Gottfried Locher (53) schweigt. Doch die Vorwürfe gegen den ehemaligen Präsidenten der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz (EKS) werden immer gravierender. Mehrere Frauen beschuldigen Locher psychischer und sexueller Grenzverletzungen. Zudem soll der verheiratete Familienvater nicht nur eine, sondern mehrere Affären gehabt haben. Vor wenigen Wochen trat er zurück.
Einer, der schon seit Jahren Kritik an Locher äussert, ist der Zürcher Kirchenratspräsident Michel Müller (56). Gemeinsam mit weiteren Kirchenvertretern hatte der Pfarrer die EKS in einem Vorstoss zu Transparenz aufgefordert. Sie hofften, damit die Situation zu beruhigen. Eingetreten ist das Gegenteil.
Herr Müller, der Skandal um Gottfried Locher zieht immer weitere Kreise. Schämen Sie sich in diesen Tagen, reformierter Pfarrer zu sein?
Michel Müller: Nein, ich persönlich schäme mich gar nicht. Ich weiss: Vor Ort machen unsere Leute einen guten Job. Was die Geschehnisse auf nationaler Ebene betrifft, gab es allerdings Momente des Fremdschämens. Was da passiert, ist sehr, sehr bedauerlich.
Gottfried Locher spricht von einer «inszenierten Intrige» und wehrte sich gegen eine unabhängige Untersuchung. Was halten Sie von diesem Verhalten?
Das ist ja das Dramatische an der ganzen Sache. Von einem Präsidenten, Offizier und Familienvater erwarte ich, dass er hinsteht – und sich nicht hinter Anwälten und PR-Büros versteckt. Doch Locher schweigt bis heute. Er lässt sämtliches präsidiales Format vermissen – und das schon seit Jahren. Es ist stets dasselbe Muster: Gibts Schwierigkeiten, taucht er ab und lässt andere nach vorn. Dabei hatte er den höchstbezahlten Job in der Schweizer Kirchenlandschaft!
Trotzdem wurde Locher zweimal wiedergewählt.
Rückblickend ist die Wiederwahl Lochers 2018 sicher der grösste Fehler der Kirche. Ich habe meine Kritik schon damals geäussert. Vergebens. Ich habe ihn auch öffentlich aufgefordert, Stellung zu Gerüchten zu beziehen.
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Hat Gottfried Locher als Vertreter der Kirche – einer moralischen Institution – eine besondere Verantwortung?
Ich bin nicht der Meinung, dass für die Kirche und ihre Vertreter strengere moralische Massstäbe gelten. Aber es gelten eben genau die gleichen wie für alle anderen: Man muss zu dem stehen, was man getan hat. In der Kirche ist die Rede von Vergebung. Doch Bedingung für Vergebung ist immer auch Einsicht.
Darf der oberste Kirchenvertreter Affären haben?
Das ist eine schwierige Frage. Aus meiner Sicht ist es problematisch. Wobei ich darin weniger ein moralisches Problem sehe denn eines der Amtsführung. Denn so weiss man nie, welches Interesse eine Person gerade verfolgt: Ist sie aus beruflichen Gründen an diesem Anlass oder wegen des Interesses an einer Frau? Wenn, dann hätte Locher auch hier endlich Klartext reden müssen.
Nun werden Vorwürfe untersucht, Locher habe nicht nur Affären gehabt, sondern mehrfach «Grenzüberschreitungen» begangen. Das ist ein sehr schwammiger Begriff. Wovon reden wir konkret?
Zu Details äussere ich mich nicht. Grundsätzlich verstehen wir in der EKS darunter Eingriffe in die körperliche, seelische oder religiöse Integrität einer Person. Es kann sich um Belästigung, sexuelle Übergriffe oder eine Beziehung in einem Abhängigkeitsverhältnis handeln. Um die Ausübung subtilen Drucks, Manipulation oder wenn eine Person ihre religiöse Autorität nutzt, um andere zu beeinflussen.
Er war der starke Mann der Schweizer Reformierten: Von Gottfried Locher (53) ging Aufbruchstimmung aus, als er 2011 zum Präsidenten der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz (EKS) gewählt wurde. Er war international vernetzt, mediengewandt, hatte Ausstrahlung. Und er reformierte die Reformierten, gab ihnen ein junges, modernes Gesicht und machte die Kirche wieder zum politischen Akteur – etwa mit dem Ja zur Ehe für alle.
Und nun ein tiefer Fall. Locher wird vorgeworfen, «Grenzverletzungen» gegenüber Frauen begangen zu haben. Zudem soll der Familienvater mehrere Affären gehabt haben – Gerüchten zufolge manchmal gleichzeitig. Die Schattenseiten der reformierten Lichtgestalt lässt die EKS derzeit durch eine Anwaltskanzlei untersuchen. Seinen Posten ist Locher bereits los: Ende Mai trat er als EKS-Präsident zurück.
Er war der starke Mann der Schweizer Reformierten: Von Gottfried Locher (53) ging Aufbruchstimmung aus, als er 2011 zum Präsidenten der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz (EKS) gewählt wurde. Er war international vernetzt, mediengewandt, hatte Ausstrahlung. Und er reformierte die Reformierten, gab ihnen ein junges, modernes Gesicht und machte die Kirche wieder zum politischen Akteur – etwa mit dem Ja zur Ehe für alle.
Und nun ein tiefer Fall. Locher wird vorgeworfen, «Grenzverletzungen» gegenüber Frauen begangen zu haben. Zudem soll der Familienvater mehrere Affären gehabt haben – Gerüchten zufolge manchmal gleichzeitig. Die Schattenseiten der reformierten Lichtgestalt lässt die EKS derzeit durch eine Anwaltskanzlei untersuchen. Seinen Posten ist Locher bereits los: Ende Mai trat er als EKS-Präsident zurück.
Einiges davon hat Gottfried Locher mutmasslich getan.
Das kann ich weder bestätigen noch dementieren.
Schadet der Fall Locher der reformierten Kirche?
Gerade während der Corona-Pandemie haben wir gesehen, dass es wichtig ist, über ein nationales Gesicht zu verfügen, das sich für unsere Anliegen starkmacht. Dass das nun fehlt, wird uns schaden. Ebenso wie die hohen Kosten, die das alles jetzt verursacht. Dies wird die Leute zu Recht aufregen – und es tut mir unglaublich weh. Ich bitte die Menschen: Gebt uns noch eine Chance! Zwar hat auch die Kirche Fehler gemacht. Aber ich bin überzeugt, dass wir die Kraft haben, sie zu korrigieren.
Michel Müller (56) ist in Basel geboren, wo er auch die Matur machte und Theologie studierte. Seine erste Stelle als Gemeindepfarrer führte ihn nach Thalwil ZH. Dieses Amt bekleidete er während 17 Jahren. Schon lange ist Müller auch in nationalen Kirchengremien engagiert. Seit 2011 ist er als Kirchenratspräsident der oberste Zürcher Reformierte. Michel Müller hat drei Kinder.
Michel Müller (56) ist in Basel geboren, wo er auch die Matur machte und Theologie studierte. Seine erste Stelle als Gemeindepfarrer führte ihn nach Thalwil ZH. Dieses Amt bekleidete er während 17 Jahren. Schon lange ist Müller auch in nationalen Kirchengremien engagiert. Seit 2011 ist er als Kirchenratspräsident der oberste Zürcher Reformierte. Michel Müller hat drei Kinder.