Neuer Ärger mit dem «PDF-Friedhof»
Wer ein Patientendossier erstellt, muss blechen

Die digitale Krankenakte soll das Gesundheitswesen billiger machen. Derzeit führt sie vor allem zu Mehrkosten – ausgerechnet für diejenigen, die ein EPD erstellen.
Publiziert: 05.11.2023 um 10:07 Uhr
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Aktualisiert: 06.11.2023 um 16:24 Uhr
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Das Eröffnen eines elektronischen Patientendossiers kostet Zeit, Nerven – und manchmal auch Geld.
Foto: Shutterstock
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Peter AeschlimannRedaktor

Das elektronische Patientendossier (EPD) sei nun auf Kurs, versprach Gesundheitsminister Alain Berset (51) kürzlich bei einer Debatte im Ständerat. Die Zahlen sprechen eine andere Sprache. Erst 27 000 Personen besitzen hierzulande eine digitale Krankenakte.

Und dies aus vielen Gründen. Für Patientinnen und Patienten ist das Erstellen eines EPDs freiwillig – und immer noch ziemlich kompliziert. Doch damit nicht genug. Wie SonntagsBlick herausgefunden hat, kann das Digital-Dossier ziemlich teuer werden. Und zwar ausgerechnet für Versicherte, die sich dazu durchgerungen haben, eines zu eröffnen.

Der Fehler liegt im System. Noch wird das EPD zumeist in Eigenregie mit Daten gefüttert. Dazu müssen Arztberichte, Röntgenbilder und Medikationslisten bei den Leistungserbringern als PDF oder in einem anderen Dateiformat angefordert und dann online abgelegt werden. Dabei entsteht – wie böse Zungen behaupten – ein unübersichtlicher «PDF-Friedhof».

Das Versenden der Dokumente stellt für das Personal einen Aufwand dar, den manche Praxen zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) in Rechnung stellen: 16 Franken für 5 Minuten «Aktenstudium in Abwesenheit des Patienten». Wer seine Franchise noch nicht aufgebraucht hat, finanziert in diesem Fall sein elektronisches Patientendossier also selbst.

Hört man sich bei Parlamentariern um, die sich für das elektronische Patientendossier starkmachen, heisst es unisono: «So war das eigentlich nicht gedacht.» Denn es ist klar: Solange die Kosten des EPD zulasten der Nutzerinnen und Nutzer gehen, wird jeder Appell zu mehr Eigenverantwortung ungehört verhallen.

Eigentlich unzulässig

Dass Leistungserbringer Anfragen zu Dokumenten für das EPD verrechnen, ist laut Bundesamt für Gesundheit (BAG) nicht zulässig. «In den heutigen Tarifen sind Aufwände für die Führung der Krankengeschichten bereits enthalten», sagt BAG-Sprecher Andrea Arcidiacono zu SonntagsBlick. «Die Herausgabe der Krankengeschichte sollte daher keine zusätzlichen Kosten verursachen, zudem ist sie Eigentum des Versicherten.»

Anders beurteilt das Yvonne Gilli (66), Präsidentin des Ärzteverbandes FMH. Zwar treffe es zu, dass die Herausgabe einer Kopie von Berichten gratis erfolgen müsse. «Dienstleistungen zur Pflege des elektronischen Patientendossiers sind allerdings zusätzliche Dienstleistungen, die im Verständnis der FMH einen zusätzlichen Aufwand darstellen.»

Grund für daraus entstehende Probleme seien die veralteten Tarife. «Das hat zu einer unhaltbaren Situation für die Hausärzte und Hausärztinnen geführt», so Gilli. Die im Tarmed enthaltenen Leistungen stammten noch aus der vordigitalen Zeit.

Krankenkassen weisen Verantwortung von sich

Kein Gehör findet Gilli mit ihrer Argumentation bei den Krankenkassen. «Das Zustellen von Unterlagen ist mit den bisherigen Tarifen abgegolten», sagt Santésuisse-Sprecher Matthias Müller. Es mache keinen Unterschied, zu welchem Zweck einer Patientin oder einem Patienten Unterlagen zugestellt würden. «Wenn diese löblicherweise den Aufwand auf sich nehmen, ein elektronisches Patientendossier zu erstellen und mit Informationen zu speisen, sollen sie darin unterstützt werden.» Müller sieht die Leistungserbringer in der Pflicht: «Wir erwarten, dass die Ärzteschaft mithilft, die Digitalisierung voranzutreiben und sie nicht mit ungerechtfertigten Gebühren bremst.»

Auch für Sarah Wyss (35) kommt das Abwälzen der Kosten fürs EPD auf Patienten nicht infrage. Die SP-Nationalrätin sagt: «Eine Abrechnung dieses Aufwands via Tarif ist nicht angezeigt.» Für den Fall, dass die Leistungserbringer während der Umstellung aufs EPD vorübergehend finanzielle Unterstützung benötigen, sieht Wyss die Kantone in der Verantwortung: «Die Finanzierung des elektronischen Patientendossiers darf sicherlich nicht über die Krankenkasse laufen.»

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