Die Firma Skyguide ist zuständig für das höchste Gut in der Zivilluftfahrt. Sie überwacht den Schweizer Luftraum und gewährleistet damit die Sicherheit der Flugpassagiere und des Personals. Der in Meyrin GE ansässige Bundesbetrieb befindet sich allerdings seit einiger Zeit selber in schweren Turbulenzen – eine Serie von technischen Aussetzern, wirtschaftlicher Druck und Personalmangel sorgten schweizweit für negative Schlagzeilen.
Jetzt zeigt ein Dokument aus dem Inneren der Firma: Es steht schlecht um Skyguide. Blick liegt ein Mail von Klaus Meier (59) vor, dem Chief Technology Officer (CTO) des Unternehmens. Am 8. März hat er sich an die rund 600 Mitarbeitenden aus seinem Departement gewandt. Der Technikchef schreibt darin von einer «sehr ernsten Situation» für Skyguide: «Wir befinden uns in einer Krise, und es gibt im Moment kein anderes, besseres Wort, das diese Situation beschreibt».
Verfasst hat es Meier auf Englisch. Darin heisst es weiter: «Die Häufung der jüngsten technischen Probleme, das Medienecho und der Vertrauensverlust in unseren Betrieb und die damit vermischte Compliance Diskussion mit dem Bazl» hätten einen «Perfect Storm» geschaffen. Gemeint ist mit dem letzten Punkt der Austausch mit dem zuständigen Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl), das als Aufsichtsbehörde der Firma auf die Finger schaut und die Problemfälle wachsam verfolgt.
Es weht ein rauer Wind
Technikchef Meier schreibt zu den jüngsten Turbulenzen geradezu poetisch: «Es war eine harte Zeit, und die Strömung ist rau.» Für ihn fühle sich der Wind «kalt und stark» an, und er sei sich sicher, «dass ihr das auch spüren könnt».
Wie sehr die Fluglotsen im Alltag unter Druck stehen, formuliert er so: «Der Druck ist hoch und das Gefühl, unseren Partnern nicht den richtigen Service zu bieten, ist frustrierend.» Und weiter: «Einige von uns müssen sich aufgrund des 24/7-Drucks und der Unsicherheiten mit Ängsten auseinandersetzen.»
Die Misere beim Flugsicherer äussert sich nicht bloss betriebswirtschaftlich – sie wirkt sich auf den Sicherheitsbereich aus. In der jüngsten Vergangenheit sorgte Skyguide verschiedentlich mit ernsthaften Pannen für Aufsehen. Mehrere Male mussten die Lotsen ein «Clear the Sky» durchgeben – sie mussten den Luftraum sperren. Diese Massnahme ist die Ultima Ratio und kommt nur zur Anwendung, wenn die Flugsicherung nicht mehr in der Lage ist, eine Kollision zweier Maschinen hundertprozentig auszuschliessen.
Der letzte bekannt gewordene Vorfall ereignete sich am 18. Februar, als sich ein Server vorübergehend verlangsamte. Am 30. Oktober 2023 blieb der Flugverkehr am Flughafen Zürich zwei Stunden lang blockiert. Grund war ein Manipulationsfehler bei der Einsetzung neuer Firewalls. Betroffen von der Software-Panne waren über 6000 Passagiere.
Gesperrter Luftraum
Der schwerwiegendste Vorfall geschah am 15. Juni 2022, als der Luftraum ganze fünf Stunden gesperrt werden mussten. Keine Flugzeuge durften mehr über die Schweiz fliegen, geschweige denn starten oder landen. Es war die grösste Panne in der Geschichte der Firma. Später kam heraus, dass ein defekter Switch die Ursache für die Störung war.
Vor einigen Wochen nun – Ende Februar – hat die Fluglotsen-Gewerkschaft Helvetica in einem Brief an Skyguide-Chef Alex Bristol (56) Alarm geschlagen. Im Schreiben, aus dem die Tamedia-Zeitungen zitiert haben, stellen die Absender die Gewährleistung der Sicherheit infrage: «Das Betriebspersonal hat das Vertrauen in unsere Systeme verloren.» Vorrangiges Ziel sei, dass die Verkehrsteilnehmer in der Luft mit genügend Abstand zueinander fliegen. «Gleichzeitig beherrscht uns aber die Angst vor Systemausfällen. Diese Last können wir nicht länger tolerieren.»
