Endlich gibt es einen Plan! Nach mehr als einem Jahr der Pandemie hat der Bundesrat am letzten Mittwoch ein 3-Phasen-Modell vorgestellt, das den Weg aus der Krise zeigt. Spätestens im August soll jeder Erwachsene geimpft sein, der das möchte. Danach sollte das Virus nicht mehr unser Leben bestimmen.
Damit ist erstmals Licht am Ende des Tunnels zu sehen, die Hoffnung auf die Rückkehr zu einem normalen Leben wächst. Wie dieses aussehen wird, ist eine andere Frage. Sicher ist: Die Welt nach Corona wird eine andere sein. Blick analysiert, welche Bereiche besonders von Veränderungen betroffen sind und wie sich diese im besten und im schlechtesten Fall auswirken.
Wirtschaft: 16 Billionen für den Restart
Ausgangslage: Corona hat eine gewaltige Rezession ausgelöst. Der Weltwirtschaft gehen laut Internationalem Währungsfonds (IWF) von 2020 bis 2025 rund 28 Billionen Dollar an Wertschöpfung verloren. Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) schätzt, dass allein vergangenes Jahr 114 Millionen Menschen ihren Job aufgrund der Pandemie verloren haben. Gleichzeitig werden Hilfspakete von historischen Dimensionen geschnürt. Insgesamt haben die G-20-Staaten laut IWF 16 Billionen Dollar für den Kampf gegen die Krise bereitgestellt.
Positives Szenario: Die enormen Hilfspakete verhindern Pleitewellen in der Privatwirtschaft. Die Konjunktur kommt rasch in Schwung. Die Menschen geben ihr Erspartes aus, es gibt einen Konsumboom. Dadurch wird die verlorene Wertschöpfung rasch aufgeholt, neue Jobs werden geschaffen. Eine leichte Inflation setzt ein, die Notenbanken können die Leitzinsen endlich anheben.
Negatives Szenario: Die Rezession hält für lange Zeit an. Die versprochenen Hilfsgelder kommen in der Realwirtschaft nicht an. Staaten bleiben auf ihren Schuldenbergen sitzen und verlieren das Vertrauen am Kapitalmarkt. Konjunktur und Börse brechen ein. Die Deflation setzt sich fort, die Notenbanken müssen die Zinsen weiterhin tief oder sogar negativ halten.
Medizin: mRNA-Technologie weckt Hoffnungen
Ausgangslage: Corona habe die Forschung um Jahrzehnte nach vorn gebracht, sagt Cornelia Staehelin, Oberärztin für Infektiologie am Berner Inselspital. Für die Virenbekämpfung werden mRNA- und virale Vektorimpfstoffe gespritzt, die ansonsten noch Jahrzehnte in der Entwicklung gewesen wären. Firmen, die sich aus dem Impfgeschäft zurückgezogen hatten, investieren wieder.
Positiv: Im Kampf gegen etliche Infektionskrankheiten wie Zika, Chikungunya und andere virale oder bakterielle Erreger gibt es plötzlich Hoffnung. Auch ausserhalb der Infektionskrankheiten werden medizinische Durchbrüche erzielt. Biontech beispielsweise arbeitet bereits an Anti-Tumor-Impfstoffen.
Negativ: Wenn Corona besiegt ist, rückt die Profitabilität wieder an erste Stelle. Interessant zur Bekämpfung ist nur, was die westliche Welt beschäftigt, etwa HIV oder Hepatitis C. Prävention wird vernachlässigt, weil sie kaum Geld bringt. Zulassungsprozesse dauern wieder Jahre. Rasche Fortschritte werden verhindert und Unternehmen verlieren das Interesse, in Forschung und Entwicklung zu investieren.
Bildung: Wie schlimm sind die Lernverluste?
Ausgangslage: Corona hat die Schulen aus ihrer Lethargie gerissen. Plötzlich wird digitalisiert, und es werden neue Unterrichtsformen eingeführt. Gleichzeitig sind Lerninhalte schwieriger zu vermitteln, es fehlt an Prüfungen.
Positiv: Die Wertschätzung für Lehrer und eine gute Grundbildung ist gestiegen. Grosse Aufwendungen werden unternommen, um individueller auf Schüler eingehen zu können. Flex- und Fernunterricht werden parallel zum Frontalunterricht angeboten. Durch Onlineangebote von Hochschulen sinkt die Schwelle für höhere Bildung sukzessive.
Negativ: Um die Folgen der Epidemie abzuschwächen, konzentrieren sich Ausgaben der öffentlichen Hand auf den Schuldenabbau und Sparprogramme. Für die Bildung bleibt weniger übrig. Die Krise verstärkt Ungleichheiten im Bildungssystem: Wer lernen will und die Mittel hat, kann das besser denn je. Ärmere fallen weiter zurück. Der während Corona erlittene Lernverlust wirkt sich lebenslang auf die betroffenen Schüler aus.
Gesellschaft: Achtsamkeit statt Egoismus?
Ausgangslage: Corona hat bereits vorhandene Strömungen in der Gesellschaft verstärkt – positive und negative. Viele verzichten auf vieles, um wenige zu schützen. Nachbarschaftshilfen nehmen zu. Gleichzeitig gibt es aber auch eine Tendenz hin zu mehr Individualismus und Polarisierung.
Positiv: Die Menschheit ist näher zusammengerückt. Das Vertrauen in einen gut ausgestalteten, mit Reserven operierenden Service public und die Privatwirtschaft als Innovationstreiberin ist grösser denn je. Achtsamkeit hat den Egoismus abgelöst. Werte wie Nachhaltigkeit und Nächstenliebe gewinnen gegenüber dem Materialismus an Wichtigkeit. Der Schweizer Soziologe Ueli Mäder (69) bilanziert: «Es ist schwieriger geworden, Allmachtsgefühle zu entwickeln.»
