Die Vorwürfe gegen den ehemals obersten Reformierten im Land sind happig, aber nach wie vor diffus. Gottfried Locher (54), bis zu seinem sofortigen Rücktritt im Frühling vergangenen Jahres Präsident der evangelisch-reformierten Kirche (EKS), soll seine Macht missbraucht und gegenüber Frauen psychische wie auch sexuelle Grenzverletzungen begangen haben.
Was genau geschah, dazu schweigen die Eingeweihten bis heute eisern. Die EKS hat nach internem Druck bei einer Anwaltskanzlei eine unabhängige Untersuchung in Auftrag gegeben. Doch diese verzögert sich, wie nun bekannt wird. Nicht wie geplant im Januar, sondern voraussichtlich erst Ende Februar soll der Untersuchungsbericht der Kirche vorliegen.
Untersuchung ist komplexer als erwartet
Eine von der EKS eingesetzte Kommission will diesen dann analysieren und entscheiden, welche Lehren und Konsequenzen man aus der Affäre zieht. Ursprünglich wollte man der Synode – dem Parlament der Reformierten – bis im Juni die Schlussfolgerungen präsentieren. Nun wird es September.
Als Grund für die Verzögerung nennt die reformierte Kirche einerseits die Corona-Pandemie. Andererseits wird erwähnt, dass sich die Untersuchung «komplex» gestalte. Weitere Informationen gibt die Kirche nicht. Die EKS hat offenbar unterschätzt, wie aufwändig sich die Aufarbeitung des Skandals gestaltet. Personen, die in die Untersuchung involviert sind, berichten, dass die zuständige Anwältin die Betroffenen teilweise stundenlang angehört habe.
Meldestelle für weitere Opfer
Die reformierte Kirche weiss seit Ende 2019 von den Vorwürfen gegen Locher. Eine ehemalige Mitarbeiterin des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbunds (SEK), der Vorgängerorganisation der EKS, hatte eine Beschwerde eingereicht. Sie hatte vor über zehn Jahren eine aussereheliche Affäre mit Locher, welcher seit 2011 Präsident der Organisation war. Im Rahmen der Beziehung soll es zu «schwerwiegenden Grenzverletzungen» gekommen sein. Nachdem das publik geworden war, meldeten sich bei den Kantonalkirchen weitere Frauen, die angaben, ebenfalls «Grenzverletzungen» durch Locher erlebt zu haben.
Die EKS schuf im Oktober eine Meldestelle für weitere Locher-Opfer. Wie viele Personen sich dort gemeldet haben, ist unklar. Die Kirche verweist darauf, dass die Meldestelle unabhängig von der EKS sei und man deshalb dazu keine Angaben machen könne.
Locher hatte nicht nur eine Affäre
Die Frau, welche Beschwerde bei der Kirche eingelegt hatte, war nicht Lochers einzige Affäre. Auch Sabine Brändlin, ehemaliges Mitglied der EKS-Exekutive, räumte im Zuge des Skandals ein, bis vor Kurzem mit dem obersten Reformierten ein Verhältnis gehabt zu haben. Sie war es, welche den Fall erst gemeinsam mit einem anderen Ratsmitglied – ohne die anderen Mitglieder des Kirchenrats darüber zu informieren – untersucht hatte. Brändlin trat schliesslich zurück. Kirchenintern waren die Affären teilweise bekannt. Die Rede war von den sogenannten «Locher-Girls», wie BLICK berichtete.
Locher ist seit Bekanntwerden des Skandals abgetaucht. Er hatte die Vorwürfe gegenüber der Geschäftsprüfungskommission der EKS als «Intrige» abgetan. Öffentlich hat er sich nie zu ihnen geäussert.