Im Hochsommer wimmelt es in den Strassen von Davos GR von Männern und Buben mit schwarzen Kippas sowie von Frauen in langen Röcken mit Perücke. Auch ältere Herren mit dichten weissen Bärten und Kaftan – einem traditionellen jüdischen Kleidungsstück – prägen das Strassenbild des Bündner Bergorts in den warmen Monaten.
Was für so manch einen Nicht-Davoser ungewohnt erscheinen kann, ist für die Anwohner nichts Aussergewöhnliches: Jedes Jahr pilgern in den Monaten Juli und August viele orthodoxe Juden ins Bündnerland. Viele reisen traditionell nach dem Fastentag «Tischa beAw» an, der heuer auf den 27. Juli gefallen ist.
Davos als Sommermetropole
Offizielle Zahlen gibt es keine, denn die Gäste werden im Tourismusort nicht nach Religionszugehörigkeit, sondern nach Nationalität erfasst. Laut dem Portal Audiatur online werden jedoch an einem Freitag im August im 13'000 Seelen-Ort im Schnitt ca. 1500 Schabbat-Brote bestellt, was einen das Ausmass erahnen lässt. Die Anwesenheit der gläubigen Juden sorgte bereits in der Vergangenheit für Zündstoff. Eine ausgelassene Feier zur Thora-Einweihung im Jahr 2019 stiess manchem Einheimischen zum Beispiel sauer auf.
Dennoch gilt das Bergdorf als die inoffizielle jüdische Sommerhauptstadt Europas – und das schon seit vielen Jahren. Die ersten jüdischen Gäste gelangten ab 1870 als Lungenpatienten nach Davos, um dort die gute und saubere Höhenluft zu atmen: Um die Jahrhundertwende entstanden orthodox geführte Pensionen, 1911 öffnete das Etania, eine jüdische Heilstätte.
Letzte Reise nach Davos
Für viele Tuberkulose-Kranke war die höchstgelegene Stadt Europas deren letzte Reise: Mehrere Hundert Männer und Frauen sind in Davos nach jüdischem Ritus begraben worden. Die meisten Bestattungen erfolgten in den 1930er- und 1940er Jahren.
Im Jahr 2000 musste dann das jüdische Sanatorium seine Tore schliessen, doch das tat dem Tourismus der orthodoxen Juden keinen Abbruch. Es lockt die gute Infrastruktur: Neben einem umfassenden kulinarischen Angebot und Gebetsräumen in einigen Hotels gibt es auch eine renovierte Mikwe – ein rituelles Tauchbad. Ausserdem pilgern jährlich bedeutende Rabbiner ins Bündnerland, die auf die Gläubigen wie ein Magnet wirken.
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