Finanznot im Gesundheitswesen
Private wollen öffentliche Spitäler übernehmen

Die öffentlichen Spitäler sind in der Krise, Kantone müssen Millionen einschiessen. Das ruft private Akteure auf den Plan.
Publiziert: 10:54 Uhr
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Aktualisiert: 12:48 Uhr
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Spitäler in Finanznot werden zur Beute privater Investoren.
Foto: Getty Images

Auf einen Blick

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Lino SchaerenRedaktor

Die Lage für die öffentlichen Spitäler ist unbequem. Ein Defizit jagt das nächste, Kantone spannen Millionen-Rettungsschirme, um ihre Grundversorger zu retten. Kleinere Spitäler, die nicht versorgungsrelevant sind, bleiben dabei vermehrt auf der Strecke. Dann heisst es: Schliessen oder privatisieren.

Das zeigt sich im Kanton Aargau. Swiss Medical Network (SMN) verkündete im vergangenen Dezember, das Spital in Zofingen zu übernehmen. Zuvor versuchte die zweitgrösste private Spitalgruppe der Schweiz bereits, das Krankenhaus in Langenthal BE zu kaufen – doch die Verhandlungen scheiterten. In Zofingen hat es dann keine 20 Kilometer Luftlinie weiter mit einem tief in die roten Zahlen abgerutschten Betrieb geklappt.

Für die Spitalgruppe ermöglicht der Deal, ihr neues Versicherungsmodell im Mittelland zu etablieren. Zusammen mit der Krankenkasse Visana und dem Kanton Bern hat Swiss Medical Network vor einem Jahr im Berner Jura die Versicherung Viva lanciert. Das Modell funktioniert nach dem Managed-Care-Ansatz: Versicherte können ihre Ärztin nicht frei wählen, sie werden innerhalb der Versorgungsregion durch eine Hand koordiniert betreut.

2025 ist Viva auch im Tessin verfügbar, von Zofingen aus wollen SMN und Visana das Mittelland erobern. Die Pläne sind ehrgeizig: Bis 2030 sollen zehn Managed-Care-Regionen in der Schweiz mit rund 100'000 Versicherten aufgebaut werden. Heute zählt das Modell 3000 Mitglieder. Das Ziel: Die Gesundheitskosten dämpfen.

Private Anbieter senken die Kosten

Dass private Akteure von der Krise öffentlicher Spitäler profitieren, überrascht den Gesundheitsökonomen Stefan Felder (65) von der Universität Basel nicht. «Private Gruppen sehen in der Grundversorgung enormes Potenzial, weil sie dank einheitlicher Systeme und Abläufe Kosten sparen können», sagt er. Steigen mehr nicht staatliche Anbieter ein, sei das eine Chance, die Kosten effektiv zu senken, so Felder, «und das ohne Qualitätsverlust».

Alarmiert sind hingegen die Gewerkschaften. Sie befürchten, dass unter dem Spardiktat profitorientierter Akteure die Mitarbeitenden und letztlich die Patientinnen und Patienten leiden. Und SP-Co-Präsident Cédric Wermuth (39) hat die Privatisierung des Spitals in Zofingen zum Bundes-Thema gemacht. Wermuth will wissen, ob sich der Bundesrat bewusst ist, «dass die finanzielle Notlage von kleineren Spitälern von Privatspitälern ausgenutzt» werde. Wermuth kritisiert: Dadurch werde ein immer grösserer Teil der Grundversorgung privatisiert und gerate in den Einflussbereich ausländischer Investoren.

Der Aargauer Nationalrat spielt damit auf die Investmentgesellschaft Aevis Victoria hinter SMN an. Ihr Kerngeschäft sind nebst Privatspitälern Luxushotels. Zum Portfolio gehören Adressen wie das La Réserve Eden au Lac in Zürich, das Victoria-Jungfrau Grand Hotel in Interlaken BE und das Bellevue Palace in Bern. An der Gesellschaft beteiligt sind der amerikanische Medical Properties Trust, Inc. (MPT) und der Staatsfonds von Kuwait. Die Amerikaner sind über eine Aevis-Victoria-Tochter zur Hälfte an den Liegenschaften von Swiss Medical Network beteiligt.

Das verdeutlicht: Das Spitalwesen ist auch ein Immobiliengeschäft. Gesundheitsimmobilien gelten wegen der hohen Regulierung im Gesundheitswesen nach wie vor als sichere Investition. Dazu kommt: Dass die Schweiz im internationalen Vergleich bei den ambulanten Behandlungen weit zurückliegt, führt in den nächsten Jahren zu einem riesigen Investitionsbedarf bei der Infrastruktur. Dabei werden finanzstarke Investoren zusätzlich an Bedeutung gewinnen.

250 Millionen für neues Spital in Biel BE

Swiss Medical Network etwa hat gemäss Informationen von Blick grosses Interesse, den Neubau des Spitalzentrums in Biel BE zu finanzieren. Gesamtkosten: 250 Millionen Franken.

Der Bieler Spitaldirektor Kristian Schneider (53) zeigt sich «Stand heute offen für alle Varianten der Finanzierung». Schneider, Vizepräsident beim Spitalverband H+, glaubt: «Wollen wir das Gesundheitssystem nachhaltig verändern, müssen wir in öffentlich-privaten Partnerschaften denken.» Der Staat sei nicht fähig, die anstehenden Investitionen alleine zu stemmen.

Rückendeckung erhält Schneider von seinem politischen «Chef», dem Berner Gesundheitsdirektor Pierre Alain Schnegg (62). Der SVP-Mann gilt als Privatisierungsturbo. Er sagt: «Wir müssen endlich von der Idee wegkommen, dass nur der Staat gute Medizin machen kann.»

Und der Bundesrat sieht keinen Bedarf, wegen der zunehmenden Privatisierungen aktiv zu werden. Es sei aus wirtschaftlicher Sicht zu begrüssen, dass die Spitäler der Grundversorgung mögliche Synergien prüfen und die Zusammenarbeit fördern, schreibt er in seiner Antwort auf den Vorstoss von Wermuth. Ob weitere Spitäler an private Gruppen verkauft werden, liegt allerdings in den Händen der Kantone.

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