Ruth Altun (64) schüttelt ungläubig den Kopf. Sie starrt auf den Stapel Papier vor sich. Rechnungen, Mahnungen, Briefe vom Betreibungsamt und einem Inkassobüro türmen sich in ihrer Basler Wohnung auf. «Jeden Tag kommt mehr Post – obwohl ich nichts dafür kann», sagt Altun verzweifelt zu Blick.
Altun ist Opfer eines dreisten Betrugs geworden. Das belegen Gerichtsdokumente und Schreiben, die sich seit 2016 bei ihr zu Hause angesammelt haben. Damals befand sich die Rentnerin in der Phase der Trennung von ihrem Ex-Mann, suchte Trost und Zuspruch im Internet.
Zuerst die Pakete, dann die Rechnung
Auf einer Dating-Plattform lernt sie «Allen» kennen. Er gibt sich offen, schenkt ihr Zuspruch, gibt ihr zu hören, was sie hören will. Mehrmals telefonieren sie via Skype miteinander. «Ich war komplett naiv, habe mich ihm komplett hingegeben.» Dass hinter «Allen» eine organisierte Bande in Ghana steckt, wird ihr später die Polizei sagen.
Altun schickt «Allen» ein Bild ihrer ID – er wolle einen Beweis dafür, dass sie wirklich existiere. Die Betrüger nutzen die ID allerdings anders. Sie bestellen in ihrem Namen teure Geräte und lassen sie zu Altun nach Hause schicken. Von dort werden sie direkt weiter nach Ghana versandt. «Ich war völlig dumm, habe nichts überlegt», sagt Altun rückblickend. «Allen» habe ihr gesagt, dass er die Geräte dringend brauche und er die Rechnungen begleichen werde. Sie glaubt ihm blauäugig.
Dann erhält sie Post von der Swisscom. Es sind die Rechnungen für die Geräte, die längst auf dem Weg nach Ghana sind. Als sie mit «Allen» Kontakt aufnehmen und ihn um die Begleichung der Rechnungen bitten will, meldet er sich nicht mehr. Ihr wird klar: Etwas stimmt nicht. Sie erstattet Anzeige bei der Polizei. Doch da ist es schon zu spät.
«Habe Angst, den Briefkasten zu öffnen»
Altun muss vor Gericht, wegen des Vorwurfs des mehrfachen Betrugs. In erster Instanz wird sie noch schuldig gesprochen, das Appellationsgericht hebt den Schuldspruch jedoch vollumfänglich auf. Die offenen Forderungen werden auf den Zivilweg verwiesen. Das bedeutet: Altun ist strafrechtlich zwar freigesprochen, das Gericht sagt aber nicht, dass die Forderungen unberechtigt sind. Swisscom hält an den Forderungen fest. Rund 9000 Franken soll sie weiterhin bezahlen. Irgendwann übergibt Swisscom die Forderungen an das Inkassobüro EOS.
«Mittlerweile erhalte ich rund zweimal pro Woche Post. Ich habe Angst, den Briefkasten zu öffnen», sagt Altun. Die offenen Forderungen von 9000 Franken kann und will sie nicht bezahlen. «Ich habe keine Ahnung, wie die Swisscom sich das vorstellt. Ich beziehe Ergänzungsleistungen, lebe am Minimum. Selbst wenn ich wollte, ich könnte nicht bezahlen.» Einer Schlichtungsverhandlung mit EOS beim Friedensrichter blieb sie fern. Auch die Annahme von eingeschriebenen Briefen lehnt sie ab.
Swisscom prüft den Fall
Die Swisscom sagt, der Fall von Ruth Altun sei «sehr komplex». Zwar sei die Frau Opfer eines mutmasslichen Betrugs geworden. Aber weil sie selbst durch das Weiterversenden der Pakete in den Prozess eingegriffen habe, liege eine aktive Beteiligung vor: «Hätte sie sich sofort mit Swisscom in Verbindung gesetzt beziehungsweise die Ware retourniert, hätte der Schaden verhindert werden können.»
