Der Hafen von Gletterens im Kanton Freiburg ist ein Bijou. Hinter einem dichten Schilfgürtel ragen die Masten zahlreicher Segelboote in den strahlend blauen Himmel, auf dem akkurat gekürzten Rasen davor steht ein zum Blumentopf umfunktionierter Kahn. Sommerlich gekleidete Menschen schlendern mit grossen Strandtaschen vorüber, breiten am Ufer des Neuenburgersees Badetücher aus und bohren Sonnenschirme in den feinen Sand: Ein Idyll wie aus dem Ferienprospekt – gäbe es in Gletterens nicht gerade ein Problem.
Und das hat auch mit dem Hafen zu tun. Doch dazu später.
Der gegenwärtige Stand: Ende Juni erliess die Freiburger Kantonsregierung, der Staatsrat, eine ungewöhnliche Massnahme. In der dazugehörigen Mitteilung hiess es, man habe – auf Antrag des Oberamtmanns des Broyebezirks – entschieden, die Gemeinde Gletterens unter Zwangsverwaltung zu stellen. Gemeinderat und Parlament, in diesem Fall die Gemeindeversammlung, wurden frühzeitig und auf unbestimmte Zeit in die Sommerferien geschickt, die Kommune entmündigt. Kurz: In Gletterens hat die Demokratie Schiffbruch erlitten.
Budget fünf Mal abgelehnt
Im Kern der Krise geht es wie oft in solchen Fällen ums Geld. Fast zwei Jahre lang tobt in der Gemeinde schon ein Streit übers Budget – seit Dezember 2022 haben es die Bürgerinnen und Bürger von Gletterens nicht weniger als fünf Mal abgelehnt. Die Exekutive, die mittels Erhöhung des Steuerfusses ein Defizit von 300'000 Franken ausgleichen wollte, war seitdem quasi handlungsunfähig. Investitionen konnten nicht getätigt werden, Geplantes kam zum Stillstand.
Syndic (Gemeindepräsident) von Gletterens ist – oder besser war – seit 14 Jahren der parteilose Nicolas Savoy. Anfang Juli streichelt er in seinem Goldschmiedatelier die Skulptur eines befreundeten Künstlers, die an eine Konstruktion von Tinguely erinnert. Anders als die Bewohnerinnen und Bewohner «seiner» Gemeinde, kann er sie noch in Bewegung versetzen. Das Werk rattert zwar bedenklich – aber es funktioniert.
Für ihn sei jetzt Schluss, sagt der 65-Jährige zu SonntagsBlick. Wie seine Regierungskolleginnen und -kollegen darf er sein Büro im Gemeindehaus nicht mehr betreten. Die Arbeit erledigen nun drei vom Kanton eingesetzte Kräfte.
Vergiftete Stimmung im Dorf
Er habe sich nie als Dorfkönig gesehen, betont Savoy, und es frustriere ihn auch nicht sonderlich, dass seine Zeit an der Spitze der Verwaltung so abrupt endete. Dass es zu dieser «extremen Massnahme» gekommen sei, die Demokratie in der Gemeinde faktisch ausgehebelt worden sei, macht ihn dennoch nachdenklich: «Es gibt keine Gewinner in Gletterens, nur 1200 Verlierer.»
Die Stimmung sei zuletzt vergiftet gewesen, sagt Savoy. Es habe Drohungen gegen ihn und andere Gemeindeangestellte gegeben, auch die Beschädigung von Autoreifen. Nachbarn beschuldigten sich gegenseitig als Verräter, wenn sie in der Budgetfrage anders abgestimmt hatten.
Er werde auf der Strasse nicht mehr von allen im Dorf gegrüsst. Eine kugelsichere Weste trage er deswegen aber nicht, auch ein Wegzug komme nicht infrage. Wenn er eines gelernt habe in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten, dann dies: «Es ist vermutlich einfacher, Bundesrat zu sein, als Syndic eines kleinen Dorfes am Neuenburgersee.»
Die Sache mit dem Hafen
Eine Gruppe namens Transparence Gletterens machte im Dorf Stimmung gegen Savoys Kurs. Deren Anführer, ein Biobauer, heisst Alexandre Borgognon. Er sagt, er habe von den Übergriffen, die Savoy erwähnt, nichts gewusst: «Sollten sie sich als wahr erweisen, ist das Sache der Polizei und der Justiz.» Gewalt, auch verbale, lehne Transparence Gletterens grundsätzlich ab. «Wir haben nichts gegen die Regierung, nur mit ihrer Arbeit sind wir unzufrieden.»
Der Biobauer wirft dem Gemeinderat vor, bei der Jahresrechnung Fehler gemacht zu haben. Die Verwaltung sei ihrer Aufgabe schlicht nicht nachgekommen. Auch die Kosten seien in jüngster Zeit komplett aus dem Ruder gelaufen. Borgognon: «Eine Steuererhöhung kann erst diskutiert werden, wenn diese Probleme gelöst sind.» Was ihn besonders enttäuscht habe: Vorschläge aus der Mitte der Gemeinde wurden gar nicht richtig angehört.
Womit wir wieder beim Hafen wären – einer staatspolitisch hoch diffizilen Angelegenheit. Der Port de Gletterens zählt nämlich zum Verwaltungsvermögen der Gemeinde. Borgognon indes sähe ihn lieber als Bestandteil des Finanzvermögens. Wäre er das, könnte der Hafen verkauft werden, ohne das Funktionieren der Gemeinde zu gefährden. Und es wären keine teuren Abschreibungen nötig. Die Nachbargemeinden handhabten das mit ihren Häfen auch so. Und das Sparpotenzial entspreche exakt dem Loch im Budget: 300'000 Franken.
Im Dorf soll wieder Ruhe einkehren
Gemeindepräsident Nicolas Savoy hält nichts von diesem «Trickli». Zwar würden die Bücher dann womöglich ausgeglichener erscheinen – mehr Geld in der Kasse hätte Gletterens trotzdem nicht. Dabei seien ja gerade die liquiden Mittel das Problem. Unter anderem koste die relativ neue Schule, und falls wichtige Sanierungen an Gemeindegebäuden jetzt nicht vorgenommen würden, würde es später noch teurer, so der Syndic.
Wie auch immer: Mit der Lösung des Problems müssen sich jetzt andere herumschlagen. Willy Schorderet etwa, der frühere Oberamtmann des Broyebezirks, der den Gemeinderat von Gletterens seit Februar als Mentor begleitet. Sein Job sei es nun, sagt er, die laufenden Geschäfte zu erledigen, Gespräche mit Bürgerinnen und Bürgern zu führen und wieder Ruhe ins Dorf zu bringen. Eine neue App soll dabei helfen, regelmässige Informationsabende ebenfalls.
Es soll Neuwahlen geben
Zweimal pro Woche trifft sich Schorderet mit seinen beiden Kollegen, in der zweiten Augusthälfte sollen konkrete Massnahmen ergriffen werden. Oberstes Ziel ist ein Budget fürs laufende Jahr und die Genehmigung des letzten Jahresabschlusses. Und irgendwann – vielleicht schon im nächsten Jahr – soll es dann endlich Neuwahlen geben, die Demokratie in Gletterens ein Comeback erfahren.
Es sei gut, dass sich nun jemand von aussen, also mit unbelasteter Sicht, um die Geschicke der Gemeinde kümmert, sagt Syndic Nicolas Savoy noch. Durch seine Arbeit als Goldschmied und Kurator werde es ihm ohnehin nicht langweilig: «Mit 65 hört das Leben nicht auf», sagt er. «Manche sagen sogar, es fange dann erst an!»