Mit ein Grund für die Pannenserie dürfte sein, dass sich Skyguide derzeit in einem Transformationsprozess befindet: Während einige Systeme bereits auf eine neue, virtualisierte Infrastruktur migriert worden sind, ist die alte Infrastruktur noch nicht vollständig ausser Betrieb. In einer Mitteilung zum Jahresbericht 2023 heisst es denn auch, dass dieser vorübergehende Doppelbetrieb die Fehleranfälligkeit und die Kosten erhöhe.
Das finanzielle Umfeld ist ohnehin anspruchsvoll: Zwar hat man sich von den Covid-Jahren erholt, der Betriebsaufwand jedoch hat wegen starken Verkehrsschwankungen um zehn Prozent auf 519 Millionen Franken zugenommen.
Bazl ist misstrauisch
Das Bazl auf alle Fälle schaut seit einiger Zeit genauer hin: Bereits nach dem Vorfall vom 15. Juni 2022 hat es seine Aufsichtsaktivitäten erhöht, und nach dem jüngsten schweren Vorfall vom 18. Februar 2024 hat es zusammen mit Skyguide eine «hochrangige Taskforce» eingerichtet, um sich «einen aktuellen Überblick über die Entwicklungen in den Bereichen Technik und Operations zu verschaffen». Zudem wurde die Aufsichtsaktivität nochmals erhöht, wie das Amt auf Anfrage von SonntagsBlick schreibt.
Nur: Wie will sich Skyguide aus der Krise «herausnavigieren», wie Meier es ausdrückt? In seinem Mail legt der Technikchef Lösungsansätze vor: Als Erstes gelte es sicherzustellen, dass die Systeme wie geplant funktionieren. Zweitens soll der Software-Bereich auf Vordermann gebracht werden: «Technische Releases» und «kritische CNS-Projekte» hätte bis dato nicht bereitgestellt werden können, weil «Vorschriften nicht eingehalten werden».
Sogenannte CNS sind Kommunikations-, Navigations- und Überwachungssysteme, sie bilden das technische Rückgrat im Flugverkehrsmanagement, wie Skyguide selbst auf ihrer Website schreibt.
Drittens müsse der Systemstabilität «die volle Aufmerksamkeit geschenkt» werden, um die «aktuellen Kapazitätsreduzierungen» rückgängig zu machen. «Wir müssen weiterhin die Korrekturen und Verbesserungen aus dem Resilienzprogramm bereitstellen.»
Das Resilienzprogramm ist gemäss Skyguide-Medienstelle eine Massnahme, die man nach dem «Clear the Sky»-Vorfall vom 15. Juni 2022 ins Leben gerufen hat. Damit will man die Empfehlungen aus der externen Untersuchung dazu systematisch umsetzen, wie eine Sprecherin schreibt. Die Untersuchung durch das Verkehrsdepartement Uvek enthielt 14 Empfehlungen zur Verbesserung der Flugsicherung, einiges zielt auf die Stärkung der Resilienz – vereinfacht gesagt sollen die technischen Systeme und Prozesse in Krisensituationen widerstandsfähiger werden. Die externen Prüfer hatten herausgefunden, dass die Panne vom 15. Juni 2022 wohl hätte verhindert werden können, wenn eine Problemmeldung nicht als Fehlalarm abgetan worden wäre.
Sicherheit gewährleistet
Ein Grossteil der Massnahmen sei inzwischen implementiert, heisst es von Seiten Skyguide, «ein paar wichtige technische Releases stehen noch aus und werden in den nächsten Wochen umgesetzt.» Zu den nicht eingehaltenen Vorschriften weist man auf veränderte Vorschriften hin, die teils ein «zusätzliches Hindernis» darstellen und deren Umsetzung Zeit erfordern würden.
Das Bazl beteuert: «Die Sicherheit im Schweizer Luftraum war und ist jederzeit gewährleistet.» Und zögerlich räumt man Handlungsbedarf ein: Man sei im Rahmen der Taskforce in einem wöchentlichen Austausch mit Skyguide. Die «zahlreichen Fragestellungen» bei den Softwarelösungen würden damit «noch besser abgestimmt und durch uns begleitet». Skyguide vermeldet: «Wir arbeiten sehr eng und transparent mit unserem Eigner und Regulator zusammen.»
Bleibt die Frage, wie die strategische Führung reagieren wird. Im VR sitzen etwa der ehemalige Luftwaffenkommandant Aldo Schellenberg (65) oder Ex-Kampfjetpilot und Nidwaldner SVP-Regierungsrat Res Schmid (66). Als Präsident fungiert Walter T. Vogel (66), seines Zeichens «professioneller Verwaltungsrat». Es ist an diesem Gremium, Skyguide langfristig aus den Turbulenzen zu steuern.