Brandserie im Kanton Solothurn zerstörte den Hof von Walter Giovinetti
«Mit meinen Pferden gehe ich durchs Feuer»

Als sein Hof in Flammen stand, fragte sich Walter Giovinetti: Wie rettet man Vollblut-Hengste, was gibt einem nach dem Brand Kraft? Und: Ist ein Feuerteufel am Werk?
Publiziert: 22.05.2022 um 10:34 Uhr
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Aktualisiert: 22.05.2022 um 15:54 Uhr
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Walter Giovinetti (56) vor seinem zerstörten Hof.
Foto: SIGGI BUCHER
Tobias Marti

Walter Giovinetti (56) – aufrechte Haltung, direkter Blick, kleine Pupillen – schaut auf die Trümmer seiner Existenz. Der Mann hat seit 48 Stunden kaum geschlafen: Das Adrenalin zirkuliert noch immer. Seit Dienstagabend, dem Tag, als seine Ranch «Paradise Horses» in Utzenstorf BE abbrannte.

Fragt man Giovinetti, wie es ihm gehe, antwortet er kämpferisch. Und noch immer sehr aufgekratzt. Wie ein General führt er über das Schlachtfeld. Schwarz und ausgehöhlt steht die Ruine der Reitschule da. Der Range Rover ist nur noch ein Gerippe, das Portemonnaie darin nur noch Asche, zehn Tonnen Stroh pulverisiert, der Gabelstapler geschmolzen, der Reitwagen angekokelt ... Keine Frage: Der Mann hat viel verloren.

«Es tut weh, dass wir so etwas erleben müssen»
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Brandserie in Halten SO:«Es tut weh, dass wir so etwas erleben müssen»

Grosses Glück

Aber nicht das Wichtigste: Seiner schwangeren Frau Caroline (36) und Sohn Jonas (7) geschah nichts, alle 20 Pferde und die Ponys wurden gerettet. «Wir haben uns und die Tiere, das ist das Wichtigste», sagte Giovinetti seinem Sohn und erklärte Jonas gleich noch, dass in der Ukraine viele Menschen schlimmer dran seien.

Das Wohnhaus, das an die Reithalle grenzt, ebenso der Pferdestall wurden dank einer Wasserwand der Feuerwehr gerettet. Die Familie lebt inzwischen woanders, ihr Daheim ist unbewohnbar. Auch Tage später qualmt es manchmal grau aus den Ruinen, immer wieder lodern Brandherde auf. Nimmt der Albtraum denn kein Ende?

Elf Schadensfeuer innert weniger Wochen sorgen im solothurnischen Wasseramt – Autofahrer kennen die Gegend durch Staus auf der A 1 bei Kriegstetten SO – für schlaflose Nächte. Waldhütten, Ställe und Hallen gingen in Flammen auf. Man geht von Brandstiftung aus, von einem Serientäter. Ermittlungserfolge? Fehlanzeige. Nun gehen aufgeschreckte Bauern selber auf Patrouille, stellen Kameras und Bewegungsmelder auf, um den Pyromanen fernzuhalten. Polizei und Gemeinden warnten diese Woche das verängstigte Volk, man dürfe keine Bürgerwehren aufstellen.

Hat der Feuerteufel auch bei Walter Giovinetti im benachbarten Bernbiet kurz hinter der Kantonsgrenze zugeschlagen?

Der Brand brach kurz vor 19.30 Uhr aus, Hund Django hat nicht angegeben. Die Polizei fragte Giovinetti, ob er den Ausbruch habe dokumentieren können, etwa mit Fotos. Konnte er nicht. «Ich musste meine Familie und die Pferde retten», sagt er.

Ermittlungen in sind im vollen Gange

Auch zwei Tage danach ist viel Betrieb auf seinem Hof. Pferdefreunde schauen nach ihren Lieblingen. Und dann sind da noch die Leute von der Versicherung. Gerade taucht der Mann von der Mobiliar auf und lupft seinen Strohhut.

Neulich werkelte ein Unbekannter in den Ruinen. Es war aber nur, wie sich herausstellte, ein weiterer Ermittler. Der Mann suchte nach etwas Bestimmtem, das aus Ermittlungsgründen nicht genannt werden soll.

Die Polizei schweigt zur Brandursache, man ermittle in alle Richtungen, wie sie SonntagsBlick mitteilt.

