Für die Klima-Kleber war es ein Coup. Mit ihrer Blockade des grössten Autotunnels der Alpen am Karfreitag katapultierten sie sich weltweit in die Schlagzeilen. Minimaler Aufwand, maximale Aufmerksamkeit. Spätestens jetzt kennen fast alle die Gruppe hinter der Aktion: Renovate Switzerland.
Mittwochabend, fünf Tage nach der Blockade: Renovate lädt zur Online-Info im kleinen Kreis: Nachwuchsaktivisten rekrutieren – per Videocall. SonntagsBlick hat sich ebenfalls zugeschaltet.
Klima-Kleber malen dunkle Zukunft
Zehn Interessierte haben sich eingeloggt – nicht gerade viele. Kein Wunder: Die allermeisten nerven sich über die Strassenblockaden. Doch das gehört zum Konzept der Klima-Kleber. «Die Mehrheit der Bevölkerung zu mobilisieren, ist nicht das Ziel», sagt Renovate-Sprecherin Cécile Bessire (28). «Wenn ein Prozent sich der Bewegung anschliesst, reicht das.» Dann werde der Druck von der Strasse so hoch, dass die Politik die Forderungen von Renovate erfüllen müsse: den Klimanotstand ausrufen und eine Million Gebäude in der Schweiz besser isolieren.
An der Onlineveranstaltung redet Daria (24). Die junge Mikrobiologin hat sich vor dem Gotthard auf die Strasse geklebt. Nun entwirft sie das Szenario einer dunklen Zukunft, die uns allen droht, falls wir nicht mehr gegen den Klimawandel unternehmen: «Es wird Massenvergewaltigungen geben, ganz viel Tötungsdelikte, Massenhunger, Massenflucht, Massenmigration.» Noch hätten wir Zeit, um das zu verhindern. Aber «brutal wenig».
Renovate Switzerland hat gerade erst begonnen. Die nächsten Blockaden sind in Planung. Sprecherin Bessire sagt nichts Konkretes, nur: «Wir werden weitermachen mit gewaltfreien Aktionen. Jeder und jede wird sich in der Klimakrise positionieren müssen.»
Weltumspannendes Netzwerk
SonntagsBlick weiss: Die Renovate-Anhänger wollen in den grossen Städten zuschlagen: Zürich, Lausanne VD, Biel BE, Bern oder Genf. Sie bereiten sich auf Strassenblockaden vor, aber auch auf andere Aktionen im öffentlichen Raum.
Die Strategie der Klimaradikalen ist international koordiniert. Renovate ist eingebunden in ein Netzwerk, das von Kanada bis Neuseeland reicht, von Schweden bis Italien: das Kollektiv A22. «Wir sind hier, um zu handeln, nicht um zu reden. Wir haben einen Plan», schreibt das Bündnis auf seiner Webseite. «Solange noch Atem in unseren Körpern ist, werden wir nicht aufgeben.»
A22 vereint ein Dutzend Organisationen, die zu zivilem Ungehorsam übergegangen sind. Aus Deutschland ist die Letzte Generation dabei, die in Museen Kunstwerke beschmiert. Mit Tomatensauce, Kartoffelbrei, Öl. Aus England Just Stop Oil. Eine Gruppe, die Farbanschläge auf Konzerne begeht. Aus Frankreich die Dernière Rénovation, eine Kampagne, die wichtige Sportanlässe stört und sich zum Ziel gesetzt hat, einen Volksaufstand anzuzetteln.
Der Climate Emergency Fund bezahlt
Mitte Januar trafen sich Delegierte aller Organisationen in Amsterdam. Aus der Schweiz reisten zwei Renovate-Aktivisten an. Einer von ihnen berichtete online: «Dieses Treffen in Fleisch und Blut hat es uns ermöglicht, die Strategie für 2023 in groben Zügen festzulegen.» Er sei nach den Erfahrungen in Amsterdam «hoch entschlossen und motiviert». Bereits im Sommer soll das nächste Treffen stattfinden.
Klimaprotest kostet Geld. Und das kommt vor allem aus den USA. Das A22-Netzwerk wird massgeblich vom Climate Emergency Fund bezahlt, einer kalifornischen Stiftung, die laut eigenen Angaben Organisationen unterstützt, die «zivilen Ungehorsam in ihrer Strategie verankert haben».
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Gegründet und mitfinanziert wurde der Fond ausgerechnet von einer Erdöl-Milliardärin: Aileen Getty (65), Enkelin des Öl-Tycoons Jean Paul Getty. Sie erbte von ihrem Grossvater einen Teil seines Grosskonzerns. Mittlerweile ist das Unternehmen nicht mehr in Familienbesitz. «Ich bin die Tochter einer Familie, die ihr Vermögen mit fossilen Brennstoffen aufgebaut hat – doch mittlerweile wissen wir, dass der Abbau und die Nutzung dieser Stoffe das Leben auf unserem Planeten zerstört», schrieb Aileen Getty in der britischen Zeitung «Guardian». Der schnellste Weg, einen Wandel in der Gesellschaft zu erreichen, sei «störender Aktivismus».
Aus den USA kommen 30 Prozent des Budgets
Wie viel Geld genau an das A22-Netzwerk fliesst, macht der Fond nicht öffentlich. Klar hingegen ist: Ein Teil davon geht direkt an Renovate Switzerland. Das Geld aus den USA deckt 30 Prozent des Budgets. Der Rest besteht aus kleineren Spenden von Privaten.
Derweil beschwört Molekularbiologin Daria im Videocall Endzeitstimmung. «Es passiert schleichend. Alles, was wir lieben und gernhaben, ist in Gefahr.» Dass viele nicht realisieren, wie schlimm es um den Planeten steht, sei auch die Schuld der Politik. Wer den Weltuntergang voraussage, werde kaum mehr in ein Parlament gewählt. Daher sei es nur logisch, dass Politikerinnen und Politiker die Wahrheit verschweigen – «denn sie ist dunkel».
Der Gotthard-Coup hat Renovate Switzerland neu motiviert. «Es gab noch nie so viele Medienartikel», sagt Daria. Anfang Mai organisiert Renovate ein Blockadetraining. Nachwuchsaktivisten sollen lernen, ruhig zu bleiben. Und kompromisslos. Und sie sollen vorbereitet werden auf die teils aggressiven Reaktionen, die ihnen von Autofahrern entgegenschlagen.
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