als eine Woche später sind wieder Tote zu beklagen. Im Maggiatal im Tessin verloren drei Menschen wegen der Unwetter ihr Leben, auch hier wird nach einer weiteren vermissten Person gesucht. Im Walliser Dorf Saas-Grund konnte ein Mann nur noch tot geborgen werden. Auch er ist Opfer eines über die Ufer getretenen Bachs. Im Binntal, ebenfalls im Wallis, wird nach wie vor ein Mann vermisst.

Neben den Toten sind massive Schäden an der Infrastruktur zu beklagen. Allein in Saas-Grund rechnet man mit Kosten in der Höhe von 50 Millionen Franken. Zermatt VS wird gleich zweimal innert einer Woche überflutet. Grund für die Katastrophen sind jeweils intensive Regenfälle und Gewitter, die gefühlt immer häufiger und stärker auftreten. Der Klimawandel gilt als Hauptschuldiger. Doch was ist wirklich dran an der Behauptung, dass ein wärmerer Planet zu mehr Katastrophen in den Schweizer Bergen führt?

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In Saas-Grund hat ein Murgang das Dorf verwüstet, ein Deutscher ist dabei ums Leben gekommen.
Foto: zVg

Wärmer ist schlechter

Ein möglicher Grund für die vielen Unwetter: die Weltmeere. Im März wurden im Atlantik so hohe Temperaturen wie noch nie gemessen. Eine schlechte Nachricht für die Schweiz. Nicolas Gruber, Professor für Umweltphysik an der ETH Zürich, erklärte schon im Sommer 2023 gegenüber Blick: «Steigende Temperaturen im Meer ziehen auch Folgen an Land mit sich. Die Wahrscheinlichkeit für Starkniederschlags-Ereignisse wird dadurch grösser.» Gerade für Mitteleuropa könnten wärmere Meere paradoxerweise ein feuchteres und kühleres Klima zur Folge haben.

Die Region um das Maggiatal wurde am Wochenende von massiven Unwettern getroffen. Mindestens drei Menschen kamen ums Leben.

Grundsätzlich ist ein wärmerer Planet schlecht, wenn es um extreme Niederschläge und Gewitter geht. Manuela Brunner (34) ist Expertin für Hydrologie und Klimafolgen in Gebirgsregionen. Die Professorin forscht an der ETH Zürich und an der eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft in Davos GR. Sie sagt zu Blick: «Pro Grad, um das sich die Atmosphäre erwärmt, kann sie sieben Prozent mehr Feuchtigkeit aufnehmen. Mehr Feuchtigkeit in der Luft heisst mehr Potenzial für intensive Regenfälle und starke Gewitter.»

Das Wallis kämpft nach massiven Niederschlägen mit diversen Folgen. Auch hier gibt es bislang ein Todesopfer zu beklagen.

Doch ganz so einfach ist es nicht. Hochwasser hingen nicht nur davon ab, wie stark es regnet. «Eine grosse Rolle spielt auch die Schneeschmelze», sagt Brunner. Im Moment liegt in den Bergen noch einiges an Schnee, und es ist warm – zusammen mit den starken Regenfällen begünstigt die Schneeschmelze, dass Bäche und Flüsse über die Ufer treten.

Durchschnittlich feuchter Frühling

Der dritte Faktor, der bei Überschwemmungen eine grosse Rolle spielt, ist die Bodensättigung. Heisst, wie viel Wasser die Böden bei Niederschlägen noch aufnehmen können. Derzeit sind die Böden in den Bergen stark gesättigt, was Murgänge und Hochwasser begünstigt. Doch das ist für diese Jahreszeit eigentlich normal. Brunner sagt: «Im langjährigen Mittel waren die letzten Monate nur ganz leicht zu feucht, der Frühling ist in der Schweiz grundsätzlich eine Zeit der Niederschläge.»

Zentraler Faktor aber bleibt der Regen, und das hat Konsequenzen. Brunner betont: «Dort, wo nur oder vor allem die Niederschläge für das Hochwassergeschehen massgeblich sind, wird es zu mehr und extremeren Vorfällen kommen. Das zeigen unsere Modelle.» Solche Orte gibt es in den Schweizer Bergen viele.

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Mehr Jahrhunderthochwasser

Auch sonst gibt es Grund zur Beunruhigung. «Unsere Modelle zeigen auch, dass der Klimawandel dazu führt, dass Jahrhunderthochwasser deutlich öfter vorkommen werden als bisher», sagt Brunner. Sie sieht es daher sehr kritisch, wenn Hochwasserschutzprojekte wie die 3. Rhonekorrektion im Wallis von der Politik hinterfragt werden.

Grundsätzlich müsse sich die Gesellschaft auf mehr Ereignisse wie jene in Saas-Grund oder im Maggiatal einstellen. Eine Einschätzung, die Klimaexpertin Manuela Brunner mit der Chefin des Bundesamts für Umwelt teilt. Auch Katrin Schneeberger sagte unlängst zu Blick: «Katastrophen werden sich häufen.»

Trotz allem kann der Klimawandel bezüglich Hochwasser auch sein Gutes haben. «Der Klimawandel führt tendenziell dazu, dass weniger Schnee in den Bergen liegt», sagt Manuela Brunner. Die Folge: Bei jenen Gewässern, wo die Schneeschmelze eine grosse Rolle spielt, sinkt wegen des Klimawandels das Hochwasserrisiko. «Das betrifft Gewässer wie die Rhone oder den Rhein bei Basel, die von der Schneeschmelze beeinflusst sind», so die Expertin.

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