Es war im Herbst des letzten Jahres. Die Familie sitzt beisammen, die Laune ist gut. Als Sabine Z.* ihrer Tochter Monika Z.* aus Spass einen Klaps auf den Oberschenkel verpasst, zuckt diese auffällig heftig zusammen. «Ich riss ihr die kurze Hose hoch, da sah ich die Verletzungen», sagt die Mutter zu Blick. «Da erzählte mir meine Tochter, dass ihr Freund sie seit Monaten immer wieder gegen ihren Willen zu Sex zwingt. Wir waren zutiefst geschockt», erzählt Sabine Z. weiter.
Die Frauen erzählen Blick ihre Geschichten, damit andere Familien nicht den gleichen Horror durchmachen müssen. Weil Mutter und Tochter immer noch Angst vor dem Peiniger haben, schützt Blick ihre Identität.
In emotionalem Ausnahmezustand
An besagtem Abend, an dem ihr die Tochter von den Vorfällen sexueller Gewalt erzählt, sei in ihr plötzlich ein Wut-Tornado losgebrochen, sagt Sabine Z. Die Mutter mehrerer Töchter berichtet: «Ich war in einem emotionalen Ausnahmezustand. Gleichzeitig musste ich die Männer der Familie davor stoppen, dem Freund meiner Tochter etwas anzutun. Ich wusste es nicht besser – und rief die Polizei.»
Die Bernerin Monika Z.* ist mit ihrem Schicksal nicht allein: Sexuelle Übergriffe passieren meistens im engsten Umfeld. Dies bestätigt Pia Allemann (55), Co-Leiterin der Zürcher Beratungsstelle für Frauen gegen Gewalt in Ehe und Partnerschaft (BIF).
Im letzten Jahr kamen in der Schweiz 867 Vergewaltigungen zur Anzeige, davon passierten 596 im engsten Kreis der Opfer. Der sexuelle Missbrauch findet oft über längere Zeit statt, für Familienmitglieder und Freunde ist es sehr schwierig, die Situation überhaupt zu erkennen. «Wichtiges Zeichen ist die plötzliche Isolation», sagt Expertin Allemann. «Der Täter versucht, das Opfer von seinem Umfeld abzutrennen, damit ihr Selbstvertrauen untergraben wird und seine Übergriffe nicht bekannt werden. Auch Hämatome oder Verletzungen, für die es meistens etwas zu abenteuerliche Erklärungen gibt, können ein Hinweis auf sexuelle Übergriffe sein.»
Die Frauen holen sich oft keine Hilfe, weil die Scham für das Erlittene unendlich gross ist. «Die Opfer denken sich, dass sie die einzigen sind, denen sowas passiert. Doch Tatsache ist, dass viele Frauen von ihren Partnern zu Sex gezwungen werden. Wenn die Opfer sich jemandem anvertrauen, ist der erste wichtige Schritt getan», so Allemann.
Als Freund oder Verwandter sollte man den Verdacht ansprechen. Aber mit Bedacht! Pia Allemann rät: «Am besten funktioniert es in einem Moment der Ruhe, wenn der Mann nicht anwesend ist. Man sollte die Fragen auch etwas indirekt stellen. Man könnte zum Beispiel sagen: ‹Ich habe den Eindruck, dass es Dir nicht so gut geht in letzter Zeit?›»
Wie im Fall von Monika Z. werden leider noch immer die wenigsten Straftäter zur Rechenschaft gezogen. «Eine Verurteilung ist sehr selten. Wir hoffen auf die Revision des Sexualstrafrechts», so die Beraterin. Sie empfiehlt, dass betroffene Frauen unbedingt bei einer Frauenberatungsstelle Hilfe holen. «Es gibt auch andere Möglichkeiten, sich zu schützen, etwa mit einem Kontakt- oder Rayonverbot. Wir helfen notfalls mit der Finanzierung einer juristischen Beratung.»
* Name geändert
Die Bernerin Monika Z.* ist mit ihrem Schicksal nicht allein: Sexuelle Übergriffe passieren meistens im engsten Umfeld. Dies bestätigt Pia Allemann (55), Co-Leiterin der Zürcher Beratungsstelle für Frauen gegen Gewalt in Ehe und Partnerschaft (BIF).
Im letzten Jahr kamen in der Schweiz 867 Vergewaltigungen zur Anzeige, davon passierten 596 im engsten Kreis der Opfer. Der sexuelle Missbrauch findet oft über längere Zeit statt, für Familienmitglieder und Freunde ist es sehr schwierig, die Situation überhaupt zu erkennen. «Wichtiges Zeichen ist die plötzliche Isolation», sagt Expertin Allemann. «Der Täter versucht, das Opfer von seinem Umfeld abzutrennen, damit ihr Selbstvertrauen untergraben wird und seine Übergriffe nicht bekannt werden. Auch Hämatome oder Verletzungen, für die es meistens etwas zu abenteuerliche Erklärungen gibt, können ein Hinweis auf sexuelle Übergriffe sein.»
Die Frauen holen sich oft keine Hilfe, weil die Scham für das Erlittene unendlich gross ist. «Die Opfer denken sich, dass sie die einzigen sind, denen sowas passiert. Doch Tatsache ist, dass viele Frauen von ihren Partnern zu Sex gezwungen werden. Wenn die Opfer sich jemandem anvertrauen, ist der erste wichtige Schritt getan», so Allemann.
