In der Mitte steht der eisgekühlte Champagner. Drum herum gruppieren sich runde, rote Ledersessel. Und klar, die Scheiben sind abgedunkelt. Ein wenig suspekt sieht sie schon aus, diese VIP-Gondel.
Die Touristen zögern dann auch, wer als Erstes die Kabine besteigen soll. Aber dann sind sie drin, die Rockstars von Imagine Dragons aus Las Vegas (USA). Am Abend zuvor haben sie an ihrem Konzert in Bern Zehntausende Fans zugedröhnt, nun entschweben sie aufs Jungfraujoch im Berner Oberland.
Die Amerikaner sind wieder da. Nicht nur Bands auf Welttournee, auch normale US-Touristen. Ob auf Schweizer Gipfeln, vor dem Pariser Louvre, auf Schloss Neuschwanstein oder der Spanischen Treppe in Rom – die Gruppen in Baseballcaps und Turnschuhen sind diesen Sommer nicht zu übersehen, meist auch nicht zu überhören.
Voller Reisehunger stürzen sie sich in die Urlaubssaison. Dieser Trend bleibe für die kommenden Jahre bestehen, sagt Paolo Meineri, Agent beim weltweiten Reiseveranstalter EF, der Gruppen- und Sprachreisen exklusiv an US-Amerikaner vermittelt.
Imagine Dragons geniesst Züri-Gschnätzlets
Nach dem Corona-Break sind die Urlaubskassen der US-Amerikaner gut gefüllt, und aus den bescheidenen zehn Ferientagen im Jahr, die normale Angestellte bekommen, haben viele jetzt Freizeit für eine längere Reise angehäuft. Auch möchten sie sich für die Entbehrungen der letzten zwei Jahre entschädigen.
Wegen des allgemeinen Preisanstiegs, weil der Dollar stark ist, der Euro aber schwächer, sind für US-Bürger Ferien im eigenen Land nicht mehr viel billiger als «Best of Europe». Eine Woche Schweiz verkauft Meineri selten, aber drei Tage Switzerland im Päckli mit Italien, Frankreich und Deutschland sind ein Renner.
Auf «Top of Europe» geniessen derweil Daniel Platzman und Ben McKee, Drummer und Bassist der Imagine Dragons, das Panorama, Rösti und Züri-Gschnätzlets. «Wer irgendwie kann, wird verreisen», erklären die Musiker dem SonntagsBlick. Dicht dran an den US-Weltstars, die erstaunlicherweise den ganzen Tag um kein einziges Autogramm oder Selfie gebeten werden, folgt Urs Kessler, Chef der Jungfraubahnen, braun gebrannt, immer ein Lächeln und eine Anekdote parat.
Sein Motto: den Leuten «das Produkt» zeigen. Hier sind es Eiger, Mönch und Jungfrau – und Kesslers jüngstes Kind, die neue V-Bahn, das grösste Riesenbaby der alpinen Tourismusindustrie, das eine halbe Milliarde Franken gekostet hat und die Flachländer in 15 Minuten von Grindelwald auf den Eigergletscher katapultiert. Am Terminal in Grindelwald fühlt sich der Gast wie beim Check-in in Kloten ZH.
Mehr Besucher für das Joch
Am thailändischen Flughafen Bangkok war es, im Frühjahr 2020, als Kessler begriff, dass dieses Virus aus China eine grössere Kiste werden würde. Hinter ihm lag das Rekordjahr 2019, vor ihm ein überstürzter Heimflug und das grösste Sparprogramm in der Geschichte der Jungfraubahnen. «Von 900 Mitarbeitenden waren 600 in Kurzarbeit», erinnert er sich, «während der Pandemie fehlten über 90 Prozent der Kunden.»
Dafür entdeckten jetzt viele Schweizer überhaupt erst das Joch. Zuvor war es ihnen zu überlaufen und teuer vorgekommen. Auf einmal gab es auch noch ordentlich Rabatte. In den Krisenjahren besuchten 250 Prozent mehr Schweizer das Joch als früher. Er sei ihnen dankbar, sagt Kessler. Aber einheimische Touristen allein könnten «nie und nimmer die internationalen Gäste kompensieren». Ausserdem treibe es die Schweizer nun wieder ans Meer.
