Seit über einem halben Jahr wohnt Christian L.* (55) aus Frümsen SG mit seiner Familie auf einer Baustelle. Herumliegendes Baumaterial ist von Pflanzen überwuchert, Schutt, Dreck und Baustellenmief, so weit das Auge reicht. Die ursprünglich geplante Haustür ist höchstens mit guten Wanderschuhen «sicher» zu erreichen. Vorbei an der nicht fertiggestellten Garage geht es die schwach-gesicherte Baugrube eines steilen Hügels entlang, hinauf zum nicht fertiggestellten Weg, der inmitten von Bauschutt und Dreck an einer Tür endet, die nicht benutzt werden kann. L. wollte seiner Familie den Traum vom Eigenheim erfüllen – und ist auf einen Kriminellen hereingefallen.
Vertraut hat L. einem Totalunternehmer. Heisst: Vom ersten Entwurf des Hauses bis zur endgültigen Fertigstellung ist diese eine Firma zuständig. Immer wieder kommt es in der Schweiz zu Problemen mit sogenannten Totalunternehmern. Denn: Die Firmen können verlangen, dass die Bauarbeiten über das eigene Unternehmen in Auftrag gegeben werden und das fertige Objekt abgekauft wird. Beim Bau werden teilweise Baufirmen als Günstlinge eingesetzt, die am freien Markt niemals zum Handkuss kommen würden, nur weil diese unter finanziellem Druck die billigsten Offerten bieten.
«Bauleiter» war verurteilter Menschenhändler
Nach monatelangen Querelen ist es letzten August so weit: «Wir mussten entscheiden, wie wir weitermachen. Wir hatten schon unser komplettes Erspartes investiert und haben zwischendurch sogar bei Verwandten gewohnt, weil uns die Fertigstellung eigentlich früher versprochen wurde», erzählt L. Das Haus an sich war annähernd fertig gebaut. Aber innen und aussen gab es noch unzählige Arbeiten, die fertiggestellt werden mussten, dazu kamen etliche Baufehler.
Da weder das Bauland noch das Haus zu diesem Zeitpunkt der Familie gehören, entscheiden sie sich, das Bauprojekt trotz Mängel zu kaufen. Der Anwalt der Familie riet dazu. Denn: «Wenn wir nicht gezahlt hätten, hätte man uns unser Traumhaus verweigern können», sagt Christian L. «Dieses Risiko wollten wir nicht eingehen und haben die letzte Teilzahlung von mehreren Hunderttausend Franken veranlasst.» Ohne die eigentlich vertraglich vereinbarten Leistungen erhalten zu haben.
Was Christian L. zu diesem Zeitpunkt nicht weiss: Gegen den ihm als «Bauleiter» der Totalunternehmung vorgestellten Franz J.** (43) läuft im Kanton Zürich bereits eine grosse Untersuchung wegen Menschenhandels. Der Gipser Franz J. soll ausländische Bauarbeiter teilweise für 80 Rappen in der Stunde angeheuert haben, diese in heruntergekommenen Baracken untergebracht und wiederholt keine Löhne ausbezahlt haben, um die Arbeiter «gefügig zu machen».
Menschenhändler auf freiem Fuss
Ende März 2023 wird J. zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. In der Gerichtsverhandlung war publik geworden, wie der Angeklagte über seine unterbezahlten Arbeiter sprach. «Diä Siechä sötsch alli halte wie Sklave i Konzentrationslager» – solche Sätze seien während der Telefonüberwachung des Beschuldigten abgefangen worden, wie die «NZZ» in ihrem Prozessbericht schrieb.
Franz J. wird erstinstanzlich zu zehn Jahren Knast und sechsstelligen Entschädigungszahlungen verurteilt. Bereits zuvor sass der angebliche Bauunternehmer fast drei Jahre in Sicherheitshaft. Der Grund: latente Fluchtgefahr. J. besitzt neben der Schweizer Staatsbürgerschaft auch den österreichischen Pass. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, deshalb befindet sich Franz J. mittlerweile wieder auf freiem Fuss, wie das Bezirksgericht Zürich Blick bestätigt. Und er ist offenbar auch wieder im Baugeschäft tätig.
Denn: Gegenüber der Familie L. hiess es noch vor wenigen Wochen in einem Brief des Totalunternehmens, dass «Herr J. wieder eingestiegen ist und die Arbeiten weiterführt». Im selben Brief heisst es zudem, dass die Familie mit Mehrkosten von 30'000 Franken zu rechnen hätte, um die Arbeiten im Aussenbereich abschliessen zu können. Notabene für Arbeiten, die im Ursprungsvertrag bereits klar vereinbart wurden.
Blick stellte sowohl dem Leiter der Totalunternehmung als auch Franz J. einen Fragenkatalog zu. Einen Tag später drohte J. im Gegenzug schriftlich damit, die Arbeiten am Haus der Familie bei einer Veröffentlichung eines Artikels nicht fertigstellen zu können, da noch «Kredite aufgenommen werden müssten». Auf den kurzen Fragenkatalog hingegen gingen weder Totalunternehmung noch J. innert vorgeschlagener Frist ein. Diese Frist verstrich – wie bereits bei den Bauarbeiten bei der Familie L. – ungenutzt.
* Name der Redaktion bekannt
** Name geändert