Als Freund oder Verwandter sollte man den Verdacht ansprechen. Aber mit Bedacht! Pia Allemann rät: «Am besten funktioniert es in einem Moment der Ruhe, wenn der Mann nicht anwesend ist. Man sollte die Fragen auch etwas indirekt stellen. Man könnte zum Beispiel sagen: ‹Ich habe den Eindruck, dass es Dir nicht so gut geht in letzter Zeit?›»
Wie im Fall von Monika Z. werden leider noch immer die wenigsten Straftäter zur Rechenschaft gezogen. «Eine Verurteilung ist sehr selten. Wir hoffen auf die Revision des Sexualstrafrechts», so die Beraterin. Sie empfiehlt, dass betroffene Frauen unbedingt bei einer Frauenberatungsstelle Hilfe holen. «Es gibt auch andere Möglichkeiten, sich zu schützen, etwa mit einem Kontakt- oder Rayonverbot. Wir helfen notfalls mit der Finanzierung einer juristischen Beratung.»
* Name geändert
Ihrer Tochter und ihr war nicht bewusst, dass sie damals zum gynäkologischen Notfall hätten gehen können. Dort wäre eine anonyme Beweissicherung möglich gewesen, ohne dass die Polizei etwas davon erfahren hätte. Doch auf das als «Berner Modell» bekannte Regelwerk machte sie niemand aufmerksam. Zwei Polizisten standen innert 15 Minuten vor der Türe von Monika Z. Sie geriet in die Mühlen der Justiz. Auch dass sie drei Monate mit einer Anzeige hätte warten können, sagte ihr niemand.
Monika Z. war in einem Dilemma: «Ich habe ihn trotz allem ja noch geliebt. Dass gleich eine Anzeige gemacht wurde, stresste mich ungemein», sagt Monika Z. unter Tränen. «Ich hätte gewartet und mich erst mal informiert, was ich tun kann.»
Zu all der Aufregung kam noch ein Schub ihrer Autoimmun-Erkrankung hinzu. Weil es Hinweise gegeben hatte, dass der Mann fremdgegangen war, musste sie eine HIV-Prophylaxe über sich ergehen lassen, was zusätzlich Stress für Monika Z. bedeutete.
Schon die Mutter erlebte sexuelle Gewalt
Schon bevor sich Monika Z. bei der Polizei gemeldet hatte, durchlebte sie ein Martyrium: Ein halbes Dutzend Mal hatte sie gegen ihren Willen Sex mit ihrem damaligen Freund. Der letzte Vorfall führte dann zur Meldung an die Beamten. Vorher wagte sich Monika Z. schlichtweg nicht, Hilfe zu holen. «Ich war der festen Überzeugung, dass das nichts bringt.»
Dieses Denkmuster hat einen Grund: Auch Monikas Mutter Sabine Z. erlebte sexuelle Gewalt in der Beziehung – und fühlte sich anschliessend von den Behörden im Stich gelassen. Die Tochter berichtet: «Wir riefen die Polizei, sie führten den gewalttätigen Freund ab.» Aber: «Eine Woche später stand er schon wieder in unserem Garten.» Die Gewalt gegen die Mutter fand erst dann ein Ende, als die Frau sich in einen neuen Partner verliebt hatte – und dieser den Ex mit Nachdruck in die Schranken wies.
Zu wenig Gegenwehr
Auch Monate nach dem letzten Übergriff geht die Pein weiter. Kürzlich bekam die junge Frau Post von der Justiz: Sie stellte das Verfahren gegen den übergriffigen Ex-Freund ein. Das Dokument liegt Blick vor. Die Justiz begründet, dass der Ex zwar zugegeben habe, dass Monika Z. mehrmals keinen Geschlechtsverkehr wollte – und das auch gesagt hatte. Doch die Frau habe jeweils dem Drängen des Mannes nachgegeben. Laut dem Urteil hat das Opfer auch gesagt, der Freund habe keine Gewalt angewendet. Somit sind die Voraussetzungen für den Vorwurf der Vergewaltigung nicht gegeben.
Die Opferhilfe Schweiz berät Betroffene von sexualisierter Gewalt kostenlos und vertraulich. Die Adressen zu den kantonalen Beratungsstellen finden sich unter opferhilfe-schweiz.ch. Die Dargebotene Hand ist unter der Telefonnummer 143 rund um die Uhr für Menschen da, die ein unterstützendes Gespräch wünschen. Die Anrufe bleiben anonym.
Die Opferhilfe Schweiz berät Betroffene von sexualisierter Gewalt kostenlos und vertraulich. Die Adressen zu den kantonalen Beratungsstellen finden sich unter opferhilfe-schweiz.ch. Die Dargebotene Hand ist unter der Telefonnummer 143 rund um die Uhr für Menschen da, die ein unterstützendes Gespräch wünschen. Die Anrufe bleiben anonym.
Dass Monika Z. nur zugestimmt hat, weil sie vor ihm Angst hatte, lässt die Justiz nicht gelten. Schliesslich habe er sie im Vorfeld noch nie geschlagen, sondern höchstens die Hand gegen sie aufgezogen. Das «Nein» war also offiziell kein «Nein» – dies ist amtlich. Mit anderen Worten: Z. hätte schon ein bisschen schlagen, schreien oder wegrennen müssen, geht es nach der Justiz.
Was jetzt für Monika Z. bleibt, ist die grosse Enttäuschung, dass der Gang zur Polizei tatsächlich nichts gebracht hat. Darum ihr Rat für Frauen in ihrer Situation: «Geht zu einer offiziellen Beratungsstelle. Nur sie können wirklich helfen.»
* Namen geändert