Negativ: Was der Mensch die letzten Monate verpasst hat, wird überkompensiert. «Die Welt wird auf Teufel komm raus genossen, so lange sie noch existiert», sagt Mäder zu diesem Szenario. Soziale Unterschiede werden legitimiert, weil diejenigen, die am längeren Hebel sitzen, mehr profitieren. Die Gesellschaft entzweit sich immer stärker, es gewinnt das populistische Argument, nicht das beste. Aus Angst vor Repressalien (Shitstorms) kommen Minderheitsmeinungen kaum mehr vor.
Arbeit: Homeoffice wird bleiben
Ausgangslage: Corona hat die Menschen aus dem Büro vertrieben. War Homeoffice vor der Epidemie ein Marketinginstrument im Werben um die besten Fachkräfte, sitzt heute eine Mehrheit der Büroangestellten zu Hause. Und da bleiben sie wohl auch. «75 Prozent arbeiten lieber daheim», sagt Kirsten Vasey, Transformationsexpertin des Beratungsunternehmens EY.
Positiv: Die Work-Life-Balance verbessert sich. Jeder kann entscheiden, wann er wo arbeitet. Was bisher Leerlaufzeiten im Büro waren, kann nun für persönliche Aufgaben, beispielsweise Hausarbeiten, genutzt werden. Weniger Störquellen (etwa der hohe Lärmpegel in Grossraumbüros) erhöhen die Produktivität. Geschäftsreisen werden statt nach London ins Café um die Ecke gelegt. Pendlerwege fallen weg, was Zeit, Geld und CO2-Emissionen spart.
Negativ: Die 40-Stunden-Woche wird durch ständige Verfügbarkeit ersetzt. Das fördert eine brutale Leistungsgesellschaft: Wer seine Mails schneller beantwortet, wird befördert. Auch die Zweiklassengesellschaft wird gestärkt, da Homeoffice nur bereits privilegierten Arbeitnehmern offensteht. Denen fehlt dafür das soziale Miteinander, viel Kreativität geht verloren. Firmen führen Kontrollmechanismen in den Wohnungen der Angestellten ein. Die Schwelle zwischen Heim und Büro verschwindet, komplette Entspannung gibt es nicht mehr. Unternehmen realisieren, wie irrelevant der Arbeitsort ist und outsourcen vermehrt in Billiglohnländer.
Mobilität: Der ÖV gerät unter die Räder
Ausgangslage: Corona hat den ÖV massiv gebremst. Besonders der Zug als Transportmittel wird viel seltener genutzt. GA-Verkäufe in der Schweiz brachen vergangenes Jahr um zwölf Prozent ein. Gleichzeitig boomt der Individualverkehr. Umfragen von Deloitte Schweiz zeigen zudem, dass Arbeitnehmer auf Geschäftsreisen immer öfter verzichten wollen.
Positives Szenario: Um die verlorenen Kunden zurückzugewinnen, verbessert der ÖV seine Dienstleistungen weiter. Die Automobilhersteller nutzen das gestiegene Umweltbewusstsein in der Gesellschaft und verhelfen den Elektroautos zum Durchbruch. Selbstfahrende Autos führen zu optimierten Verkehrsflüssen. Städteplaner bauen velofreundlicher, um dem Zeitgeist gerecht zu werden.
Negatives Szenario: Bis sich der ÖV erholt, dauert es ungefähr bis ins Jahr 2024, schätzt Thomas Ammann von der ÖV-Branchenorganisation Alliance SwissPass. Um die Verluste zu kompensieren, wird Personal entlassen und das Dienstleistungsangebot eingeschränkt. Aus Angst vor Keimen fahren immer mehr Menschen wieder die mehrheitlich nach wie vor benzinbetriebenen Autos, es kommt zu verstopften Strassen und hohen CO2-Emissionen.
Tourismus: Comeback des Massentourismus?
Ausgangslage: Global wurden laut der Welt-Tourismusorganisation eine Milliarde weniger internationale Ankünfte registriert als im Vorjahr. Das ist ein Rückgang von 74 Prozent und sorgt laut Studien dafür, dass 100 bis 120 Millionen Jobs direkt gefährdet sind. In der Schweiz wurden 40 Prozent weniger Hotelübernachtungen als im Vorjahr verzeichnet.
Positives Szenario: Die Branche erholt sich, ist aber breiter und nachhaltiger aufgestellt. Ausländische Gäste wollten umweltbewusster reisen und länger an einem Ort verweilen, sagt Markus Berger (56) von Schweiz Tourismus. Statt last minute wird selektiver gebucht. Es profitieren nicht mehr nur einzelne Hotspots, die Touristen verteilen sich über das ganze Land. Derweil ziehen Einheimische, die im Corona-Jahr ihr Land neu entdeckten, auch in Zukunft öfter die Schneeschuhe an, statt im Winter nach Fernost zu jetten.
Negatives Szenario: Wegen gestiegener Sicherheitsbedenken und Impfpässen wird weniger gereist. Kleinere Hotels oder Orte sind überfordert damit, die neuen Bedürfnisse der Touristen zu befriedigen. Doch auch Massentourismus ist nicht mehr in Mode. Die Kreuzschifffahrt oder ähnliche Erfolgsmodelle schaffen es nicht, sich neu zu erfinden, um das beschädigte Image zu reparieren.