Auf einen Blick
Mehr als 4000 Kinder und Jugendliche erhalten derzeit Unterricht in den eigenen vier Wänden. Vor allem während der Corona-Pandemie erlebte Homeschooling einen Boom.
Gemessen an der Gesamtzahl von Schülern in der Schweiz ist der Anteil von Kindern und Jugendlichen gering, die zu Hause unterrichtet werden. Doch die Entwicklung ist beeindruckend: Die Zahl der Homeschooler hat sich zwischen den Schuljahren 2018/19 und 2022/23 mehr als verdoppelt: von genau 2000 auf 4136 Kinder.
Dafür gibt es verschiedene Gründe: Mangel an Lehrpersonen, Unzufriedenheit mit dem Schulsystem, aber auch staatliche Covid-Massnahmen gaben dem Lernen ohne Schule Auftrieb. Von Fachleuten unerwartet, hielt der Homeschooling-Boom auch nach Corona an. Nun aber zeigen neue Daten der Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren, dass die Zahl der zu Hause unterrichteten Kinder im Schuljahr 2023/24 erstmals leicht zurückgegangen ist – auf 4028.
Lehrdiplom wird zur Pflicht
Das dürfte wohl daran liegen, dass einige Kantone – durch die starke Zunahme aufgeschreckt – die Regeln für Heimunterricht verschärft haben.
In Schaffhausen und Luzern darf seit 2023 nur noch Heimunterricht geben, wer über ein Lehrdiplom verfügt. Dort ist das Angebot deshalb stark zurückgegangen. Auch der bisherige Spitzenreiter im Homeschooling, der Kanton Bern, hat die Schraube angezogen und seine Kontrollen verstärkt. Die Zahlen sanken zuletzt auch hier leicht.
Dass jeder Kanton beim Homeschooling eigene Vorschriften erlassen darf, hat das Bundesgericht 2019 bekräftigt. Entsprechend unterschiedlich wird der Heimunterricht gehandhabt. In Zug, St. Gallen oder Basel-Stadt ist Homeschooling durch strikte Vorgaben praktisch verboten. Waadt, Bern und Aargau hingegen zeigen sich besonders liberal. Sie stellten im letzten Schuljahr 65 Prozent der Schüler im Unterricht zu Hause.
In der Waadt ist der Boom ungebrochen. Hier müssen Eltern den Behörden lediglich melden, wenn sie ihr Kind selbst unterrichten wollen. Eine Bewilligungspflicht gibt es nicht – was auch Homeschooling-Fans aus anderen Kantonen anlockt.
Doch auch hier werden Verschärfungen diskutiert. Die Kantonsregierung ist besorgt, dass sich Eltern aufgrund religiöser Überzeugungen für den Unterricht zu Hause entscheiden. Mit der Gesetzesverschärfung sollen Kinder besser vor Einflüssen durch religiöse oder sektenartige Gruppen geschützt werden.
«Nur noch für wohlhabende Familien»
Für die Homeschooling-Bewegung sind die Reaktionen der Kantone auf den Boom frustrierend. «Mir sind keine Gesetzesänderungen bekannt, die das Homeschooling je vereinfacht hätten», sagt Patrick Ziegler (46), Präsident des Vereins Bildung zu Hause Schweiz. Der Unterricht daheim sei die einzige Alternative zur Volksschule, die für eine breite Bevölkerung realisierbar sei. Da immer mehr Kantone ein Lehrdiplom voraussetzen, seien Eltern gezwungen, Lehrpersonen zu engagieren. Ziegler: «So wird Homeschooling nur noch für wohlhabende Familien möglich.»
Viele Kantone wiederum halten genau dies für den richtigen Weg, um die Bildungsqualität und damit die Chancengleichheit sicherzustellen. Auch Tina Hascher (59). Die Erziehungswissenschaftlerin der Universität Bern begrüsst strengere Vorgaben. «Unterricht zu Hause darf eine Option sein, aber nur, wenn die nötigen fachlichen und pädagogischen Kompetenzen vorhanden sind.» Motivation alleine genüge nicht – dafür sei Bildung viel zu wichtig.