Gletscherschmelze, ausgetrocknete Böden, historisches Fischsterben
Dieser Dürresommer verändert die Schweiz

Der Regen lässt auf sich warten. Und die Schweiz leidet unter der Dürre. Der Wasserpegel in den Seen sinkt, die Fische sterben und die Gletscher schmelzen. Erleben wir derzeit eine Rekorddürre? Ein Meteorologe ordnet das Niederschlagsdefizit ein.
Publiziert: 12.08.2022 um 17:14 Uhr
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Aktualisiert: 13.08.2022 um 11:02 Uhr
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Der Bodensee führt derzeit knapp einen Meter weniger Wasser als im Durchschnitt zu dieser Jahreszeit.
Foto: keystone-sda.ch
Anastasia Mamonova

Die Schweiz erlebt einen Dürresommer. Seit Wochen fällt kaum noch Regen. Die Hitze trocknet die Böden und Gewässer aus.

So auch in Bad Ragaz SG. «Unser wunderschöner Giessensee ähnelt inzwischen einer Kloake», sagt Paul Bollhalder (69), der für die Reinigung des Parks um den See zuständig ist, zu Blick.

Der Giessensee trocknet aus – Fische sterben!
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Zu Gunsten des Golfplatzes:Der Giessensee trocknet aus – Fische sterben!

Auch die Landwirte spüren die Folgen der Dürre. Der kürzlich gepflanzte Salat von Daniel Frey (54) aus Moosleerau AG hat bereits gelbe Blätter. Denn sein Unternehmen darf kein Wasser mehr aus der nahe gelegenen Suhre für die Bewässerung pumpen. Anweisung des Kantons – der Pegel sei zu niedrig.

Hier zeigt Daniel Frey sein viel zu trockenes Feld
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Ihm geht das Wasser aus:Hier zeigt Daniel Frey sein viel zu trockenes Feld

Den SAC-Hütten geht ebenfalls das Wasser aus. Ein Winter ohne viel Schnee und ein warmer Frühling haben die Wasservorräte für Berghütten wegschmelzen lassen. Der Wirt Dario Andenmatten von der Britanniahütte im Wallis klagt: «So einen trockenen Sommer hatten wir noch nie!»

«Der Boden braucht Zeit»

Tatsächlich: «Der Sommer 2022 gehört sicher zu den trockensten seit Messbeginn», sagt Michael Eichmann von Meteo News zu Blick.

Am Beispiel der Messstation in Zürich zeigt er auf: Im Normalfall fallen von Juni bis August 326 mm Regenwasser. Im Sommer 2015 fielen 175 mm und 2018 194 mm Regen. Dieses Jahr sind es bisher 142 mm. Allerdings hat der August noch zwei Wochen Zeit, um aufzuholen. Deshalb wird es wohl eher kein Rekordsommer. «Nächste Woche ist noch mal mit Niederschlag zu rechnen», sagt Eichmann. Dieser wird das hohe Defizit aber nur zum Teil ausgleichen. «Der Boden braucht Zeit, um das Wasser aufzunehmen.» Bei Gewittern komme viel Wasser in kurzer Zeit zusammen. Ein trockener Boden sei nicht in der Lage, dieses rasch aufzunehmen, sodass das meiste oberirdisch abfliesse.

Historisches Fischsterben

Anders als beim Niederschlag sieht es in der Tierwelt einmalig schlimm aus. Der Schweizerische Fischerei-Verband spricht von einem Fischsterben historischen Ausmasses. «Es ist die reinste Katastrophe, man kann es leider nicht anders sagen», hält Roberto Zanetti als Zentralpräsident des Schweizerischen Fischerei-Verbandes fest.

Besonders stark betroffen sind die kältebedürftigen Arten, insbesondere Forellen und Äschen. Der Verband befürchtet, dass noch mehr Arten verschwinden könnten.

Vierwaldstättersee noch nie so tief

Die besorgniserregende Lage in den Gewässern beobachtet auch Michael Eichmann. «Der Bodenseepegel liegt derzeit knapp einen Meter unter dem Durchschnitt dieser Jahreszeit.» Im Zürichsee fehlen rund 30 cm. «Der Vierwaldstättersee ist sogar auf Rekordkurs! Dort liegt der Wasserpegel 40 cm tiefer, als er sollte.»

Die Situation in den Flüssen ist je nach Region unterschiedlich. Es kommt darauf an, ob ein Fluss vom Gletscher gespeist wird. Weil die Schmelze derzeit so hoch ist, kommt es in entsprechenden Gebieten beinahe schon zu Hochwasser. «Der Abfluss der Rhone bei Brig liegt bei 100 Kubikmetern pro Sekunde. Das ist ein normaler Wert. Die Aare bei Bern dagegen hat einen Abfluss von 127 Kubikmetern pro Sekunde. Der Durchschnitt liegt in dieser Jahreszeit normalerweise bei 200 Kubikmetern pro Sekunde», sagt Eichmann.

Für die einen ist die Gletscherschmelze eine Katastrophe. Für einige Fliessgewässer hat sie dennoch einen positiven Effekt, weil das Niederschlagsdefizit ausgeglichen wird. Ein Grund zur Freude ist es aber nicht. «Es ist ein Ausgleich auf Pump. Weil irgendwann die Gletschermasse fehlt», erklärt der Meteorologe.

Gletscher schmelzen weg

Den Alpinisten macht die Gletscherschmelze zu schaffen. Wo Eis war, ist jetzt Pflotsch. Allein zwischen dem 15. und 21. Juni hatten die Schweizer Gletscher 300 Millionen Tonnen an Eis und Schnee verloren, wie Daten des Schweizerischen Gletschermessnetzes Glamos zeigen.

An den einen Orten gibts beinahe zu viel Wasser, an den anderen viel zu wenig – wie in den Freiburger Alpen. Die Armee muss sogar Wasser in die Alpwirtschaftsbetriebe fliegen. Die Super Pumas sollen bis Ende August im Einsatz stehen. Die Armeehelis werden sehr geschätzt, denn sie transportieren auf einmal anderthalb Tonnen Wasser – bis fünfmal mehr als ein ziviler Helikopter.

Trockene Kontinentalluft sorgt für Dürre

Doch warum ist es derzeit so trocken? Wie Michael Eichmann erklärt, hängt die Lage mit dem Hochdruckgebiet in Nordeuropa zusammen. Wir befinden uns südlich davon in einer Bisenströmung. Der Wind kommt derzeit von Nordosten, wo die kontinentale Luft eher trocken ist. Wenn der Wind von Südwesten kommt, bringt er Meeresluft und Gewitter mit.

Im Frühjahr waren wir zudem öfter mal in einer «Blocking»-Lage. Dabei bleibt ein Hochdruckgebiet mit Zentrum über Mitteleuropa lange stationär und lenkt das von Westen kommende Tiefdruckgebiet nach Norden ab. «Besonders ausgeprägt waren diese Lagen im März.» Mancherorts war es der trockenste März seit Messbeginn.

In den vergangenen Jahren beobachten Experten zudem, wie sich das Wetter entschleunigt hat. Eine bestimmte Wetterlage dauert nun tendenziell länger an, als dies noch vor ein paar Jahrzehnten der Fall war. Im Klartext: «Wenn wir in einem Hoch sind, dann bleibt das tendenziell länger als noch früher. Und wenn es nass ist, dann bleibt es länger nass», sagt der Wetter-Experte.

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