Swisscom halte im Fall von Frau Altun grundsätzlich an den Forderungen fest. Derzeit würden aber «keine weiteren Schritte» unternommen und man werde «in den kommenden Wochen prüfen», ob man daran festhalte, das Geld auch effektiv einzutreiben. EOS sagt, man sei «nach wie vor an einem Gespräch interessiert, um eine Lösung zu finden».
Für Ruth Altun ist klar: «Das ist kein Leben für mich. Ich kann und will mit einer solchen Last nicht mehr leben. Ich will einfach nur meine Ruhe haben.»
Ruth Altun ist Opfer von Cyberkriminalität geworden. Damit ist sie nicht die Einzige. Schweizweit sind gemäss einer Statistik des Bundesamtes für Informatik im Jahr 2021 rund 24'000 Fälle von Betrügereien im Internet gemeldet worden. Knapp ein Drittel konnte aufgeklärt werden.
Doch was tun, wenn man selbst Opfer eines Betrugs wird und Rechnungen für Produkte erhält, die man gar nicht bestellt hat? Lucien Jucker von der Stiftung für Konsumentenschutz sagt: «In einem solchen Fall sollte sich das Opfer der Betrugsmasche sofort an die Rechnungssteller wenden. Das Opfer kann zudem Anzeige bei der Polizei erstatten.» Nur so könne man sich auch vor ungerechtfertigten Forderungen schützen.
Trudeln dennoch Forderungen von Inkassobüros ein, rät Jucker zur Ruhe. «Konsumentinnen müssen gegenüber Inkassobüros nur Forderungen bezahlen, die eine vertragliche oder gesetzliche Grundlage haben», sagt er. Wenn Verträge durch einen Betrüger auf den Namen der Konsumentin abgeschlossen werden, kommt kein gültiger Vertrag zwischen der Konsumentin und dem Unternehmen zustande. Dementsprechend sei auch kein Geld geschuldet.
Geht das Unternehmen noch weiter und flattert eine Betreibung ins Haus, sollte man die Annahme nicht verweigern. Denn: «Wenn die Empfänger der Meinung sind, die Betreibung sei ungerechtfertigt, sollten sie innert zehn Tagen Rechtsvorschlag erheben», sagt Jucker.
Ruth Altun ist Opfer von Cyberkriminalität geworden. Damit ist sie nicht die Einzige. Schweizweit sind gemäss einer Statistik des Bundesamtes für Informatik im Jahr 2021 rund 24'000 Fälle von Betrügereien im Internet gemeldet worden. Knapp ein Drittel konnte aufgeklärt werden.
Doch was tun, wenn man selbst Opfer eines Betrugs wird und Rechnungen für Produkte erhält, die man gar nicht bestellt hat? Lucien Jucker von der Stiftung für Konsumentenschutz sagt: «In einem solchen Fall sollte sich das Opfer der Betrugsmasche sofort an die Rechnungssteller wenden. Das Opfer kann zudem Anzeige bei der Polizei erstatten.» Nur so könne man sich auch vor ungerechtfertigten Forderungen schützen.
Trudeln dennoch Forderungen von Inkassobüros ein, rät Jucker zur Ruhe. «Konsumentinnen müssen gegenüber Inkassobüros nur Forderungen bezahlen, die eine vertragliche oder gesetzliche Grundlage haben», sagt er. Wenn Verträge durch einen Betrüger auf den Namen der Konsumentin abgeschlossen werden, kommt kein gültiger Vertrag zwischen der Konsumentin und dem Unternehmen zustande. Dementsprechend sei auch kein Geld geschuldet.
Geht das Unternehmen noch weiter und flattert eine Betreibung ins Haus, sollte man die Annahme nicht verweigern. Denn: «Wenn die Empfänger der Meinung sind, die Betreibung sei ungerechtfertigt, sollten sie innert zehn Tagen Rechtsvorschlag erheben», sagt Jucker.