Die Vorwürfe von Toni Reichen (51) aus Niederhünigen BE an seine Gemeinde und die Firma Bauteam innovative Baupartner AG wiegen schwer. Die Firma soll beim Bau von zwei Mehrfamilienhäusern am Fuss eines Hanges gepfuscht haben, wodurch der gesamte Hang zu rutschen begann. Dutzende Bauwerke wurden in noch unbestimmten Ausmass beschädigt. Die Gemeinde Niederhünigen soll den Baupfusch von Anfang an bewusst ignoriert und später sogar vertuscht haben.
Es begann im April 2018: Neben Reichens Haus fahren die Bagger auf, um für den ersten Neubau ein Loch in den Hang zu graben. Sofort läuten in Reichens Kopf die Alarmglocken: «Wir konnten dabei zusehen, wie mit jeder Schaufel die dreifache Menge an Boden wieder nachrutschte.» Reichen und andere Anwohnende äussern ihre Bedenken, doch sowohl die Bauherrin als auch die Gemeinde wiegeln ab. Kurz darauf zeigen sich die ersten Schäden. Dennoch wird weitergebaut. 2022 folgt der Spatenstich für den zweiten Neubau. Die Schäden wachsen weiter.
Familie Reichen will Schlimmeres verhindern
Schiefe Treppen, verschobene Grenzsteine, Risse in Strassen und Häusern, plötzlich erhöhte Absätze sowie klaffende Lücken zwischen Mauersteinen: Die Schäden sind Beweise dafür, mit welcher Kraft die Erde am Niederhüniger Hang in Bewegung ist. Reichens haben Glück: «Unser Haus liegt genau zwischen den beiden Rutschzonen, daher hatten wir bislang noch keine grossen Schäden.» Dennoch haben sie Angst um ihr über 100-jähriges Bauernhaus und setzen sich seit Auftreten der ersten Probleme für eine Lösung ein.
Vor zweieinhalb Jahren haben Reichens eine Anzeige bei der Baupolizei gemacht, damit der Hang nachträglich korrekt gesichert wird. Doch bislang brachte das gemeindeinterne Verfahren keinen Fortschritt. Ein Sieg der Reichens könnte nicht nur Schadenersatzforderungen an die Bauherrin erleichtern, sondern wäre de facto auch ein Schuldeingeständnis der Gemeinde, ihre Aufsichtspflicht vernachlässigt zu haben.
Jetzt hat die Familie Reichen genug: «Wir können nicht einfach daneben stehen und nichts tun. Schlimmstenfalls kommt plötzlich der ganze Hang herunter. Neben hohen Schäden gäbe es dann Verletzte oder sogar Tote.» Deswegen hat sich Reichen mit einem geologischen Gutachten an Blick gewendet – und die Details darin sind alarmierend.
Gutachten bestätigt Baupfusch
Laut dem Experten wurde nicht nur die Baugrube ungenügend gesichert, sondern es wurden beim Bau des Fundaments auch Pfähle verwendet, die mehr Erschütterungen als notwendig auslösen. Zudem sei vor Baubeginn weder die von der Baupolizei verlangten Unterlagen eingereicht noch ein Geologe hinzugezogen worden. Auch wurden Warnhinweise ignoriert und auf Rissmeldungen zu spät reagiert. «Die Geländeüberwachung wurde erst aktiviert, als bereits grosse Bewegungen entstanden waren.» Das Fazit des Experten: Niederhünigen sei «nur knapp an einem grösseren Rutschereignis mit massiven Gebäudeschäden vorbeigeschrammt».
Das Gutachten hat Toni Reichen nun auch im Baupolizeiverfahren eingereicht. Denn: Obwohl das Gutachten bereits seit zwei Jahren bei der Gemeinde liegt, habe sie bislang nicht darauf reagiert. «Obwohl sie weiss, was hier alles falsch gelaufen ist, stellt sich die Gemeinde auf die Seite des Bauteams», so Reichen. Auch Beschwerden beim Kanton und Regierungsstatthalteramt brachten demnach nichts: «Wenn sich die Gemeinde quer stellt, kann oder will offenbar niemand was machen.»
Daten verzögert oder gar nicht erhoben
So hat das Regierungsstatthalteramt laut Reichen zwar die Gemeinde Niederhünigen beauftragt, für die Messungen der Hangrutschbewegungen zu sorgen und diese Daten an Reichen weiterzugeben. «Aber die Gemeinde hat die Daten regelmässig verzögert und seit einem Jahr überhaupt nicht mehr herausgerückt.» Jetzt hat Reichen erfahren: Die Messungen wurden seit Sommer 2023 gar nicht mehr gemacht. Und das, obwohl im August bereits das nächste Bauprojekt am Hang ansteht: Entlang einer Strasse soll ein Trottoir gebaut werden, wozu erneut Grabungsarbeiten notwendig sein werden.
Die Gemeinde will sich auf Anfrage wegen des laufenden Baupolizeiverfahrens nicht zum Gutachten äussern. Dennoch betont sie, dass sie in Sachen Baupolizei «kompetent und professionell» arbeite. Zudem hätte man die fehlenden Messdaten bei der Bauherrin angefordert, schreibt die Gemeinde. «Der entsprechende Bericht ist noch ausstehend.» Im Hinblick auf den Bau des Trottoirs seien «in den nächsten Wochen» weitere Messungen geplant.
Die Firma Bauteam innovative Baupartner AG hat bislang nicht auf die Blick-Anfrage reagiert.