Die Jungfrau liegt nun mal nicht am Mittelmeer. Die Krise im Tourismus scheint aber vorerst vorbei. «Amerika wächst stark, Amerika boomt», freut sich Kessler. Bei den US-Gästen liegt sein Buchungsstand bereits heute über dem vom Jahr 2019, als sie rund zehn Prozent von über einer Million Besuchern stellten.
Wie Doug, Morgan und Berta Miller mit Schwiegersohn Kevin Myers aus Gettysburg, Pennsylvania, die vor ihrem Trip aufs Jungfraujoch den Neuschwansteiner Pomp bestaunt haben und sich an den Stränden der französischen Normandie an den Sieg ihrer Boys erinnerten. «Alle wollen nach Europa. Putin macht uns keine Sorgen», erklären die Amerikaner.
Oder Tino, Holly und Janice aus Atlanta, Georgia, die tatsächlich finden, dass «die Schweizer Preise okay sind», Hawaii dagegen ziemlich teuer gewesen sei. Ihr Wermutstropfen: Die Flieger zum alten Kontinent seien bereits wieder viel zu überfüllt. Die Fliegerei plagt auch Jungfraubahnen-Chef Kessler: «Die Nachfrage aus Übersee wäre riesig, aber es können nicht alle reisen, es fehlen die Direktflüge, vor allem aus Asien.» Ein weiteres Problem sei, dass indische Touristen derzeit acht Wochen auf ihr Schweiz-Visum warten müssten. Der Tag auf dem Joch fühlt sich trotzdem fast wie die Rushhour in Mumbai an.
«Grossartige Gäste»
Viel Betrieb auch im Grandhotel National, einem Fünfsternehaus in Luzern, wo bald jeder zweite Gast aus den USA stammt. «Wir haben schon mehr Amerikaner als Schweizer», sagt General Manager Gabriel Stucki. Sie stellen über 40 Prozent des Publikums.
«Grossartige Gäste», schwärmt der Hotelier über die Amerikaner, «die wollen erleben, einkaufen, dick essen gehen, geniessen – als hätten sie während der Krisenjahre jede Stunde einen Fünfliber auf die Seite getan.»
Tatsächlich geben die US-Amerikaner überdurchschnittlich viel Geld aus, pro Tag 280 Franken, wie Sibylle Gerardi von Luzern Tourismus vorrechnet: «Nach der Covid-Reisepause und dem angesparten Budget dürften es aktuell wohl eher mehr sein.» Zum Vergleich: Schweizer lassen rund die Hälfte springen, 165 Franken pro Tag. In Luzern stammen laut Gerardi bereits wieder elf Prozent der Gäste aus den USA. Bei den Amerikanern sei man fast wieder auf dem Vor-Corona-Niveau, sagt auch Raymond Hunziker, Präsident Zentralschweiz und Luzern Hotels. Amerikaner seien schon immer die grösste Kundschaft aus Übersee gewesen, «weit vor dem chinesischen Markt, dem viel mehr Aufmerksamkeit zukommt».
Die grossen Abwesenden sind in diesem Jahr die Chinesen und die Russen. Martin Nydegger, Schweiz-Tourismus-Chef, hofft im Herbst auf Klarheit. Dann sind die chinesischen Kongresswahlen. «Die Chinesen werden definitiv wiederkommen», ist er überzeugt, «da spielt der gleiche Nachholeffekt wie bei den Amerikanern eine Rolle.»
