Linke und Gewerkschaften bekämpfen Gesundheitsreform mit Referendum
Gegen noch mehr Macht für Krankenkassen

Das Parlament entscheidet in der Wintersession über die Finanzierung der Gesundheitsleistungen. Sie soll neu «aus einer Hand» erfolgen. Das Referendum ist vorprogrammiert.
Publiziert: 04.12.2023 um 00:06 Uhr
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Aktualisiert: 04.12.2023 um 06:30 Uhr
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Für stationäre Leistungen übernehmen die Kantone mindestens 55 Prozent der Kosten. Für ambulante zahlen sie nichts.
Foto: keystone-sda.ch
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Ruedi StuderBundeshaus-Redaktor

Es ist die grösste Gesundheitsreform der letzten Jahre: Die Gesundheitsleistungen der obligatorischen Grundversicherung sollen künftig «aus einer Hand» finanziert werden.

Heute ist es so: Leistungen aus dem ambulanten Bereich werden vollständig über die Krankenkasse abgerechnet. Lässt sich also jemand im Spital den gebrochenen Arm gipsen, zahlt die Kasse die Rechnung. Muss hingegen jemand nach einer Operation im Spital übernachten, spricht man von einer stationären Behandlung. Dann übernimmt die Krankenkasse höchstens 45 Prozent, der Kanton mindestens 55 Prozent der Kosten.

Dieser Kostenteiler führt zu Fehlanreizen. Die Kantone haben wenig Interesse an stationären Behandlungen, die sie mitfinanzieren müssen. Umgekehrt sind ambulante Behandlungen zwar deutlich günstiger, doch sie gehen voll zulasten der Kassen und damit der Prämienzahler.

Dieses Dilemma sollte die 2009 von der früheren Mitte-Nationalrätin Ruth Humbel (66) angestossenen Reform lösen. Das Grundkonzept ist einfach: Sämtliche Behandlungen werden via Krankenkasse abgerechnet. Und die Kantone zahlen neu einen fixen Anteil. Damit der neue Verteiler kostenneutral ist, sollen die Kantone etwas mehr als ein Viertel der Gesamtkosten berappen.

VPOD hat Referendum beschlossen

Doch die Vorlage steht auf der Kippe. Linke und Gewerkschaften stören sich daran, dass die Abrechnungen nur noch über die Krankenkassen laufen und die Kantone die Rechnungskontrolle aus der Hand geben sollen. «Mit der einheitlichen Finanzierung erhalten die Krankenkassen noch mehr Macht», moniert Gewerkschaftsbund-Präsident Pierre-Yves Maillard (55). «Neben 35 Milliarden Prämiengeld würden sie zukünftig auch noch 11 Milliarden Steuergelder verwalten!»

Selbst wenn man sich mehr Effizienz davon verspreche, könne niemand einen Kostensenkungseffekt garantieren. «Diese Reform ist nicht auf der Höhe der Zeit», so der neue Waadtländer SP-Ständerat. Zu einem allfälligen Referendum will er sich noch nicht äussern.

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Trotzdem ist bereits klar: Ein Referendum von Gewerkschaftsseite ist beschlossene Sache! Die Service-Public-Gewerkschaft VPOD, die auch Gesundheitsangestellte vertritt, tritt gegen die Vorlage an. «Wir wehren uns gegen eine Privatisierung der Gesundheitsfinanzierung und werden das Referendum ergreifen», sagt VPOD-Generalsekretärin Natascha Wey (41). Mit der Vorlage gehe die demokratische Steuerung durch die öffentliche Hand verloren. «Wenn die Versicherer die Tarife festlegen, steigt der Kostendruck auf die Angestellten, was unweigerlich zu einer Verschlechterung führen wird.»

Absturz schon im Parlament?

Offen bleibt, ob ein Referendum überhaupt nötig wird. Denn der Vorlage droht schon in der Wintersession im Parlament der Absturz. Mittlerweile ist klar, dass auch die Langzeitpflege in den neuen Finanzierungsmodus einbezogen wird. Umstritten ist aber, ab wann. Mit der zunehmenden Lebenserwartung dürften hier die Kosten deutlich steigen – und damit die Prämien, wenn der Kantonsbeitrag nicht regelmässig angepasst wird.

Für Zoff sorgt auch eine ungeklärte Differenz: Der Nationalrat will den Patientenbeitrag an die Pflegeleistungen von 23 Franken pro Tag streichen, die zuständige Ständeratskommission stellt sich dagegen. Denn damit würden zusätzliche Kosten von einer halben Milliarde Franken entstehen, warnt die Kommission. Von der Abschaffung würden vor allem mittlere und hohe Einkommen profitieren, die keinen Anspruch auf Ergänzungsleistungen hätten.

Bis zu 150 Millionen mehr

Ein weiterer Knackpunkt sind die Abgeltungen für sogenannte Vertragsspitäler. Dabei handelt es sich um Spitäler, die nicht auf den kantonalen Spitallisten figurieren, sondern mit den Kassen Verträge abgeschlossen haben. Der Nationalrat will, dass diese stärker über die Grundversicherung finanziert werden. Der Ständerat stellt sich dagegen, weil damit die Prämienzahlenden um 100 bis 150 Millionen Franken zusätzlich belastet würden.

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Mitte-Ständerat Erich Ettlin (61) hofft, dass sich die Ständeratsvariante durchsetzt und auch die Schlussabstimmung übersteht. «Ein Scheitern schon im Parlament wäre eine Kapitulation und ein Eingeständnis, dass wir im Gesundheitswesen keine grosse Veränderung mehr hinkriegen.» Ein einheitliches Finanzierungssystem ist für Ettlin nur die Vorbereitung für einen wichtigeren Schritt: «Das Ziel ist eine integrierte Versorgung», macht er klar. «Erst damit schaffen wir ein echtes Sparpotenzial.»

SP-Mann Maillard hingegen setzt einen anderen Fokus: «Nach dem Prämienschock braucht es nun eine dringende Deckelung der Prämien und griffige Massnahmen bei den Tarifen und den Medikamentenpreisen.»

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