Die Situation sei «haarsträubend», meint Helena Trachsel (64), Leiterin der Fachstelle Gleichstellung des Kantons Zürich. Sekretärin Gisela F.* (59) sah sich in einem Schützengarten-Betrieb einem Chef ausgesetzt, der vor ihr onanierte. Sie prangerte die Missstände rund um die sexuelle Belästigung in ihrer Firma an.
F. wurde entlassen, zurückgeholt und degradiert. Doch der Chef durfte bleiben. Mittlerweile ist Sekretärin F. sogar ganz weg. Diese Erfahrungen seien ernst zu nehmen, sagt Gleichstellungsexpertin Trachsel. «Das Unternehmen tat dies jedoch nicht.»
Trachsel erklärt, dass in der Schweiz eine gesetzliche Bestimmung zur Sorgfaltspflicht bestehe. «Den Arbeitnehmenden muss ein diskriminierungsfreies Arbeitsumfeld ermöglicht werden. Offensichtlich wurde diese Vorgabe hier verletzt. Daher ist es für mich noch weniger zu verstehen, weshalb die Vorgesetzten nicht längst intervenierten.»
Wie das Unternehmen korrekt hätte handeln müssen, zeigt Trachsel klar auf: «Einerseits hätten die Aussagen der Mitarbeiterin ernst genommen und überprüft werden müssen. Damit hätte der Vorgesetzte dann konfrontiert werden müssen. In dieser Zeit muss der Schutz der Sekretärin sichergestellt sein.»
«Angebot einer Therapie» für den Chef
Seien die Vorwürfe glaubhaft, hätten beim Chef zwingend Massnahmen ergriffen werden müssen. Die Expertin zählt auf: «Keine Führungsverantwortung mehr, Versetzung, Angebot einer Therapie – und als letzte Konsequenz die Entlassung.» Und: «Man hätte den Chef bis zur Klärung der Situation sofort suspendieren müssen.»
Die Gleichstellungsexpertin betont aber, dass F. immer noch gegen ihren Ex-Chef wie auch gegen die Firma klagen könne. «Damit der betreffende Chef und das Unternehmen die Verantwortung für diesen Fall wahrnehmen.»
Überdies empfiehlt Trachsel der Frau, eine Beratungsstelle aufzusuchen, die gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz vorgehen kann. Und: «Ich finde es sehr mutig, dass sie sich beim Blick gemeldet hat. Ich rechne es ihr hoch an, dass sie sich gegen die Missstände wehrt.»
Alle sieben Wochen hört Fachstelle von ähnlichen Fällen
Dass das Erlebte von Gisela F. kein Einzelbeispiel ist, zeigen die beruflichen Erfahrungen von Trachsel. «Bei uns in der Fachstelle hören wir alle sieben Wochen von einem Vorfall in einem Unternehmen, in dem einer Frau, die sexueller Belästigung ausgesetzt ist oder war, nahegelegt wird, das Unternehmen zu verlassen.» Noch immer würden häufiger die Frauen das Unternehmen verlassen – «und die Verursacher von sexueller Belästigung bleiben».
Das bedrückende Fazit von Trachsel: «Wenn es um sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz geht, wird dies in der Schweiz immer noch zu häufig als Gentleman-Verhalten angesehen.» Die Gleichstellungsexpertin hört in Beratungen immer wieder, dass sich Betroffene mit Relativierungen konfrontiert sehen: «‹Tun Sie doch nicht so empfindlich, er meint es ja gar nicht so, es war doch nur Spass.» Sie stellt klar: «So eine Haltung ist inakzeptabel.»
* Name geändert