Es ist ein Tabubruch: Zum ersten Mal möchte nicht nur die SP an der einkommensunabhängigen Finanzierung des Gesundheitswesens etwas ändern.
In einem Interview mit «Le Temps» schlägt der Chef der Krankenkasse KPT, Thomas Harnischberg (61), eine deutliche Erhöhung der Franchise für Reiche vor: «Ich denke, dass jemand mit einem Einkommen von 500'000 oder gar einer Million Franken kein Problem mit einer Franchise von 10'000 Franken hätte.» Eine solche Massnahme würde die Prämien senken und Versicherte mit hohen Löhnen stärker in die Pflicht nehmen, glaubt der Chef der Berner Krankenkasse.
Colatrella legte vor
Auch wenn der Vorschlag reichlich unausgegoren klingt, der Aufschrei ist bei Weitem nicht mehr so gross wie vor fünf Jahren. Damals hatte CSS-Chefin Philomena Colatrella (55) die 10'000-Franken-Franchise in einem Interview mit dem SonntagsBlick vorgeschlagen. Die Idee schockte damals sogar bürgerliche Gesundheitspolitiker.
Heute wird eher über die Umsetzung oder den Spareffekt diskutiert. Das zeigt: Der Leidensdruck ist enorm, die Prämienlast für viele Menschen zu hoch. Die Krankenkasse ist die einzige Sozialversicherung, die die Einkommensverhältnisse nicht berücksichtigt.
«Weniger als ein Prozent der Bevölkerung hat ein so hohes Einkommen. Wenn deren Gesundheitskosten für die Allgemeinheit wegfallen, hat das auf die gesamten Kosten im Gesundheitswesen keinen Einfluss», kritisiert der Gesundheitsökonom Tobias Müller (37) den KPT-Vorschlag.
Dem pflichtet Krankenkassenexperte Reto Dietschi (57) bei: «Wenn es wirklich etwas bringen sollte, müsste man die Einkommensschwelle viel tiefer ansetzen.» Es wäre ein Schritt zurück, allerdings in Zeiten, als die Prämien noch viel tiefer waren: «Früher war die Krankenkasse eine Grossrisikoversicherung, hat nur die existenziellen Kosten abgedeckt, heute wird fast alles bezahlt.»
Bei der Umsetzung wirds heikel
Pius Zängerle (60) ist Direktor des Krankenkassenverbandes Curafutura, wo auch die KPT Mitglied ist. Er kann der Stossrichtung des Vorschlages einiges abgewinnen: «Das Thema höhere Franchisen gehört auf die Agenda. Die Diskussion über die richtige Aufteilung der Kosten auf Steuern, Prämien und Direktbeiträge müssen wir führen.»
Martin Landolt (55), Präsident von Santésuisse und Mitte-Nationalrat, ergänzt: «Das darf kein Tabuthema sein.» Auch wenn der Vorschlag auf der Finanzierungsseite ansetze – und nicht auf der Kostenseite. Denn das Problem sind vor allem die stetig steigenden Gesundheitskosten, die zu einem grossen Prämienwachstum führen.
Müssen Krankenkassen dann Steuerunterlagen kontrollieren?
«Die Möglichkeit, Franchisen weiter zu erhöhen, um so unter dem Strich Gesundheitskosten einzusparen, ist in meinem Sinne», sagt FDP-Nationalrat Marcel Dobler (43). «Bei diesem konkreten Vorschlag aber stellen sich schon einige Fragen zur Umsetzung: Müssten die Krankenkassen dann die jeweiligen Steuerunterlagen kontrollieren? Und was ist im Falle von plötzlicher Arbeitslosigkeit? Der Vollzug wäre also nicht ganz einfach. Der Teufel liegt hier im Detail.»
Damit möchte sich SP-Nationalrätin Flavia Wasserfallen nicht aufhalten: «Ich befürworte jede Massnahme in Richtung einkommensabhängiger Verteilung der Kosten. Es ist wertvoll, dass solche Vorschläge auch vonseiten der Krankenkassen kommen.» Denn im heutigen System werde der Mittelstand überproportional belastet.