Bald beginnen die Sommerferien. Nach zwei Krisenjahren wollen Herr und Frau Schweizer endlich wieder verreisen. Aber wohin geht die Reise? Griechenland und Spanien sind gemäss den Reiseanbietern Hotelplan, Tui und Kuoni die beliebtesten Ferienländer dieses Sommers. Danach kommt die Türkei, gefolgt von Italien und den USA. Auch Zypern, Kanada, Ägypten, Portugal und die Malediven stehen hoch im Kurs. Natürlich zieht es die Schweizer auch in die Nachbarländer. Nur meistens auf eigene Faust ohne Reisebüro. In Europa kann man sich auch ohne Corona-Impfungen meist wieder frei bewegen. Überhaupt keine Einschränkungen mehr bestehen in Griechenland, Spanien, der Türkei, Italien, Österreich, Zypern und auf den Malediven. In einigen Fällen müssen sich Ungeimpfte aber testen lassen, etwa in Frankreich, Portugal oder Ägypten. Für Ferien in den USA oder Kanada ist der Impfnachweis nach wie vor zwingend. Seit einer Woche muss man für die Einreise in die USA aber keinen negativen Corona-Test mehr vorweisen. In den Flugzeugen ist die Maskenpflicht gefallen.
Bald beginnen die Sommerferien. Nach zwei Krisenjahren wollen Herr und Frau Schweizer endlich wieder verreisen. Aber wohin geht die Reise? Griechenland und Spanien sind gemäss den Reiseanbietern Hotelplan, Tui und Kuoni die beliebtesten Ferienländer dieses Sommers. Danach kommt die Türkei, gefolgt von Italien und den USA. Auch Zypern, Kanada, Ägypten, Portugal und die Malediven stehen hoch im Kurs. Natürlich zieht es die Schweizer auch in die Nachbarländer. Nur meistens auf eigene Faust ohne Reisebüro. In Europa kann man sich auch ohne Corona-Impfungen meist wieder frei bewegen. Überhaupt keine Einschränkungen mehr bestehen in Griechenland, Spanien, der Türkei, Italien, Österreich, Zypern und auf den Malediven. In einigen Fällen müssen sich Ungeimpfte aber testen lassen, etwa in Frankreich, Portugal oder Ägypten. Für Ferien in den USA oder Kanada ist der Impfnachweis nach wie vor zwingend. Seit einer Woche muss man für die Einreise in die USA aber keinen negativen Corona-Test mehr vorweisen. In den Flugzeugen ist die Maskenpflicht gefallen.
Overtourismus und Dichtestress
Kartause Ittingen im Thurgau: Weit und breit keine Fernreisenden, dafür viele einheimische Rentner. Hier gehen die Schweiz-Vermarkter in Klausur, um neue Strategien auszutüfteln. Die Stimmung bei Schweiz Tourismus passt. Jüngst hat der Schweiz-Werbespot mit Roger Federer und Schauspielerin Anne Hathaway die 100-Millionen-Zuschauer-Grenze geknackt.
«Der Ukraine-Krieg findet in den Köpfen der Amerikaner fast gar nicht statt», erklärt Nydegger. Laut brancheninternen Umfragen der Touristiker sind 2022 als Gäste neben US-Amerikanern vor allem Schweizer und andere Europäer zu erwarten. Im Vergleich zu 2019 hofft Nydegger dieses Jahr auf eine Gesamtauslastung von 85 Prozent.
Der Zustand von 2019, Overtourismus und Dichtestress, ist allerdings noch in schlechter Erinnerung. Man brauche zwar «Frequenzen und Gäste in der damaligen Grössenordnung», sagt Nydegger, «aber nicht alle am gleichen Ort und zur gleichen Zeit.» Wer zum ersten Mal in die Schweiz kommt, will die Highlights sehen. Aber für touristische «Wiederholungstäter», darunter die 45 Prozent Schweizer Gäste, schwebt Nydegger eine Ganzjahressaison vor. Das könnte, statt des Besuchs der Kapellbrücke in den Sommerferien, ein Wanderurlaub im Tessiner November sein.
Auf dem Jungfraujoch treten Imagine Dragons den Retourweg an. Elf Mal spielten sie bereits in der Schweiz. «Aber endlich haben wir Zeit, uns das Land anzusehen», schwärmen Drummer Platzman und Bassist McKee. Geht es nach dem neuen Tourismuskonzept, sollten sie beim nächsten Besuch aber unbekanntere Orte besuchen. Olten SO etwa. Oder Wallisellen ZH.