In der ganzen Schweiz gelten beim Bauen strenge Regeln. In der ganzen Schweiz? Nein! Im beschaulichen Frutigen BE leistet man wacker Widerstand gegen Zonenpläne und Anweisungen des Kantons. So könnte man auf jeden Fall die Medienmitteilung der Regierungsstatthalterin von Frutigen-Niedersimmental interpretieren. Die Tonalität der Kantonsvertreterin Ariane Nottaris an die Adresse der Gemeinde: unüblich scharf.
Vorwurf: Jahrelange Untätigkeit
Die Frutiger Hochbaukommission habe ihre baupolizeilichen Pflichten betreffend illegaler Bauvorhaben in der Landwirtschaftszone «wiederholt, systematisch und seit mehreren Jahren vernachlässigt», heisst es da. Zwar sei die Baupolizei aktiv geworden. Nach der Feststellung von Missständen passierte in der 6700-Seelen-Gemeinde dann aber zu oft: nichts. Manchmal jahrelang. Auch Fristen der Regierungsstatthalterin seien missachtet worden.
Tatsächlich sorgte die Frutiger Bauverwaltung bereits in der Vergangenheit für Schlagzeilen. So musste sich die Gemeinde im September 2022 gegen Vorwürfe wehren, Bauprojekte eines Grossunternehmers bevorzugt zu haben. Damit steht Frutigen aber nicht allein da: Vor drei Jahren deckten Blick-Recherchen auf, dass Dutzende Alphütten im Berner Oberland illegal zu Luxus-Chalets umgebaut und an Touristen vermietet wurden.
Nach Oktober droht die Zwangsverwaltung
Doch in Frutigen hat Regierungsstatthalterin Nottaris nun genug. Bei insgesamt 35 hängigen Baupolizeifällen sieht sie dringenden Handlungsbedarf. Die Bandbreite der Verfehlungen sei gross: Sie reicht von unbewilligtem Asphalt auf einer Strasse über ein Fenster zu viel bis zu einem zu gross gebauten Stall.
Auf Blick-Anfrage macht Nottaris klar: Bis Ende Oktober sollte ein Grossteil der Frutiger Fälle abgeschlossen sein. «Sonst muss der Regierungsrat eine Zwangsverwaltung prüfen.» Greift im beschaulichen Berner Oberland bald der Kanton durch, um die Gemeindepolitiker auf Spur zu bringen? Blick hat sich auf Spurensuche gemacht.
Die Gesetze des Landes
Aus einigen Mündern kommt Kritik an der Gemeinde Frutigen: So fällt mehrere Male das unliebsame Wort «Vetterli-Wirtschaft». So sagt ein Anwohner: «So ist das halt auf dem Land: Wenn du im richtigen Club bist, ist alles einfacher.»
Was ebenfalls immer wieder fällt: «Wenn es zu schwierig und langwierig ist, eine Baubewilligung zu erhalten, muss man sich nicht wundern, wenn wir hier einfach anfangen zu bauen.» Oder etwas einfacher: «Die huere Bürokratie brauchen wir hier nicht.»
«Das ist ziemlich unnötig»
Viele Befragte meinen aber auch, dass die Regierungsstatthalterin unnötig Drama nach Frutigen bringt. So sagt eine Anwohnerin: «Ich verstehe, dass sie nur ihren Job macht. Aber jetzt nach 20, 30 Jahren diese Lappalien auszugraben, die hier sowieso niemanden interessieren – das ist ziemlich unnötig.»
Ähnlich dürfte das wohl auch ein Grossteil der von den Baupolizei-Verfahren Betroffenen sehen. Da ist etwa die Familie Huber*, die vor rund 20 Jahren eine bewilligte Kiesstrasse zu ihrem Haus in einer Frutiger Landwirtschaftszone baute. Wegen des steilen Anstiegs und des hohen Unterhaltaufwands teerte sie die Strasse zwei Jahre später in Absprache mit einem Amtsträger. Wie sich vor einigen Jahren herausstellte, war das keine offizielle Bewilligung. Der Teer-Bezug der Strasse soll nun wieder weg – die Kosten soll Familie Huber tragen.
Gemeinde verteidigt sich
Als Blick bei der Gemeinde anklopft, nimmt Gemeinderatspräsident Hans Schmid Stellung. In Frutigen nimmt man den Bericht der Regierungsstatthalterin zur Kenntnis – auch wenn man laut Gemeinderatspräsident Hans Schmid dem Inhalt nicht zustimmt. «Wir haben in den letzten Jahren immer nach Lösungen gesucht, dabei aber versucht, verhältnismässig vorzugehen und nicht Konkurse und Familiendramen herbeizuführen.»
So sei ein Grossteil der illegalen Bauten «sicher nicht böswillig» entstanden, sagt Schmid. «Im Unterschied zur Bauzone muss in der Landwirtschaftszone fast jede noch so kleine Veränderung baurechtlich bewilligt werden. Das muss man zuerst mal wissen.» Zudem gäbe es keine Verjährungsfrist. «Wer ein Bauwerk in der Landwirtschaftszone kauft, kauft schnell aus Versehen noch diverse Altlasten mit, die er dann teuer zurückbauen muss.»
Wohl keine schnellen Folgen der neuen Weisung
Dennoch gibt Schmid zu: «Wir hätten in einigen Fällen eventuell etwas weniger nachsichtig sein und stärker auf Fristen pochen müssen.» Doch das spiele jetzt keine Rolle mehr: «Wir werden uns an die Weisungen der Regierungsstatthalterin halten.» Deren Frist, alles bis Oktober zu bereinigen, werde man wohl aber nicht einhalten können. «Es wird sicher einige Einsprachen geben, was das Ganze hinauszögern dürfte.» Zumindest mit Hinauszögern scheint man sich in Frutigen gut auszukennen.
*Name geändert