«Auch in der Landeskirche finden Fälle von Missbrauch statt»
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Synodalratspräsidentin:«Auch in der Landeskirche finden Fälle von Missbrauch

Ex-Reformierten-Präsident wird in Untersuchungsbericht schwer belastet
Er hat seine Assistentin sexuell belästigt

Im Mai 2020 trat Gottfried Locher als oberster Reformierter zurück. Er soll seine Macht missbraucht und gegenüber einer Frau Grenzverletzungen begangen haben. Die Kirche kommt nun zum Schluss: Die Vorwürfe der ehemaligen Mitarbeiterin sind glaubwürdig.
Publiziert: 04.08.2021 um 12:46 Uhr
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Aktualisiert: 04.08.2021 um 22:27 Uhr
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Gottfried «Godi» Locher ist im Mai 2020 zurückgetreten, nachdem eine ehemalige Mitarbeiterin der reformierten Kirche Beschwerde gegen den Ex-Präsidenten eingereicht hatte.
Foto: Tomas Wüthrich / 13 Photo
Lea Hartmann

Über ein Jahr hat die Evangelisch-reformierte Kirche (EKS) eisern geschwiegen. Was genau ist passiert, das im Mai 2020 zum Rücktritt des obersten Reformierten Gottfried «Godi» Locher (54) geführt hat? Bekannt war bisher nur, dass eine frühere Mitarbeiterin der Kirche dem ehemaligen EKS-Präsidenten Machtmissbrauch und «Grenzverletzungen» psychischer und sexueller Natur vorwirft. Wie schwer die Vorwürfe wiegen und vor allem, was an ihnen dran ist, war bis heute ungeklärt.

«Sexuelle, psychische und spirituelle Integrität» verletzt

Nun hat die Kirchenspitze den Untersuchungsbericht der Causa Locher veröffentlicht. Er kommt zum Schluss, dass Locher die ehemalige Assistentin in ihrer «sexuellen, psychischen und spirituellen Integrität» verletzt habe. Die Rede ist von Missbrauch, sexueller Belästigung und «unerwünschten Avancen» am Arbeitsplatz. Locher und die Mitarbeiterin führten zeitweise eine aussereheliche Affäre.

Sexuelle Belästigung durch Gottfried Locher bestätigt
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Medienkonferenz um 13.30 Uhr:Sexuelle Belästigung durch Gottfried Locher bestätigt

Locher tauchte ab

Die Kommission stützt sich bei seinen Schlussfolgerungen auf die Untersuchung einer Zürcher Anwaltskanzlei, die man damit beauftragt hatte, den Fall aufzuarbeiten. Deren Schlussbericht, über 200 Seiten soll er lang sein, macht die Reformierte Kirche nicht öffentlich.

Locher hatte jegliche Zusammenarbeit mit der Kanzlei verweigert. Er habe auf sämtliche Kontaktversuche nicht reagiert, sagte die Präsidentin der kircheninternen Untersuchungskommission, Marie-Claude Ischer. Dass Locher überhaupt nicht habe mitarbeiten wollen, sei inakzeptabel und «völlig unprofessionell», kritisierte sie. Die Kirche wirft ihrem ehemaligen Präsidenten das Verfolgen einer Einschüchterungstaktik vor. «Er hat in seiner Fürsorgepflicht versagt und seine Einschüchterung des Rates ist eines Präsidenten einer kirchlichen Institution nicht würdig», heisst es im Bericht der Kommission.

Opfer fordert Wiedergutmachung

Lochers Nachfolgerin Rita Famos (55) entschuldigte sich im Namen der EKS bei dem Opfer für deren Leid «und den langen Weg den es brauchte, sich Gehör zu verschaffen». Die Kommission hat 17 Empfehlungen ausgearbeitet, die verhindern sollen, dass sich der Fall wiederholt. Die Synode, das Parlament der Reformierten, wird an einer ausserordentlichen Sitzung Anfang September darüber befinden.

Famos sagte, der Rat unterstütze alle Vorschläge bis auf einen. Nicht für nötig hält er es, dass die organisatorische Struktur der EKS angepasst wird.

Mutmassliche weitere Opfer meldeten sich nur anonym

Es ist nicht ausgeschlossen, dass es weitere Frauen gibt, die Opfer sexueller Belästigung durch Locher wurden. Nachdem die Beschwerde der ehemaligen Mitarbeiterin publik wurde, hatten sich sechs weitere mutmasslich Betroffene bei verschiedenen Kantonalkirchen gemeldet.

Später wurde eine Meldestelle geschaffen, an die auch diese Frauen verwiesen wurden. Über die Meldestelle hat die EKS aber von keinem Fall erfahren, der anschliessend weiter verfolgt worden ist. Insgesamt sechs Personen hätten sich gemeldet, drei davon anonym, weshalb diese Fälle nicht weiter untersucht worden seien, so die EKS. Die weiteren drei Fälle hätten nicht die EKS und auch nicht Gottfried Locher betroffen und seien direkt an die zuständigen Kirchen weitergeleitet worden.

Die «Locher-Girls»

Pikant in der ganzen Sache: Ausgerechnet jene Frau, die bei der EKS zu jenem Zeitpunkt für die Prävention von Grenzverletzungen und sexuellen Übergriffen zuständig war und deshalb als eine der ersten von der Beschwerde erfuhr, hatte selbst mit Locher eine Affäre. Sabine Brändlin war Mitglied des Rates der EKS, welche die Exekutive der reformierten Kirche bildet. Sie war noch vor Locher von ihrem Amt zurückgetreten.

Wie Blick-Recherchen zeigten, werden Locher weitere aussereheliche Affären mit Pfarrerinnen und anderen Kirchenmitgliedern nachgesagt – die Rede ist von den sogenannten «Locher-Girls».

Skandal kostete Kirche schon 400'000 Franken

Die Aufarbeitung des Locher-Skandals kommt die reformierte Kirche teuer zu stehen. Knapp 400'000 Franken hat man bisher dafür aufgewendet. Nicht eingerechnet sind eventuelle Wiedergutmachungszahlungen. Das Opfer fordert rund 144'000 Franken Entschädigung. Zudem hat auch das ehemalige Ratsmitglied Brändlin die Forderung nach einer Entschädigung gestellt, diese allerdings nicht genau beziffert. Die Synode hat nun darüber zu befinden.

Nicht mit eingerechnet ist zudem die Abfindung, die Locher kassiert hat. Über die Höhe wurde Stillschweigen vereinbart. Die Kirche hat diese gezahlt, weil sie sich vor einem Gerichtsverfahren fürchtete. «Aufgrund der Beharrlichkeit der Anwältin von Gottfried Locher», schreibt die Untersuchungskommission, habe man das Risiko dafür sehr hoch eingestuft.

Locher
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