Da in Thun BE der Kindergarten nur vormittags stattfindet, schicken viele Eltern ihre Kinder zusätzlich in eine Kita. In der Kita Thun etwa können die Kinder bereits am Morgen vor dem Chindsgi-Beginn abgeliefert werden. Eine der Angestellten bringt die Kinder dann zu Fuss in einen der höchstens zehn Minuten entfernten Kindergarten und holt sie zum Mittagessen wieder ab. Ein System, das für alle Beteiligten bisher funktionierte.
Doch nun hat der Kanton Bern plötzlich Sonderwünsche. Die Direktion für Gesundheit, Soziales und Integration (GSI) verlangt, dass der Kindergartenweg künftig von ausgebildeten Personen betreut wird – entweder von einer Fachperson Betreuung Kind EFZ, einem sich mindestens im zweiten Lehrjahr befindenden Lehrling oder einer Person mit ähnlicher Ausbildung. Ansonsten darf der Chindsgi-Weg nicht mehr über die Betreuungsgutscheine, dem Berner Betreuungssubventions-System, vergünstigt angeboten werden. Doch genau das Fachpersonal ist in Kitas Mangelware, da in der Branche viele Praktikanten und Quereinsteigerinnen arbeiten.
Wegbegleitung mit Fachperson oder Wegfall der finanziellen Unterstützung
Genau genommen haben Berner Kitas ab August für die Wegbegleitung auf dem Kindergartenweg drei Optionen. Erstens: Eine Fachperson begleitet die Kinder, und der Weg kann über die Betreuungsgutscheine vergünstigt werden. Zweitens: Wegbegleitung ohne ausgebildete Fachperson, wodurch diese Betreuungszeit separat und ohne Vergünstigung verrechnet werden muss. Oder drittens: Die Kita bietet keine Wegbegleitung mehr an. Das heisst: Die Eltern müssen sich selbst um den Kindergartenweg kümmern.
Alle drei Varianten seien schlecht, findet Bettina Kriegel, Stiftungsratspräsidentin der Kita Thun. Sie sagt: «Bei Variante eins müssten wir zusätzliches Fachpersonal anstellen.» Doch das ist nicht leicht zu finden. Zudem würden die Tarife des Kita-Angebots steigen. Sei es wegen des zusätzlichen Fachpersonals oder weil die Betreuungsgutscheine nicht angerechnet werden können.
Kurz: Der Sonderwunsch des Kantons hat zur Folge, dass die Kitas finanziell und personell auf dem Zahnfleisch laufen. Dennoch hält er an seinen Anordnungen fest. Und schiebt die Schuld auf die Kitas.
Regelpräzisierung laut GSI auf Wunsch vieler Kitas
Seit 1. Januar gilt die neue Verordnung über das Berner Betreuungswesen, der auch Kitas unterstehen. In Zuge der Revision hätten zahlreiche Tagesstätten spezifisch gefragt, welche Auswirkungen auf die Wegbegleitung zu erwarten seien, sagt die GSI auf Blick-Anfrage. «Deshalb präzisierten wir die Regeln bezüglich Wegbegleitung.»
Die Kita Thun habe diese neuen Regeln aber definitiv nicht gewollt, betont Bettina Kriegel. Sie nennt sie deutlich «verschlechterte Rahmenbedingungen». Überdies seien die Regeln unverständlich. Insbesondere, wenn man sie mit den Regeln der Tagesschulen vergleiche, die nicht der GSI, sondern der kantonalen Bildungsdirektion unterstehen. «Personal in Tagesschulen braucht für die Wegbegleitung keine fachliche Ausbildung.»
Eltern verzweifeln
Die Kita Thun entschloss sich nun dazu, per August die Gruppe Orange zu schliessen – also jene Gruppe, die ausschliesslich aus Kindergärtlern besteht. Davon betroffen ist etwa Mutter Eileen H.*. Wegen der wegfallenden Kinderbetreuung ist sie in Panik: «Muss ich jetzt meinen Job kündigen?» Noch hofft sie, ihr fünfjähriges Kind in einer anderen Gruppe der Kita Thun unterbringen zu können.
Auch Mutter Angela H.** ist von den neuen Vorgaben des Kantons schockiert. Sie meldete ihre beiden Kinder bei einer der Thuner Tagesschulen an. «Genau die gleiche Betreuung kostet mich jetzt fast 5000 Franken mehr im Jahr.»
Doch dann das nächste Problem: Die Tagesschule bietet während der Schulferien keine Betreuung an. Diese Zusatzbetreuung könnte sich H. zwar mit einem «Privatplatz» sichern. Aber ein solcher kostet noch mal rund ein Drittel mehr und kann nicht über Betreuungsgutscheine abgerechnet werden. Was gerade für Geringverdienende keine nutzbare Option ist.
Kritik vom Verband für Kinderbetreuung
Melanie Bolz, Regionalleiterin des Schweizer Verbands für Kinderbetreuung Kibesuisse, findet klare Worte zu den neuen Berner Betreuungsregeln: «Die Behörden und die Politik haben es jahrelang versäumt, in bessere Rahmenbedingungen zu investieren.» Die Wertschätzung der Politik für die Bildungs- und Betreuungsbranche müsse nicht länger mit Worten, sondern endlich mit dem Portemonnaie erfolgen. «Es darf nicht sein, dass die Behörden und die Politik erst hellhörig werden, wenn es schon zu spät ist.»
* Name bekannt
** Name geändert