Ein Polizeihund habe Brandbeschleuniger erschnüffelt, hört man derweil auf der Ranch. Es sind Gerüchte, Giovinetti selbst weiss von nichts, sagt nur: «Die Feuerwehrleute hoffen auf einen technischen Defekt.»

Eskalation

Weil alles andere bedeuten könnte, dass hier womöglich gerade eine Eskalation zu beobachten ist. Dass ein Serientäter, der sich früher nur am Wochenende, nachts und vom Wald her anschlich, nun schon unter der Woche, abends und auf offenem Gelände zuschlägt. Oder noch schlimmer: Was mit unbewohnten Hütten begann, hätte sich auf einen bewohnten Hof ausgeweitet. «Wenn der Täter jetzt Menschenleben in Kauf nimmt, ist das der Horror», sagt Giovinetti.

Nun aber tätschelt er seinen wertvollsten Besitz, die P.R.E.-Pferde in den Stallungen. P.R.E. steht für Pura Raza Española, reinrassige Vollblüter, ursprünglich aus Spanien. «Die haben etwas Temperament», sagt Giovinetti, der Pferde sowie Reiter ausbildet und als Koryphäe auf seinem Fachgebiet gilt. Sein Fachgebiet? Dressuren, wie man sie von der Spanischen Hofreitschule in Andalusien her kennt.

Die Rettung der Tiere musste schnell gehen. Feuerwehrleuten, die etwas von Pferden verstehen, gab er «die lieben Tiere» an die Hand. Die Hengste nahm er selber. Er führt vor, wie er sie am Halfter ins Freie geleitete: «Wenn sie dir vertrauen, kannst du mit Pferden durchs Feuer gehen.»

Fluchttiere

Dazu muss man wissen: Zwei Triebe dominieren beim Pferd – Flucht und Fressen. Ein Galopp aus dem Stand ist für diese Tiere kein Problem. Ohne aufzuwärmen, ohne zu dehnen, ohne eine Zerrung.

Je stärker die Hierarchie bei den Pferden sei, desto stärker sei die Persönlichkeit des Menschen gefragt, erklärt der Patron: «Und ich bin ein Vollblutmensch.» Man glaubt es ihm aufs Wort.

Ein Hengst brannte dann doch durch. «Da kommen 650 Kilo», sagt Giovinetti. Der Meister sprang dem Pferd an die Flanke. Das Tier biss zu. Giovinetti schüttelt nur beiläufig den verwundeten Arm: «Ach, das bisschen», sagt er. Viel wichtiger ist ihm: «Ich war so stolz auf die Pferde.»

Nur zwei Heuballen konnte er retten. Gerade verhandelt er mit Frankreich, er braucht dringend Futter für die Tiere.

Mit einem riesigen Ventilator bliesen die Feuerwehrleute den schwarzen Rauch irgendwann aus dem Stall.

Mühsame Versicherungen

Ein Grauen anderer Art sind die Versicherungen, mit denen sich ein Mensch in seiner dunkelsten Stunde herumschlagen muss. Giovinetti kann ein Lied davon singen.

Ein Beispiel aus der Sattelkammer, in die er nun führt. Dort hängen sämtliche Sattel, die er retten konnte, unbezahlbare, jahrzehntealte Erinnerungsstücke. Müsste man ein Preisschild dranhängen, würden bei manchen Exemplaren 4500 Franken draufstehen. Und dann fragten die Leute von der Versicherung als Erstes nach den Quittungen für die Sättel. Giovinetti kann es nicht fassen. «Es geht mir doch um andere Werte!»

Auch ihm ist klar, dass die Versicherer auf Schritt und Tritt Versicherungsbetrug fürchten. «Nur ist doch nicht jeder ein Vagant.»

Dafür ist die Anteilnahme gross, Dutzende Freunde und Bekannte schrieben ihm, er hat den Überblick verloren. Walter Giovinetti steigt in einen BMW, den er vom Kollegen geborgt hat, er muss Besorgungen machen.

«Seit langem habe ich wieder Existenzängste», sagt er. Aber er ist ein Kämpfer, war in jüngeren Jahren Grenadier. Wenn es sein musste, fuhr er schon alleine mit dem Pferdeanhänger nach Spanien, 25 Stunden am Stück. «Ich werde alles wiederaufbauen», sagt er und fährt los.

Zwei Tage später, Anruf bei Giovinetti, um den Artikel zu besprechen – und um ihn zu fragen, wie es ihm geht.
Nun endlich, sagt er müde, habe er eine Nacht schlafen können.


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