Direktor des defizitären Spital Freiburg schlägt Alarm
«Gesundheitssystem droht gegen Wand zu rasen»

Das Kantonsspital Freiburg macht vieles richtig. Trotzdem fehlt an allen Ecken und Ende das Geld. Blick hat vor Ort mit den Verantwortlichen gesprochen.
Publiziert: 03.01.2024 um 00:10 Uhr
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Aktualisiert: 04.01.2024 um 09:10 Uhr
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Das Kantonsspital Freiburg (HFR) schreibt regelmässig Defizite.
Foto: Philippe Rossier
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Christian KolbeRedaktor Wirtschaft

«Ein Minus von vier Millionen Franken im Jahr 2022 – das ist unser bestes Resultat seit 2015», sagt Marc Devaud (60), Leiter des Kantonsspitals Freiburg, gleich am Anfang. Das Gespräch mit Blick dreht sich um den Kampf mit den Finanzen – und die gesundheitspolitischen Sachzwänge, denen Spitäler ausgesetzt sind.

Devaud empfängt Blick zusammen mit der Verwaltungsratspräsidentin Annamaria Müller (58). Der Romand und die Deutschschweizerin sind die obersten Verantwortlichen der Spitalgruppe HFR, die die verschiedenen Standorte des Spitals umfasst – und stehen stellvertretend für eine weitere Herausforderung, mit denen sich die Gruppe im zweisprachigen Kanton herumschlagen muss.

Doch erst zurück zu den Verlusten. Für 2023 sieht es schon bedeutend weniger rosig aus. Das budgetierte Defizit liegt bei 28 Millionen Franken, auch für 2024 droht ein Defizit. Über dem HFR hat sich der perfekte Finanzsturm zusammengebraut: «Im Vergleich mit anderen Spitälern schneiden wir deutlich schlechter ab», sagt Präsidentin Müller.

Der Kanton redet mit

Dabei versucht das Spital, es richtig zu machen. Die Gruppe konzentriert die akutstationären Leistungen und Eingriffe am Kantonsspital in Freiburg, fährt dieses Angebot an den Standorten Meyriez-Murten, Riaz und Tafers herunter und baut diese zu Gesundheitszentren um.

Die Notfallstationen ausserhalb des Hauptstandortes sind bereits geschlossen und mit Notfalldiensten (Permanences) ersetzt. Ein Notfallzentrum für rund 300'000 Einwohner in einem flächenmässig mittelgrossen Kanton – das müsste eigentlich ausreichen.

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«Für den Teuerungsausgleich mussten wir im letzten Jahr 13 Millionen Franken zusätzlich aufwenden.»
Spitaldirektor Marc Devaud (60)
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Trotzdem kommt die Spitalgruppe auf keinen grünen Zweig. Die Kosten steigen, ohne dass auch nur ein Patient zusätzlich behandelt worden wäre. Ein Beispiel: Das Personal untersteht der kantonalen Besoldungsverordung, profitiert von einem grosszügigen Teuerungsausgleich.

«Allein dafür mussten wir im letzten Jahr 13 Millionen Franken zusätzlich aufwenden», so Devaud. «Wir versuchen, so effizient wie möglich zu arbeiten, aber mit von aussen aufgezwungenen Bestimmungen wird es schwierig.»

Eine eigenständige Lohnpolitik liegt für das Spital nicht drin, denn der HFR ist eine öffentlich-rechtliche AG. «Als wir das 2018 ändern wollten, um mehr unternehmerische Freiheiten zu haben, hat das Personal gestreikt», erklärt Devaud.

Mehrkosten wegen Informatik

Zu den steigenden Löhnen kommen die Teuerung und ein Problem mit der Informatik. «Die Informatik des Kantons will nicht mehr für uns zuständig sein», erklärt der Spitaldirektor. «Die Zusammenarbeit mit dem Spital war ihnen zu umständlich.»

Das Problem: In einem Spital kann die Software nicht einfach – wie in den meisten Firmen – über Nacht aktualisiert werden. Der Betrieb läuft rund um die Uhr, auch in der Nacht müssen Patienten betreut, Notfälle behandelt werden.

Die Folge: Das HFR muss nun einen privaten Dienstleister suchen. «Das kostet uns total sechs Millionen Franken», rechnet Devaud vor. «Das ist eine grosse Investition für uns.»

Ängste in der Bevölkerung

Das Fazit des Direktors fällt ernüchternd aus: «Jedes Mal, wenn wir glauben, den Kopf wieder über Wasser zu haben, kommt eine neue Herausforderung auf uns zu.» Die Folge: Das Loch in der Spitalrechnung wird grösser, die Schulden beim Kanton, der Jahr für Jahr das Defizit bezahlt, steigen weiter.

«Wir sind in einer vertrackten Situation», sagt Devaud. «Wir versuchen, so effizient wie möglich zu arbeiten, aber gleichzeitig sind uns durch die vielen Vorgaben die Hände gebunden.»

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«Wie können wir unternehmerischer arbeiten, wenn bei jeder Veränderung die Angst vor einer Privatisierungs- oder Kündigungswelle aufkommt?»
Verwaltungsratspräsidentin Annamaria Müller (58)
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Präsidentin Müller ergänzt: «Wie können wir unternehmerischer arbeiten, wenn bei jeder Veränderung die Angst vor einer Privatisierungs- oder Kündigungswelle aufkommt?» Man müsse im Kanton Freiburg auf viel mehr Dinge Rücksicht nehmen als in anderen Kantonen.

Das zeigt sich bei der Notfallplanung. Den Plan, nach Corona, als nur noch der Hauptstandort Notfälle behandelte, die Notfallstation in Tafers wieder zu eröffnen, musste das HFR schnell begraben – nicht nur aus Spargründen: «Wir haben trotz langem Suchen das Personal dafür nicht gefunden», so Müller.

Kein Chefarzt wolle an einem kleinen Standort mit nur wenigen Notfällen arbeiten. «Und nur mit Assistenzärzten kann man keinen Notfall rund um die Uhr betreiben.» Doch das interessiert Teile der Bevölkerung nicht. Mittels einer Volksinitiative soll die Wiedereröffnung aller Notfallstandorte erzwungen werden.

Warnung des Direktors

Nun muss die Spitalleitung der Bevölkerung begründen, warum es effizienter ist, die Notfallorganisation nur noch am Hauptstandort zu betreiben. Zugleich verlangt sie am selben Abstimmungswochenende im kommenden Jahr bis zu 185 zusätzliche Millionen vom Volk, um notwendige Investitionen für den laufenden Betrieb zu garantieren und die Planung eines modernen Spitalzentrums am Hauptstandort voranzutreiben. Eine Aufgabe, die der Quadratur des Kreises nahekommt.

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«Das ganze Gesundheitssystem droht gegen eine Wand zu rasen.»
Spitaldirektor Marc Devaud (60)
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«Die Bevölkerung hat immer mehr Mühe, unser Gesundheitssystem zu verstehen», sagt Direktor Devaud. Er warnt: «Das ganze Gesundheitssystem droht gegen eine Wand zu rasen.» Will heissen: Nur wenn sich das ganze System endlich bewegt, lässt sich das Schlimmste verhindern.

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