Vor dem nahenden Winter holt sich der Bund Unterstützung für die Pandemiebekämpfung an Bord: Die wissenschaftliche Corona-Taskforce feiert ihr Comeback, wird nun aber nüchtern als «Beratungsgremium» bezeichnet. Den Vorsitz hat erneut ETH-Biostatistikerin Tanja Stadler (41). Mit Blick spricht sie über ihr Mandat, die Situation in China und darüber, was vom Coronavirus noch zu erwarten ist.
Blick: Frau Stadler, der Bund hat sich wieder ein Corona-Beratungsgremium gewünscht. Sind die Behörden ohne Ihren wissenschaftlichen Rat aufgeschmissen?
Tanja Stadler: «Aufgeschmissen» geht zu weit. Die Pandemie ist ein Jahrhundertereignis. Die Behörden sind nicht so ausgelegt, dass sie jegliche Krise vollständig abdecken können. Nach Auflösung der Taskforce haben wir den Bund weiterhin punktuell unterstützt. Jetzt ist der Wunsch aufgekommen, diese Unterstützung zu formalisieren.
Hat Sie dieser Wunsch überrascht?
Mich hat es gefreut! Dass der Bund auf die Wissenschaft zugekommen ist, zeigt, dass er einen Mehrwert in unserer Arbeit sieht.
Was ist neu im Vergleich zur «alten» Taskforce?
Neu beraten wir auch offiziell die Kantone. Weiter fokussieren wir uns auf die interne Beratung. Das bedeutet, dass wir weniger oft in der Öffentlichkeit stehen werden. Dementsprechend sind keine regelmässigen Medienkonferenzen geplant.
Dennoch exponieren Sie sich erneut, womit auch Anfeindungen einhergehen. Wieso tun Sie sich das an?
Wenn ich etwas zur Pandemiebewältigung beitragen kann, dann tue ich das. Natürlich bekomme ich die Reaktionen zu spüren, ob positiv oder negativ. Das hält mich aber nicht davon ab, die wissenschaftlichen Erkenntnisse darlegen zu wollen.
Braucht man dafür ein dickes Fell?
Ich habe einen Lernprozess durchgemacht. Corona war zwar nicht das erste Thema, bei dem ich Medienarbeit gemacht habe, bei der Pandemie ist die Stimmung allerdings aufgeheizter. Wenn man sich aber öffentlich exponiert, gehört der Umgang mit negativen Stimmen dazu.
Was ebenfalls gleich bleibt wie bei Ihrem letzten Mandat: Der Bund zahlt nicht, obwohl er nun direkt nach Ihnen fragt. Warum arbeiten Sie gratis?
Das mache ich nicht in meiner Freizeit – auch wenn Überstunden sicher dazugehören. Die ETH Zürich, an der ich arbeite, hat mir zugesagt, dass ich einen Teil meiner Arbeitszeit für diese Aufgabe aufwenden kann. Das Mandat über die Universität abzudecken, ist eine einfache und unbürokratische Lösung.
Der deutsche Virologe Christian Drosten hat zuletzt das Ende der Pandemie angedeutet. Wie schätzen Sie das ein?
Die akute Phase ist vorbei, das stimmt. Mehr als 98 Prozent der Schweizer Bevölkerung hat eine Immunantwort gegen das Virus. Das bedeutet nicht, dass 98 Prozent perfekt geschützt sind, aber das Virus schafft es nicht mehr so leicht, eine schwere Erkrankung auszulösen. Das Virus kann im Rahmen der Wellen immer noch sehr viele Menschen schnell infizieren. Schwere Verläufe kommen dann auch gehäuft vor. Mit jeder Corona-Welle gibt es in der Schweiz eine starke Übersterblichkeit.
Mehrere Wellen in kürzeren Zeiträumen. Ist das die neue Normalität?
Kurzfristig gesehen: ja. Omikron ist eine stark ansteckende Variante, die durch Mutationen die Menschen mehrfach anstecken kann. Ohne Schutzmassnahmen zirkuliert das Virus. Das bedeutet auch, dass in dieser Dynamik langfristig immer mehr Menschen unter Post-Covid-Symptomen leiden.
Nun stehen wir am Anfang der Winter-Welle.
Richtig. Mutierte Omikron-Varianten, die uns leichter anstecken können, sind jetzt gerade auf dem Vormarsch.
Ist diese Welle gefährlicher als die vorherigen?
Die Schwierigkeit für die Spitäler besteht darin, dass weitere Krankheiten wie die Influenza und RSV ebenfalls im Winter zirkulieren. Eine Überlagerung verschiedener Viren kann für die Spitäler zum Problem werden. Das wird den Winter zur Herausforderung für die Spitäler machen.
Zeichnet sich eine Überlastung ab?
Wenn eine neue Variante kommt, wie es bei Omikron vor einem Jahr der Fall war, kann es die Situation auf den Kopf stellen. Bleibt es bei Omikron, rechnen wir nicht mit einer Überlastung für die Intensivstationen. Auf den anderen Stationen wird es aber deutlich schwieriger, wenn mehr Patienten betreut werden müssen und Pflegepersonal krankheitsbedingt ausfällt.
Um die Spitäler zu schützen, bräuchte es wohl Massnahmen.
Das ist eine politische Frage. Je nach Ziel muss man die Empfehlungen und Massnahmen anpassen.
Gibt es einen Punkt, an dem sie wieder Massnahmen vorschlagen?
Wir zeigen eher die Optionen und Risiken auf. Wir erklären, wie etwa das Tragen von Masken die Spitäler schützen könnte. Die Entscheidung liegt schliesslich bei der Politik.
Tragen Sie selbst überhaupt noch Maske?
Wo es mich nicht einschränkt, trage ich Maske. Zum Beispiel im öffentlichen Verkehr. Ich verzichte gerne auf Corona- oder andere Virus-Erkrankungen. Bei einem Apéro hingegen lasse ich die Maske auch sein.
Mit der Maske im ÖV gehören Sie zu einer winzigen Minderheit. Haben wir aus der Pandemie überhaupt etwas gelernt?
Auf alle Fälle ist die Gesellschaft deutlich sensibilisierter. Zudem ist der Austausch zwischen der Wissenschaft und der Gesellschaft intensiver geworden. Ich hoffe darauf, dass man den Dialog fortsetzen kann.
Auf der anderen Seite wird Corona mehrheitlich nur noch schulterzuckend wahrgenommen. Die Pandemie war im letzten Jahr Spitzenreiter auf dem Sorgenbarometer. Jetzt ist sie nicht einmal mehr in den Top Ten.
Wenn Corona wieder zu einer grösseren Gefahr wird, ist es die Aufgabe der Politik, das zu kommunizieren und die Menschen zu erreichen.
Bei uns ist die Immunität hoch. In China hingegen nicht, was sich jetzt gerade wieder zeigt. Wie gefährlich ist die Lage dort?
Chinas Strategie ist es, keine Infektionen zuzulassen. Wenn das Virus dort so stark zirkuliert wie bei uns, ist die Belastung für das Gesundheitssystem verhältnismässig grösser, weil die Durchimpfung in China kleiner ist.
Wie beurteilen Sie diese Null-Covid-Politik?
Aus wissenschaftlicher Sicht kann man nicht beurteilen, welche Strategie die beste ist. Es kommt darauf an, welches Ziel man für die Gesellschaft verfolgt.
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